Fernsehen: Der Tod und die Medien
Wenn Prominente sterben, ändert das Fernsehen sein Programm. Kitsch und Respekt liegen im gleichen Wimpernschlag – und nur eine Regieanweisung auseinander. Über das telegene Trauern
Marlene Dietrich starb am 6. Mai 1992 in Paris, einen Tag vor Beginn der Filmfestspiele in Cannes. Der Eröffnungsfilm in jenem Jahr war „Basic Instinct“. Auf der Pressekonferenz fragte man Sharon Stone, ob sie den Tod der Diva kommentieren möge. Sie antwortete ohne zu zögern: Marlenes Tod an eben diesem Tage beweise, dass sie bis zuletzt ein Gespür für perfektes Timing gehabt habe. Die Medienvertreter zeigten sich beeindruckt von Sharon Stones Souveränität.
Monica Bleibtreu starb am Vortag der Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises. Der ZDF-Moderator Steffen Seibert nannte sie am Abend eine „großartige und bereits jetzt sehr vermisste“ Schauspielerin. Im Anschluss an den kurzfristig produzierten Einspieler erhob sich das Publikum im Saal, bevor die Auszeichnung für die beste weibliche Darstellerin vergeben wurde. Als die Kamera die nominierte Iris Berben einfing, wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Hoppla“, kommentierte Seibert das zugespielte Bild. Das Erste änderte am gleichen Abend sein Programm und zeigte Bleibtreus Film „Marias letzte Reise“, in dem die Heldin an Krebs stirbt.
Wer sein Leben, auch nur in Teilen, der Öffentlichkeit übereignet, stellt ihr auch seinen Tod zur Verfügung. Er generiert Betroffenheit. „Hast Du schon gehört“, fragen wir einander, verbunden mit der leisen Hoffnung auf einen möglichen Wissensvorsprung. Sie ist der erste Verrat am eigenen Entsetzen. Der Zweite vollzieht sich in der Personalisierung der Tragödie, dem Beschwören der gelebten oder empfundenen Nähe zur gestorbenen Person: Ich aber kannte sie besser.
Aus der Mitte der Branche wird der doppelte Verrat, in inszenierter Form, an eine Öffentlichkeit zurückgereicht, deren Gefühlserwartungen sich entlang der Regeln des Showgeschäfts konfektioniert haben. Eine große Mimin stirbt, eine andere große Mimin weint ihr eine Träne nach – als Ausdruck realer Trauer, aber auch als Symbol kollektiv geweinter Tränen. Das Melodram lebt von der richtigen Dosis Gefühl. Solange die Tusche auf den Wimpern hält, bleibt das Leben jene Show, die Schauspieler zu ihrem Geschäft machen. Kitsch und Respekt liegen im gleichen Wimpernschlag – und nur eine Regieanweisung auseinander.
Neun Tage später stirbt Barbara Rudnik. Die ARD ändert wieder ihr Programm und zeigt die kinderlos und unverheiratet Verstorbene in „Sehnsucht nach Liebe“. Man kann auch melodramatisch programmieren. Schauspieler sind Untote, die in Umkehrung des Vampirmythos das Publikum mit jenem Herzblut versorgen, mittels dessen sie aus Vorlagen Identität formen. Wir aber danken es ihnen wenig, nähren mit ihrer Stärke unsere Sentimentalität, machen aus ihrem Tod einen Programmpunkt, einen „emotionalen Moment“. Die Moderatoren wissen, wie traurig sie zu schauen haben, wenn sie die Todesnachricht verkünden – bis zur nächsten Meldung, bei der ihr Mienenspiel sich in neuer Sachlichkeit verliert.
Karl-Heinz Köpcke, einst Chefsprecher der „Tagesschau“, sprach sich seinerzeit gegen weibliche Kolleginnen aus, weil er meinte, eine Frau müsse angesichts schrecklicher Nachrichten in Tränen ausbrechen. Der Mann hatte Recht, sie müsste, er müsste, wir alle müssten. Als gäbe es angesichts des Todes im Mediengeschäft eine Angemessenheit der Blicke und Inszenierungen, haben die Protagonisten des öffentlichen Lebens sich geschult, telegen zu trauern. Das blanke Entsetzen jedoch bildet sich nur auf den Gesichtern der Namenlosen ab.
Umso stärker brennt sich das Bild des holländischen Prinzen Willem-Alexander und seiner Frau Maxima am „Königinnentag“ im holländischen Apeldoorn ein. Mit schreckverzerrten Zügen starren sie auf die Toten der Amokfahrt, die sich vor ihren Augen abspielte. Ähnlich gezeichnet stellte sich Königin Beatrix später der Fernsehkamera, ungecoached und ungefiltert. Ein Moment der Wahrheit: Horror statt Melodram. Das will niemand sehen.
Eine mögliche Alternative erprobte die Volksschauspielerin Heidi Kabel, die, als sie 1970 während laufender Aufzeichnung vom Tod des geliebten Mannes erfuhr, ihr Stück zu Ende spielte, um sich nicht die Blöße öffentlicher Trauer zu geben. Man kann auch nach innen weinen.
Jede Empfindung gerinnt zur Pose, wenn sie eine Erwartung bedient. Dazu bedarf es keinesfalls laufender Kameras. Rituale sind Ausdruck einer Formalisierung von Hilflosigkeit, in der Trauerhalle wie im Fernsehen. „Amüsieren Sie sich?“, fragt der Komiker Kurt Krömer gerne sein Publikum, um fortzufahren: „Dann sagen Sie es doch ihrem Gesicht!“ Auch im Leid erfolgt diese Bevormundung der eigenen Züge. Ambivalenz ist tabu.
Sentimentalität hingegen geht immer. Eine ideale Plattform dafür bietet die alljährliche Gala zum Deutschen Filmpreis. Zu Beginn des letzten Veranstaltungsdrittels werden die zumeist prominenten Anwesenden gebeten, sich zu erheben und der Toten des Jahres zu gedenken. Fotos werden mit Namensnennung eingeblendet, von Musik untermalt. Das Beste, also Traurigste, kommt zum Schluss: Ulrich Mühe blickte uns 2008 zu Eric Claptons „Tears in Heaven“ entgegen, Dana Vavrova 2009 zu Van Morrisons „Carrying the Torch“. Wenn uns im kommenden Jahr Barbara Rudnik und Monica Bleibtreu traurigschön entgegenlächeln, wird auch das ein sehr emotionaler Moment sein, und manche Träne wird durch wasserfeste Wimperntusche tröpfeln.
Einer Industrie, die Gefühle produziert, kann man nicht vorwerfen, dass sie auch die eigenen Gefühle formatiert. Aber manchmal ist Professionalität eine sehr traurige Sache.
Die Autorin leitet die Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment.
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