Interview: „Der Tod kommt schnell und plötzlich“
Robert Kirkmans Horror-Epos „The Walking Dead“ ist eine der erfolgreichsten Independent-Comic-Serien seit langem. Jetzt erschien der zehnte Sammelband auf Deutsch. Im Interview spricht der Autor über das Spiel mit Lesererwartungen, die Beschränktheit von Zombies und sein Verhältnis zum Tod.
Wenn Sie auf die letzten Jahre von „The Walking Dead“ zurückblicken, sind sie zufrieden mit der Geschichte und ihrer Umsetzung? Gibt es etwas, dass Sie mit Ihrem heutigen Wissen anders machen würden?
Robert Kirkman: Vielleicht – vielleicht – hätte die Hauptfigur Rick ihre Hand behalten. Keine Ahnung, aber das war so ein cooler Moment, dass ich alle Vorsicht in den Wind geschlagen und es einfach getan habe. Aber davon abgesehen: nicht das Geringste. Die Serie ist erfolgreicher, als ich es mir je hätte träumen lassen, und ich habe immer noch soviel Spaß wie am Anfang – wenn nicht sogar noch mehr. Ich glaube also nicht, dass ich irgendwas anders machen würde.
In letzter Zeit gab es viele neue Gesichter bei The Walking Dead – nur eine Handvoll der ursprünglichen Figuren hat überlebt. Gibt es „richtige“ oder „falsche“ Gründe, eine Figur sterben zu lassen? Wie wissen Sie, dass es für die Serie besser ist, eine Figur sterben zu lassen als an ihr festzuhalten?
Überhaupt nicht. Meine Regel, wenn es darum geht, Figuren sterben zu lassen, ist, nicht darüber nachzudenken. Mir gefällt das so … das macht es echter für mich. Wenn ich eine Figur behalten würde, weil es für die Geschichte gut wäre, dann käme mir das wie Mogeln vor. So läuft das nicht mit dem Tod. Der Tod kommt schnell und plötzlich und ist eine Zäsur. Daran versuche ich mich zu orientieren. In neun von zehn Fällen weiß ich viele Ausgaben vorher, wann jemand sterben wird. Aber ich versuche, mir nicht auszumalen, „was wäre, wenn er überleben würde?“ Sobald mir ein guter Grund einfällt, eine Figur sterben zu lassen, ist das für mich abgehakt … aus, Ende, derjenige stirbt. Der einzige, der je eine Gnadenfrist erhalten hat, ist die Figur des Abraham. Ursprünglich sollte er bald nach seinem ersten Auftritt sterben, aber dann hat sich die Figur kurz vor ihrer Einführung noch einmal so stark verändert, dass ich meine Pläne änderte, um dem Rechnung zu tragen.
Mit dem Fortschreiten der Serie haben die Figuren – allen voran die Hauptfigur Rick – schwere Prüfungen zu bestehen, treffen schwierige Entscheidungen und tun manchmal grausige Dinge. Haben Sie manchmal die Befürchtung, es Ihrem Publikum irgendwann zu schwer zu machen, noch eine Figur zu finden, in die man sich hineinversetzen oder der man die Daumen drücken kann?
In der Tat. Ich achte schon darauf, so oft wie möglich ihre Menschlichkeit zu zeigen. Ich glaube nicht, dass irgendeine Figur den Punkt erreicht hat, an dem für sie Hopfen und Malz verloren wäre.
Wenn ich den Eindruck habe, dass ich zu weit gegangen bin und es den Lesern zu schwer mache, eine Figur noch zu mögen, dann gebe ich mir Mühe, sie möglichst bald wieder zurückzuholen. Einerseits habe ich die Tatsache immer im Hinterkopf, dass das Publikum jemanden braucht, auf dessen Seite es sein kann; aber andererseits ist es eben auch eine sehr düstere Geschichte, und ich will da eigentlich keine Kompromisse eingehen. Warten wir’s mal ab.
Glauben Sie, die Serie könnte auch ohne eine ständige Hauptfigur wie Rick funktionieren? Ist Rick entbehrlich?
Gut möglich … irgendwann mal. Damit hab ich jetzt vielleicht schon zuviel verraten. Rick kann jederzeit sterben. So sieht’s aus. Niemand ist sicher. Ob die Serie auch ohne ihn überleben könnte oder nicht … nun, ich hoffe, ich werd’s eines Tages rausfinden.
Mittlerweile scheint es, dass die wahre Gefahr für die Figuren oft nicht mehr von den Zombies ausgeht, sondern von den Menschen selbst. War Ihnen von Anfang an klar, dass die Serie sich in diese Richtung entwickeln würde?
Oh ja. Die Zombies sind in ihrer Verhaltensweise ja recht limitiert. Man kann lernen, ihnen auszuweichen. Ich wusste immer, dass ich an einen Punkt kommen wollte, an dem die Leute wissen, wie sie mit ihnen umzugehen haben. Sie sind nach wie vor eine Gefahr, aber die Figuren sind nun auf sie vorbereitet.
Der Gouverneur war ein, zwei Jahre lang der große Schurke der Serie. Ich glaube, viele Leser haben am Ende einen Schlagabtausch mit Rick oder Michonne erwartet, wie im Western – aber als es dann soweit war, kam es ganz anders. Spielen Sie bewusst mit solchen Erwartungen, die sich aus dem Genre ergeben?
Ja, die ganze Zeit. Ich versuche, bestimmte Erwartungen zu schüren, dann aber was ganz anderes zu machen. Das ist der Job eines Autors, oder? Gleichzeitig will ich den Lesern manchmal aber auch genau das geben, was sie wollen. Ich versuche, die Erwartungen so oft wie möglich auf den Kopf zu stellen, damit die Leute nie wissen, was als nächstes passiert.
Mit Serienunterhaltung, die teils von einem „großen Geheimnis“ angetrieben wird, besteht immer die Gefahr, das Publikum zu enttäuschen, wenn alles aufgedeckt wird, wie etwa bei der außerirdischen Verschwörung in Akte X. Sorgen Sie sich manchmal, dass Ihre Leser eine Auflösung verlangen könnten, was die Zombieplage verursacht hat, oder enttäuscht sein könnten, wenn es soweit kommt?
Ich habe immer darauf bestanden, dass der Grund für die Zombieplage im Rahmen dieser Geschichte völlig irrelevant ist. Ich habe nicht vor, die Sache je aufzulösen. Ich hoffe also, dass die Leute davon nicht enttäuscht sein werden, denn ich habe das von Anfang an gesagt. In dieser Serie geht’s um die Figuren.
Das Interview führte Marc-Oliver Frisch für den Verlag Cross Cult, in dem die Reihe auf Deutsch erscheint. Dort wurde es auch in dem kürzlich erschienenen zehnten Sammelband veröffentlicht. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck. Mehr über die Reihe unter diesem Link.
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