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Erzähler, Herausgeber, Verleger. Der 1970 geborene Tausendsassa Dave Eggers lebt in der San Francisco Bay Area.
© contrasto/laif

Dave Eggers' Roman "Ein Hologramm für den König": Der Tor ist los

Schöner scheitern: Dave Eggers’ Roman „Ein Hologramm für den König“.

Schon mal von King Abdullah Economic City gehört? KAEC? Das ist das größte Entwicklungsvorhaben des saudischen Königreichs am Roten Meer, nicht allzu weit von Dschidda, Mekka und Medina. Vorläufig noch eine monumentale Baustelle, aber eines Tages, so der Wille des Königs, eine Stadt von der Größe Washingtons, D.C. Dorthin bringt uns dieser Roman, und dorthin hat eine Londoner IT-Firma drei junge Leute und einen amerikanischen Consultant, Alan Clay, geschickt, um den Saudis ihre Technologie zu verkaufen, und das heißt – dem König selbst.

Die Bedingungen sind denkbar schlecht, denn mehr als ein Zelt hat man ihnen für ihre Präsentation nicht zur Verfügung gestellt, die technische Ausstattung ist miserabel, und vor allem: Der König kommt nicht. Sein Besuch wird immer wieder verschoben, aus Tagen werden Wochen, und irgendwann fängt man an, sich in diesen Umständen einzurichten. Aber nicht nur diese Umstände sind nicht, wie sie sein sollten.

Alan ist Mitte fünfzig, geschieden, hat Schulden und kann seiner Tochter das College nicht mehr finanzieren. Er hat in seinem Leben schon einiges gemacht, und eigentlich ist alles schiefgelaufen, damals in Ungarn, damals in Massachusetts, jetzt womöglich auch in der KAEC. Man kommt sich vor wie im Kasperle-Theater, wo alle schreien „Pass auf!“, aber Kasperle passt nicht auf, und man muss zuschauen, wie das Krokodil zuschnappt. (Tatsächlich ist Alan einmal im Rio Negro beinahe von Krokodilen gefressen worden).

Romane über Loser, die leider auch ein bisschen töricht sind („Er war beschränkt“, heißt es einmal) und die sich obendrein einer Langeweile ausgesetzt sehen, der sie nur mit Saufen und Selbstskrupeln begegnen, können mühsam sein. So ist auch das erste Drittel dieses Buches ein wenig mühsam, bis man zunächst unbegreiflich Sympathien für Alan entwickelt, vielleicht weil er sich immer wieder so unbegreiflich verhält.

Der ganze Roman wird mit dem Blick auf diesen hilflosen Mann erzählt, der die Neigung hat zu sagen, dass es ihm gut geht, wenn es ihm schlecht geht. Dave Eggers, der die wachsende Sympathie des Lesers für Alan offenbar teilt, sitzt ihm sozusagen ständig im Nacken. Da aber sitzt auch eine Geschwulst, in der Alan die Ursache seines Missvergnügens wähnt, von dort in die Nervenbahnen, ins Rückgrat zieht das Gift, so denkt er, und eines Abends, natürlich unter Alkohol, nimmt er eine Nadel und sticht hinein. Ein paar Tage später nimmt er dazu ein Messer.

Dave Eggers, versierter Autor und einfallsreicher Verleger, erzählt gleichmäßig und unaufgeregt, passagenweise klingt es wie ein Drehbuch. Nur drei-, viermal taucht überraschend eine Metapher auf. Die zahlreichen Kapitel sind noch einmal in Häppchen geteilt, und kompliziert ist eigentlich gar nichts, außer Alans Innenleben, aber auch das ist nicht wirklich kompliziert, eher ist es schwer durchschaubar, jedenfalls für ihn. Nur wenn er getrunken hat, glüht er geradezu vor Einverständnis mit der Welt, und dann will er etwas davon an seine Tochter weitergeben, der er richtige Briefe zu schreiben versucht. Es bleiben Versuche.

Und die Frauen? Alan hat seit Jahren mit keiner was gehabt. Auf einmal aber sitzt er mit einer in der Badewanne, und wenig später liegt er mit einer anderen auf weichen Kissen in einer saudischen Villa. Beide Male ist er den sogenannten Anforderungen nicht gewachsen, und beide Male zerbricht es einem fast das Herz. Dies ist ein zunehmend anziehendes Buch, das man am Ende nur ungern aus der Hand legt, auch wenn es nicht immer elegant übersetzt ist: „Noch einen Drink? Alan hatte seinen zweiten auf.“

Der Roman ist auch eine Nachricht aus der globalisierten Welt, aber in erster Linie über all jene, die dieser wie vermutlich allen Welten nicht gewachsen sind. Sollte man in der Figur von Alan noch eine weitere „Metapher“ vermuten, so ist das Dave Eggers sicher auch recht: Spätestens als der König dann doch kommt und man erfährt, wer am Ende den IT-Zuschlag erhält, ahnt man, dass das Ganze auch ein melancholischer Roman über die Psyche Amerikas ist. Ob Alan jemals in dieses Amerika zurückkehren wird, bleibt offen. Immerhin, „welche Kraft geboren aus Bedeutungslosigkeit“ spürt er auf einmal in sich: Daraus könnte sich eine andere Zukunft ergeben.

PS: Die freundliche Sitte, am Ende all jenen Dank zu sagen, die beim Verfassen eines Buches eine Hilfe waren, beginnt bei einigen Autoren zu einer Art Schlusskapitel auszuarten, das bei Dave Eggers Ausverkaufscharakter annimmt: Er bedankt sich bei nicht weniger als 112 namentlich genannten Personen.

Dave Eggers: Ein Hologramm für den König. Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 352 Seiten, 19,99 €.

Jochen Jung

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