Ausstellung "Kolibri" zur Berlin Art Week: Der Totentanz trägt Prada
In den Kolibri-Festsälen nehmen es 36 Künstler mit dem morbiden Charme eines aus der Zeit gefallenen Ortes auf - und laden ihn auf. Ein Rundgang durch die Ausstellung "Kolibri".
Nam June Paik tanzt im Video seines Meisterschülers Ricardo Peredo zu Baudelaires „Blumen des Bösen“. Der Totentanz trägt Prada. Genau gesagt: Miu Miu, Pradas preiswerte Zweitlinie. Erwin Wurm hat zwei Knochenarme samt Papiertüte zu einem skurrilen Torso vereint. „One minute forever (Bag)“ des österreichischen Bildhauers kann man als ironischen Konsumkommentar lesen und gleichsam als Motto der Ausstellung „Kolibri“. 36 Künstler hat Constanze Kleiner in den einstigen Kolibri-Festsälen versammelt – von namhaften wie Thomas Zipp, Jonas Burgert oder Ryszard Wasko bis zu Entdeckungen wie Natalia Szostak oder Mariana Hahn. Nach der fünftägigen Schau wird die lange vergessene Ruine von Dirk Moritz grundsaniert.
Kleiner, einst Mitinitiatorin der Temporären Kunsthalle, beweist einmal mehr ihr Gespür für einen aus der Zeit gefallenen Ort – und für Künstler, die es mit dessen morbidem Charme aufnehmen und ihn aufladen. Wie Ingo Günthers Video-Sound-Installation „Quadrilateral Planetarism“. Oder Gundula Schulze Eldowys Foto-Ton-Projektion. Die zwischen 1977 und 1990 Porträtierten aus dem Berliner Milieu scheinen sich „Im Herbstlaub des Vergessens“ aus dem durchlöcherten Gemäuer herauszuschälen, während die Menschen in den Aquarellen von Viet Bang Pham wie Berge und Ketten über das Papier strömen.
Spielerisch und brutal: Darren Norman
Darren Normans Video in einem offenen Lichtschacht verwebt dessen Zeitspuren mit dem Außenraum. Eine Wassermelone wird durch die Gartenstraße bis zum Ballhaus gekickt. Spielerisch und brutal zugleich. Referenz an die Dada-Zeitschrift „Jedermann sein eigener Fußball“ des Malik-Verlags, und mit dem Titel „A Chicken in every Pot“ Verweis auf fadenscheinige Versprechen. Eigens für die Ausstellung hat auch Grischa Lichtenberger Installationen geschaffen, die sich mit einem roten Maurerfaden über alle drei Etagen ziehen. Der malerische Verfall auf handkolorierten Tintenstrahldrucken, die ihrerseits nach 15 Jahren zerfallen. Was bleibt, sind die Zeichnungen. Das Original.
Mit der historischen Substanz kommunizieren trefflich Peter Buggenhouts mit tiefschwarzem Hausstaub überzogene Skulptur „The Blind leading the Blind“ oder Gabriela Volantis „Schwarzer Flügel“ aus plissierten Zeitungen. In der Apsis des Ballsaals – wo einst die Kapelle zum Tanz aufspielte –, potenziert Via Lewandowsky die verschwundenen Bilder und Klänge zu „The Pain of Infinity“. Nichts ist für die Ewigkeit. Bleibt zu hoffen, dass der Kolibri-Umbau nicht schmerzt.
Gartenstraße 6 (Hinterhof), bis 21. September, tgl. 11–20 Uhr. Anmeldung: 0177 87 444 86 oder info@kolibri-tendencies.org.