zum Hauptinhalt
Nächtliches Abenteuer. BFG (Mark Rylance) nimmt die kleine Sophie mit auf die Londoner Träumetour.
© Constantin

"BFG" - der Fantasyfilm von Steven Spielberg: Der Traumflüsterer

Steven Spielberg verfilmt "Sophiechen und der Riese" von Roald Dahl: "BFG" lässt sich auch als hintersinniges Selbstporträt verstehen.

Wer eine Liste der größten Märchenerzähler des 20. Jahrhunderts erstellen will, wird um die Namen Walt Disney, Roald Dahl und Steven Spielberg nicht herumkommen. Da ist es mehr als angemessen, dass diese drei Giganten ausgerechnet bei einem Film über Riesen erstmals zusammentreffen: basierend auf Dahls Kinderroman „Sophiechen und der Riese“ und in der Produktion vom Disney Studio, hat Spielberg den Film „BFG: Big Friendly Giant“ inszeniert.
Nicht nur die Abkürzung im Titel, auch die Handlung erinnert an Spielbergs Klassiker „E.T. – Der Außerirdische“: In beiden Filmen geht es um die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen einem einsamen Zehnjährigen – dort das Scheidungskind Elliott, hier das Waisenmädchen Sophie – und einem sanftmütigen Wesen aus einer fremden Welt. Kaum weniger als die Namen Disney und Dahl dürfte Spielberg-Fans zudem die Tatsache in Aufregung versetzen, dass die Drehbuchadaption von „BFG“ von der im vergangenen Herbst verstorbenen „E.T.“-Autorin Melissa Mathison stammt.

Die Hollywood-Legende Spielberg bewegt sich also auf vermeintlich vertrautem Terrain. Doch wer nun hofft, dass der Regisseur an die Magie seiner früheren Werke – neben „E.T.“ vor allem „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ – anknüpft, wird enttäuscht. Prall gefüllt mit Alltag und Zeitgeist, waren deren Geschichten dezidiert in der Realität angesiedelt, in die dann umso wirkungsvoller das Fantastische einbricht. Mit notgedrungen eher suggestiven als illusionistischen Spezialeffekten zeigten die beiden Filme Außerirdische, die völlig anders waren, als Bücher und Filme sie bis dahin erfunden hatten.
Genau umgekehrt verhält sich dagegen das erzählerische Konzept von „BFG“. Das nasse Londoner Kopfsteinpflaster bereits in der nächtlichen Eingangsszenerie beschwört eine diffuse, zeitlose Vergangenheit herauf, die von vornherein klar als Märchen- und Kinderbuchwelt gekennzeichnet ist (spätere Indizien situieren den Film dann in den frühen 1980er Jahren, also zur Entstehungszeit sowohl der Romanvorlage als auch von „E.T.“).

Das Fantastische ist längst vorhanden

Das Fantastische braucht hier nicht eigens einzubrechen, es ist längst vorhanden: in Gestalt des Big Friendly Giant (Mark Rylance), der in der Dunkelheit und von üblichen Menschlein unerkannt durch die Stadt streicht und schlafenden Kindern handgefertigte Träume durchs Fenster bläst. Als ihn dabei zufällig Sophie (Ruby Barnhill) aus dem Fenster ihres Waisenhauses beobachtet, entführt er sie kurzerhand mit Siebenmeilenschritten ins Reich der Riesen. Dort schwebt Sophie jedoch bald in größter Gefahr, denn die Artgenossen des BFG sind primitive Grobiane mit rasendem Appetit auf frisches Kinderfleisch. Sie sind keine Antithese zu konventionellen Riesenbildern, sondern buchstäblich Bilderbuch-Riesen; ihr Reiz besteht nicht in einer originellen Variation des Gängigen, sondern in dessen technisch verblüffender Umsetzung. Und diese Perfektion ist tatsächlich erstaunlich: Nie haben computermodifizierte Charaktere ein derart subtiles und differenziertes Mienenspiel gezeigt, haben reale und per Motion-Capture-Verfahren animierte Schauspieler so nahtlos interagiert wie hier. Und dabei wird zudem die inszenatorische Herausforderung, die der enorme Größenunterschied der beiden Protagonisten bedeutet haben muss, immer wieder elegant gelöst.

Statt auf Fantastik im Realen setzt „BFG“ also auf Hyperrealismus im Fantastischen. Das erlaubt es, der Vorlage weitestgehend treu zu bleiben, doch für das kindliche Staunen, das die Erzählhaltung der früheren Spielberg-Märchen ausmachte, lässt es nur wenig Raum. Umso mehr kommen die sprachlichen Qualitäten des Romans zur Geltung, insbesondere das hinreißend verballhornende Idiom der Riesen und, in der zweiten Hälfte des Films, Dahls anarchischer Witz. Wenn Sophie und BFG schließlich die Queen höchstpersönlich zu Hilfe rufen und zum Frühstück in den Buckingham Palast geladen werden, wagt sich Spielberg auf das ihm bislang fremde Gebiet der Farce und reizt genüsslich alle aus dem Größen- und Klassenunterschied resultierenden Kontraste aus, Blähungsorgie inklusive. Spielberg hat erklärt, „BFG“ sei sein erster Film, der nichts mit seiner Kindheit zu tun habe. Wer auf einen zweiten „E.T.“ gewartet hat, mag bedauern, dass der Regisseur diesmal keinen persönlicheren Zugang gesucht hat. Dass er die respektvolle Distanz zur Vorlage aufrechterhält, sich das Buch nicht aneignet und zum Leben erweckt, sondern nur äußerst sorgfältig und detailreich illustriert.

Freundlicher Riese unter Menschenfressern

Aber vielleicht ist für den im Dezember 70 Jahre alt werdenden Spielberg auch bloß der Zeitpunkt gekommen, sich nicht länger auf die eigene Kindheit zurückzubesinnen. Möglich, dass er sich hier weniger im staunenden Kind wiederfindet als in dem einsamen, alten Riesen. Die Szenen, in denen BFG die Zutaten für glücklich machende Träume sammelt, kunstvoll kombiniert und auf die Fantasie der Kinder loslässt, gehören zu den schönsten des Films – und zu denen, die am deutlichsten Spielbergs Handschrift tragen. Es wäre kein ganz unzutreffendes Selbstporträt: ein big friendly giant im Reich der Menschenfresser.
Ab Donnerstag in 22 Berliner Kinos; OV im Cinestar SonyCenter und im Eiszeit

Zur Startseite