Kultur: Deutsche Kränze, deutscher Gruß
„Trauer to Go“ am Berliner Maxim Gorki Theater: Adriana Altaras macht den Holocaust zur Nummernrevue
Das Streichquartett hat am meisten zu leiden. „Spielt doch mal etwas Trauriges, eine richtige Trauermusik“, blafft der Conférencier die Musiker an. Keine Folklore. Und erst recht kein Bach – oder Wagner. „Seid ihr verrückt, hier Wagner zu spielen? Wir sind doch nicht auf einem SS-Treffen hier.“ Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ passt schon besser. Doch am besten sind sie einfach still, die Streicher des Aulos-Quartetts im Graben. Die auf Stunden verlängerte Schweigeminute als ultimatives Gedenkritual.
Die Wahl der passenden Gedenkmusik ist nur das geringste der Probleme. Fragen stellen? Nicht erlaubt. Erst recht nicht Fragen wie „Warum müssen wir uns eigentlich immer mit den Juden beschäftigen?“. Oder: „Darf man ein Holocaust-Mahnmal auch einfach schön finden.“ Und auch das richtige Verhalten auf Gedenkveranstaltungen ist nicht so einfach. Sitzen? Aufstehen? Oder weinen? Taschentücher sind vorrätig.
Die Prachttreppe auf der Bühne des Berliner Maxim Gorki Theaters, halb Kanzleramtskulisse, halb griechische Tragödienbühne: eine perfekte Kranzabwurfstätte, vom Rednerpult aus begleitet von staatstragenden Worten. Die „Betroffenheitswirkung“: groß. Und doch eskalieren die Dinge: Schauspieler, die sich zu „Sieg Heil! Sieg Heil!“-Rufen die Kränze zuwerfen. Andere, die sich mit „Auschwitz! Auschwitz! Zyklon B!“ auf die Schweigeminute einstimmen. Hitler-Parodien als Mutprobe, bis hin zu Bruno Ganz’ zitternder Hand in Bernd Eichingers „Untergang“. „Gestatten: Braun!“ „Gestatten: Schlingensief!“ Die fröhliche Jagd auf einen Überlebenden, und die neugierige Frage: „Erzählen Sie doch mal: Wie war’s denn in Auschwitz?“
Es darf gelacht werden im Gorki Theater – über Auschwitz und Zyklon B, über Lea Rosh, Maxim Biller, Ignatz Bubis und Michel Friedman, über Juden und „Neigungsjuden“, Überlebende, Verdränger, Täter und Täterenkel. Über die Hilflosigkeit, zwischen lauter Floskeln einen ehrlichen Ton zu finden. Über die naive Vorstellung, man könne mit einer sentimentalen Geste alle Betroffenheit wegwischen. Und über die Schwerfälligkeit, das Unbehagen der Deutschen angesichts eines Themas, für das es kein „angemessenes Verhalten“ gibt. Über die eigene Verklemmtheit, die mangelnde Leichtigkeit, die Hysterie. Lächerlich, peinlich, komisch sind alle Protagonisten im Spiel. Das zu zeigen ist nicht schwer.
Theater über Auschwitz, Lachen über Auschwitz: Alles ganz easy, sagt „Trauer to Go“, der „deutsche Abend“, den die Berliner Regisseurin Adriana Altaras gemeinsam mit acht Schauspielern des Gorki Theaters entworfen hat. Na bitte, geht doch! Und doch wieder nicht. Humor und Holocaust, das war in Deutschland immer unmöglich – mit gutem Grund. Das musste Mahnmal-Architekt Peter Eisenman erfahren, als er einen Witz über seinen jüdischen Zahnarzt in New York und Degussa erzählte. Das wird auch Regisseurin Adriana Altaras erleben, die hier den Versuch unternimmt, die deutschen Gedenkrituale rund um Holocaust, Mahnmal und Opferehrung auf ihre hohlen, leer tönenden Formeln zu befragen.
Sie kommt allerdings zur rechten Zeit. Am Brandenburger Tor wächst das Holocaust-Mahnmal rapide seiner Vollendung entgegen, am 8. Mai nächsten Jahres wird man zur Eröffnung all jene salbungsvollen Reden hören, die der Abend schon heute attackiert. Parallel ist am Checkpoint Charlie ein privates Mahnmal für die Mauertoten entstanden, das sich ästhetisch am Holocaust-Mahnmal orientiert – eine unzulässige Gleichsetzung. Deutschland stritt unlängst über den Vorschlag, den 3. Oktober als Feiertag zu streichen – und müht sich, den 9. November zwischen Gedenken an die Novemberrevolution, „Reichskristallnacht“ und Maueröffnung neu zu definieren. Und gleichzeitig ist, verbunden mit der Ausstellung der Flick-Collection in Berlin, mit Martin Walsers Rede in der Frankfurter Paulskirche oder mit dem Degussa-Auftrag für die Mahnmal-Stelen eine Debatte darüber entbrannt, was normal ist im Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts – und ob mit dieser Normalität ein zunehmendes Unwissen, eine Unsensibilität oder gar eine Schlussstrich-Mentalität gegenüber den Verbrechen des 20. Jahrhunderts einhergeht.
Das Gorki Theater ist zuletzt im Zusammenhang mit der verhinderten Vertragsverlängerung für Intendant Volker Hesse sehr geschmäht worden – oft zu Unrecht. Dabei beweist es immer wieder Geschick in der Wahl aktueller Themen. Nur fehlt der Instinkt bei der Umsetzung. Wie schon bei Lutz Hübners „Bankenstück“ im März dieses Jahres hat man sich auch diesmal am Thema verhoben.
Niemand wird der Regisseurin Adriana Altaras, seit vielen Jahren als energische, kritische, mutige Theaterfrau bekannt, vorwerfen können, sich leichtfertig auf eine verharmlosende Normalitäts-Debatte einzulassen. Als Leiterin der Jüdischen Kulturtage 2002, als Regisseurin der umstrittenen „Vagina Monologe“ in der Berliner Arena und von „Jud sauer“ am Gorki Theater vor zwei Jahren hat sie immer wieder bewusst Tabus verletzt, hat sich nicht einschüchtern lassen von einer dogmatischen political correctness, hat lustvoll Grenzen und Regeln verletzt. Sie darf das, ihre Biografie, ihre Arbeit, die Sorgfalt auch, mit der sie ihre Themen vorbereitet, sprechen dafür.
Und doch: Dass hier im großen Saal eines Berliner Staatstheaters vergnügtes Lachen über Auschwitz und Zyklon B erschallt, stimmt zumindest unbehaglich. Dafür, dass die Deutschen fröhlich Witze über den Holocaust belachen, wird keine Zeit je reif sein. Und dass am Premierenabend freundlicher, ja begeisterter Applaus ertönte und keine Stimme des Protests sich erhob: Normal ist das nicht. „Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhabenes“, hat Sigmund Freud gesagt. So gesehen, ist dieser Abend im Gorki Theater eher ein Witz. Ein schlechter.
Wieder am 26. November sowie am 7. und 28. Dezember, 19. 30 Uhr.
Christina Tilmann
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