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Mit den Diabelli-Variationen bestritt Igor Levit 2010 sein Konzertexamen in Hannover. Was er besonders liebt: Zyklen, Variationen, Weltenwanderungsmusik.
© Felix Broede

Klaviermusik: Der Zaubermeister

Igor Levit ist derzeit der aufregendste unter den jungen Pianisten. Jetzt spielte er erstmals im Berliner Kammermusiksaal: Beethoven, Wagner und Liszt

Das muss man erst mal hinkriegen. Zwischen Wagners archaischen Gralsglocken im „Parsifal“-Marsch und Liszts rasende-virtuoser Fantasie und Fuge „Ad nos, ad salutarem undam“ schlägt Igor Levit das Publikum durch bloße Spannung derart in Bann, dass keiner in die Stille hinein applaudiert. Wagner als Vorspiel zu Liszt - gewagte Idee. Der junge Pianist, 1987 geboren, ist ein Hypnotiseur, ein Zauber- und Zeremonienmeister, ein Löwenbändiger, der die Löwen gleichwohl loslassen kann wie kein anderer seiner Generation. Einer, der mit nur zwei, drei Anschlägen flirrend erotische Klangräume eröffnet, um im nächsten Moment Akkordsäulen und Arpeggienbögen zu gigantischen Kathedralen aufzutürmen.

In Berlin hat Levit bisher in kleineren Sälen gespielt, im Radialsystem und im Konzerthaus, nun tritt er erstmal im Kammermusiksaal auf, auf Einladung der Philharmonie. Ein unglaublicher Abend. Levit wagt alles, mit schwerstem Repertoire, extremer Dynamik, mit ehern meißelndem oder unerhört feinem Anschlag und gefährlich freigelegten Passagen. Und er gewinnt, am Rand des Prätentiösen, aber er meistert die Gratwanderung, lässt sich davontragen, verführt auch die Zuhörer. Indem er das Wesen jedes Tons, jeder Klangnuance zu ergründen versucht.

Igor Levit, geboren in Gorki, aufgewachsen in Hannover, liebt Variationen, Passacaglien, Ostinati: Musik, die ihre Fantasie an sich selbst entzündet und auf diese Weise zur Weltenwanderung einlädt. Schon den ersten Konzertteil bindet er zum Zyklus, von der g-Moll-Passacaglia des Bach-Zeitgenossen Georg Muffat über Beethovens späte Sonate Nr. 30 op.109 mit den sechs Andante-Variationen bis zu Frederic Rzewskis unerbittlich insistierender Arbeiterkampf-Ballade „Which Side Are you On?“ (1938). Levit vereint Abstraktion mit Seelenschau, Philosophie mit Intimität. Legt den Kopf fast auf die Tastatur, lauscht seinem Instrument, versenkt sich, gibt alles von sich preis. Muffats Passacaglia zum Beispiel ist derart mit flattrigen Trillern versetzt, als kenne der Barockkomponist diesen Levit genau, seine Bangigkeit und seinen Aberwitz, mit der er um die kostbarste aller Künste ringt. Da entdeckt einer die Anmut in der musikalischen Architektur und die Verzweiflung in der virtuosen Ekstase. Und das ist erst der Anfang. Gerade hat Levit bei Sony seine erste CD eingespielt, mit Beethovens späten Sonaten. Riesenapplaus, als Zugabe Schuberts Allegretto c-Moll. Christiane Peitz

Christiane Peitz

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