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Schauspieler mit Weitblick. Brad Pitt bringt Starpower aufs Festival. Und ein bisschen Philosophie.
© ALBERTO PIZZOLI/dpa

Brad Pitt, Scarlett Johansson, Laura Dern: Der zweite Tag in Venedig versammelt Hollywoodstars

Impressionen vom Lido: Brad Pitt spricht über Männlichkeit und die Seele. Schauspielerkollegin Laura Dern gibt einen beißenden Kommentar zur Genderdebatte ab.

Als Astronaut im All trudeln, das ist ein bisschen wie einen Peter-Pan-Film drehen und an Seilen hängen, erzählt Brad Pitt in Venedig, wenige Stunden vor der Weltpremiere von James Grays Weltraumdrama „Ad Astra“. Der 55-Jährige hat den Science-Fiction-Film mitproduziert, die Frage, ob er dafür endlich seinen ersten Oscar bekommt, interessiert ihn im Moment weniger, als ob das Publikum ihm seine Figur auch glaubt, diesen Roy McBride, der auf Space-Mission Richtung Neptun geschickt wird. Dort soll er erstens nach seinem verschollenen, berühmten Astronauten-Vater (Tommy Lee Jones) fahnden und zweitens eine für den Planeten Erde bedrohliche Antimaterie-Reaktion stoppen.

Die Welt retten, Papa finden, 4500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt: „Die Geschichte und die großen Mythen beginnen im Mikrokosmos des ganz Persönlichen“, erläutert Regisseur Gray die Entscheidung, einen einzelnen Helden über zwei Kinostunden meistens alleine auf der Leinwand zu zeigen, in den unendlichen Weiten des Alls. „Wir wollten die kleinstmögliche Geschichte vor der größtmöglichen Kulisse erzählen.“

Noch dazu vor einer rabenschwarzen. Schon vom Mond aus, so Gray, sieht man keine Sterne mehr, nur den blauen Planeten. Was die existentielle Einsamkeit betrifft, hat Gray sich unter anderem bei Melvilles „Moby Dick“ bedient, wie der Regisseur freimütig gesteht. Einige Zeilen von Roys Vater stammen direkt von Ahab.

Brad Pitt ist da, einer der ganz großen Stars beim diesjährigen Filmfest Venedig, und klar, schon bei der Venedig-Ankunft im Boot haben die Fotografen ihn als lässigen Typen festgehalten, mit Basecap, grauem Shirt und jenem Tattoo auf dem rechten Oberarm, das er sich angeblich vor der Hochzeit mit Angelina Jolie hat stechen lassen. „Da draußen, jenseits der Vorstellungen von Richtig und Falsch, gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns“.

Der Vers des persischen Dichters Rumi passt auch gut zur ultimativen Vater-Sohn-Begegnung in outer space. Wobei die italienischen Gazetten lieber über die Bedeutung der neu hinzu tätowierten schwarzen Gestalt mit langem Schatten neben den Zeilen spekulieren. Ein Trennungssymbol nach dem Ende von Brangelina?

Brad Pitt spricht über die Definition von Männlichkeit, wie sie noch in seiner Kindheit galt, Stärke zeigen, sich Respekt verschaffen. Schwäche zugeben, Fehler, Dinge, die man bereut, das habe gefehlt. Den Film nennt er einen herausfordernden, subtilen Versuch über die Frage, was die Seele ist, wozu wir da sind. Brad Pitt gibt ökonomisch knappe Antworten, schrammt hier und da knapp die Grenze zum Unwirschen. Wenn er philosophisch wird, tut er dies beiläufig, wie wenn es ums Wetter ginge. Keine persönlichen Fragen – auch bei der Pressekonferenz trägt Brad Pitt ein graues Shirt, aber ein langärmeliges. Das Tattoo bleibt den Blicken verborgen.

Apropos Trennung: Der zweite, nicht minder prominent besetzte Oscar-Anwärter, der an diesem Donnerstag seine Weltpremiere am Lido feiert, ist Noah Baumbachs „Marriage Story“. Eine Scheidungsgeschichte, Szenen einer Ehe mit Scarlett Johansson und Adam Driver sowie mit Laura Dern als Scheidungsanwältin. Einsamkeit, Zweisamkeit, eine denkbar andere Version von Intimität und ungeschütztem persönlichem Spiel, mit offenem Visier – eine schöne Koinzidenz. Das Quartett saß unmittelbar vor Pitt und Gray auf dem Podium.

Ein Hollywood jenseits der Schauwerte

Johansson erzählt nach kurzem Zögern von ihrem ersten Treffen mit Baumbach, noch bevor das Drehbuch existierte. Sie habe selber gerade in Scheidung gelebt und bei einem Glas Weißwein erstmal losgeschimpft über ihre Beziehung. Sie wusste nicht, dass der Film eben davon handeln sollte. Und Baumbach wusste nichts über ihre persönliche Situation.

Wenn Brad Pitt über Ehrlichkeit vor der Kamera spricht, klingt es gut, aber auch ein bisschen nach Marketing. Bei Johansson und Co. klingt es glaubwürdig nach echtem Teamgeist. Ein anderes Hollywood, Kammerspiel, Familientheater, jenseits der Schauwerte und Spezialeffekte: Wie Adam Driver und Scarlett Johansson bei der zentralen, in langen Einstellungen gedrehten Streitszene in getrennten Räumen pausierten, um wieder aufeinander loszugehen, wie Athleten im Ring.

Wie die Filmmusik von Randy Newman den Ton vorgab. Oder wie Laura Dern ihre grandiose Tirade über Frauen und Männer vollendete. Dass Mütter anders als Väter noch heute perfekt sein müssen und Männer ihre Kinder im Stich lassen, kaum dass sie sie in die Welt gesetzt haben, man denke nur an Gottvater und seinen Sohn – so stand es im Script. Dern fügte hinzu: „He didn’t even do the fucking.”  Auch eine Art, die göttliche Jungfrauengeburt zu beschreiben – und ein beißender Kommentar zur Genderdebatte auf dem 76. Filmfest Venedig.

Christiane Peitz

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