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Kultur: Der verrückte Sinn

Zum Tod des großen Kommunikationsforschers Paul Watzlawick

Äsop speicherte sein Weltwissen in Form von Fabeln. Paul Watzlawick schätzte besonders den Irrenwitz. Etwa von dem Mann, der alle zehn Sekunden in die Hände klatscht. Auf die Frage, warum, erklärt er: „Um die Elefanten zu verscheuchen.“ Rückfrage: „Welche Elefanten bitte?“ Antwort: „Na also! Sehen Sie!“ So funktionierte seine Didaktik.

Watzlawicks großes Talent war seine Anschaulichkeit. Er konnte, gleich welches Publikum er im Auge hatte, nicht nur zupackend und pointiert schreiben. Er hatte auch stets Fallbeispiele parat, für die er sich, belesen, wie er war, aus der gesamten Literatur- und Philosophiegeschichte bediente. Ovids Metamorphosen, Münchhausens Abenteuer oder Zen-Anekdoten – alles war ihm gleich willkommen. Und das nicht nur zur Illustration von Argumenten.

Wenn er in dem Standardwerk „Menschliche Kommunikation“ ein ganzes Kapitel der Analyse von Edward Albees Ehestreitigkeiten in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ widmet, so war es ihm einerseits eine Lust, aus den vermeintlich unstrukturierten Hässlichkeiten, die sich Martha und George an den Kopf werfen, die Regeln eines stabilen, komplementäre Bedürfnisse erfüllenden Demütigungssystems abzuleiten. Andererseits traute er der Literatur eine Beweiskraft zu, die sich nicht auf extrahierbare Botschaften beschränken ließ. Er war in diesem Sinn, lange bevor es Mode wurde, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst infrage zu stellen, ein ebenso theoriestarker wie abstraktionsscheuer Denker.

Sein großes Glück war das Umfeld, in das er geraten war. 1960 folgte er der Einladung des amerikanischen Psychiaters Don D. Jackson ans Mental Research Institute im kalifornischen Palo Alto. Watzlawick, Jahrgang 1921, stammte aus dem kärntnerischen Villach. Er hatte Philosophie und Literaturwissenschaft in Venedig studiert, sich am Zürcher C.-G.- Jung-Institut zum Psychoanalytiker ausbilden lassen und 1957 in San Salvador eine erste Professor für Psychotherapie angetreten, der 1976 eine weitere an der Stanford University folgte.

In Palo Alto gelang es ihm, zusammen mit Jackson und Janet H. Beavin, Ansätze aus Anthropologie, Kybernetik, Psychiatrie und Familientherapie so zusammenzuführen, dass sie plötzlich wie aus einem Guss wirkten. Das erwähnte Buch, das daraus entstand, „Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien“ (Huber Verlag, Bern) gehört zu den Klassikern der systemischen Betrachtung von Verständigungsprozessen und enthält in Grundzügen auch schon den radikal faktenskeptischen, an Heinz von Foerster geschulten Konstruktivisten Watzlawick, der später fragte: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ Die „Menschliche Kommunikation“ war dafür ein gutes Beispiel. Denn erst mit der Veröffentlichung 1967 wurden einige Zentralbegriffe fester Bestandteil der intellektuellen Welt, die sich heute als populärpsychologische Selbstverständlichkeiten etabliert haben.

Eigentlich hatte der Soziologe Robert K. Merton 1948 den Begriff der „self-fulfilling prophecy“, der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, geprägt. Doch es blieb Watzlawick vorbehalten, ihn als schillerndstes Phänomen der sogenannten Interpunktion von Beziehungsabläufen auszudeuten und in seinem Millionenbestseller „Anleitung zum Unglücklichsein“ (Piper, 1983) unterhaltsam aufzubereiten: Wer sich, in der Meinung, von seiner Umwelt schlecht behandelt zu werden, aggressiv gegen sie verhält, handelt sich genau das ein, was er zuvor befürchtet hatte. Umgekehrt lässt sich daraus der Nutzen eines positiven Denkens herleiten, das vom gut gemeinten Ratschlag bis zur Karikatur des sich unangreifbar machenden Individuums inzwischen zum kleinen Einmaleins der Lebenshilfe zählt.

Es war Gregory Bateson, der zuerst zwischen dem Inhalts- und Beziehungsaspekt von Kommunikation unterschied. Doch es war Watzlawick, der dies als eines von fünf Axiomen seiner Kommunikationstheorie kanonisierte. Zu den Spätfolgen gehören all die Ratgeber, die Missverständnisse zwischen den Geschlechtern als Übersetzungsproblem darstellen: Wenn eine Frau ihren Mann dem Wortsinn nach um eines bittet, fordert sie ihn garantiert zu etwas anderem auf.

Wiederum Bateson war es, der im Kontext der Schizophrenieforschung eine Theorie des „double bind“, der Doppelbindung, entwickelt hatte. Doch es blieb Watzlawick vergönnt, ihn als Grundproblem unzähliger Paar- und Familienkonflikte im allgemeinen Bewusstsein zu verankern: Wie man sich handelnd zwischen zwei paradoxen Ansprüchen, die jemand stellt, auch entscheidet – man enttäuscht sein Gegenüber zwangsläufig.

Die Kreisläufe, Wechselwirkungen, Kommunikationsebenen und Metaebenen, die Watzlawick und seine Kollegen in Palo Alto erforschten, lassen eine Rückkehr in die therapeutische Kausalitätssteinzeit, in der Reizen eindeutige Reaktionen folgen, kaum mehr zu. Aus dem Blick geraten ist nur die Dramatik der Pathologien, die zu diesen Forschungen Anlass gab. Allerdings sind zugleich die untersuchten psychotischen Erkrankungen aus dem Reich der gestörten Kommunikation, deren Knoten und Paradoxien ein Ronald D. Laing noch ganz antipsychiatrisch zu entwirren hoffte, mittlerweile in auch chemisch-medikamentös bedürftige Regionen zurückgekehrt.

Watzlawicks Bedeutung wäre nicht geringer, wenn er nur wissenschaftlich publiziert hätte. Sein Ruhm als populärer Autor aber, der „Vom Schlechten des Guten“ zu berichten wusste und „Vom Unsinn des Sinns“, hat sicher auch in einer Weise auf seine akademische Leistung ausgestrahlt und eine Aufmerksamkeit erregt, die der mindestens so geniale britische Anthropologe Gregory Bateson ebenfalls verdient hätte. Am vergangenen Sonntag ist Watzlawick nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren in Palo Alto gestorben.

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