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Waldweben. Melusinen irren durch den Berliner Forst..
© Bresadola/drama-berlin.de

Constanza Macras: Dickicht der Krise - Constanza Macras im Müggelwald

Tänze im Müggelwald: Choreografin Constanza Macras lässt in „Forest: The Nature of Crisis“ eine wilde Meute durchs Gebüsch fegen. Es geht um Kapitalismus und ungezügelten Konsum - und um Müllrecycling.

Schaurig-schöne Gestalten spuken durch den Müggelwald. Die Choreografin Constanza Macras lädt zu einem Parcours durch den Berliner Forst – und da kann man wirklich das Fürchten lernen. Denn den Zuschauern begegnet nicht nur ein Wolf, bei Macras jagen auch Stadtneurotiker und Party Animals, Punks und Ökotussis durchs Unterholz.

Für die Kulturolympiade in London 2012 hatte die Berliner Choreografin das Outdoorprojekt „Branches – The Nature of Crisis“ in einem Wald in Wales realisiert. Damals entstand der Wunsch, auch eine deutsche Version herauszubringen. Nun ist der deutsche Wald ein Mythos. Die Romantiker haben ihn in Gedichten, Märchen und Liedern beschrieben – dieses verklärte Waldbewusstsein beeinflusst uns heute noch. Hat Macras sich in Wales bei der dortigen Mythologie bedient, so knöpft sie sich nun die Grimm’schen Märchen vor und verpflanzt sie in eine entzaubert Gegenwart. Auch romantische Lieder werden vorgetragen. Die fantastische Sängerin Jelena Kuljić, die sehnsüchtige Töne mit Fauchen mischt, singt zum Auftakt eine herrlich schräge Version von Schumanns „Lotusblume“.

Zunächst müssen die Zuschauer eine längere Strecke durch den Wald marschieren. An sechs Stationen können sie sich auf ihren Campingstühlen niederlassen, während Macras die wilde Tänzermeute loslässt. Ihr Ensemble Dorky Park hat sie für dieses aufwendige Projekt mit vielen Gästen verstärkt. Die Tänzer hetzen wie aufgescheuchtes Wild durchs Gebüsch, fegen durchs Laub, rollen über den Waldboden. Wie sie sich in den rabiaten Duos und Trios anspringen, herumwirbeln und umnieten, ist atemberaubend. Ana Mondini in rosa Etuikleid stolziert anfangs wie eine Königin über eine Lichtung. Vier verzauberte Mädchen zucken und schütteln ihre Mähnen. Bald verwandelt Mondini sich in die böse Stiefmutter und hält eine Prinzessin im eisernen Griff.

Verlockende Melusinen auf einem Holzsteg

Macras hat die Märchen mit hinterhältigem Humor umgedichtet. Urängste treffen dabei auf aktuelle Krisensymptome. Hänsel und Gretel werden von ihren Eltern im Dickicht der Stadt ausgesetzt – sie sind Opfer des Bankencrashs wie auch Schneewittchen, die Koks schnupft und in eine Öko-WG zieht. Die Tänzer fabulieren von magischer Pizza und von kontaminierten Bio-Äpfeln, und wenn Louis Becker auf Sächsisch von Rapunzel und ihren Haarextensions erzählt, ist das zum Schreien komisch. Gebannt lauscht man der britischen Schauspielerin Catriona James, die die Geschichte des schottischen Glücksritters John Law vorträgt. Law führte zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich das Papiergeld ein, später brachte er durch rücksichtslose Spekulation mit Aktien seiner Mississippi-Compagnie das Land an den Rand des Bankrotts. Klingt wie ein finsteres Märchen, ist aber eine wahre Begebenheit.

Der dreistündige Waldspaziergang führt durch einen ganzen Themenpark. Es geht um entfesselten Kapitalismus und ungezügelten Konsum, um Müllrecycling und den „grünen Punkt“. „Eine Zivilisation ist eine Kultur, die eine Müllkippe hat“, heißt es einmal. Macras entwickelt einen aufklärerischen Furor, sie entlarvt, welche Märchen Verbrauchern heute aufgetischt werden. Doch das Stück verzettelt sich schon auch mal mit all den Kommentaren zur globalen Ökonomie.

Wenn die Nacht hereinbricht, stapfen die Wanderer mit Taschenlampen durch den Wald. Sie erblicken verlockende Melusinen auf einem Holzsteg über einem Tümpel. Der Weg endet in einer hölzernen Karaokebar auf einer Lichtung, wo Goethes unheimliche „Erlkönig“-Ballade erklingt, die Macras als bizarre erotische Fantasie liest. Bei ihrem Krisentheater geht es ihr vor allem um Entzauberung. Dennoch ist „Forest: The Nature of Crisis“ ein Abend, der eine ganz eigene Magie entfacht.

Wieder am 12. bis 14. und 16. bis 19.8., 19.30 Uhr. Am 19.8. Filmübertragung mit Livemusik an der Schaubühne.

Sandra Luzina

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