Graphic Novel: Der Tod ist nur der Anfang
Posy Simmonds’ Madame-Bovary-Adaption besticht zeichnerisch, aber enttäuscht durch inhaltliche Schwächen.
Madame Bovary war schon immer ziemlich unleidlich. Sie liebt Luxus, sucht ein besseres Leben, langweilt sich und betrügt ihren Ehemann mit schrecklichen Folgen. Der Klassiker von Gustave Flaubert stammt aus dem Jahr 1856, eine Adaption als Graphic Novel von Rosemary Elizabeth „Posy“ Simmonds („Tamara Drewe“) ist kürzlich auf Deutsch erschienen.
„Gemma Bovery“, ursprünglich als fortlaufender Comic Strip in der Britischen Zeitung „The Guardian“ veröffentlicht, lässt die glückssuchende Heldin Flauberts in der Gegenwart ankommen. Gemma ist heute Illustratorin, lebt alle Freiheiten und ist doch durch Sehnsüchte und Enttäuschungen ähnlich getrieben wie ihr literarisches Vorbild.
Simmonds’ Geschichte ist voller Anspielungen auf das Original, um nach Aussagen der Autorin die intellektuelle Freude der Guardian-Leser zu befriedigen, lässt sich aber auch ohne Vorkenntnisse verstehen.
Die Figur nutzt sich ab
Gemmas Geschichte wird im Comic von ihrem belesenen Nachbarn, dem französischen Bäcker Raymond Joubert, erzählt. Er sieht in der jungen Engländerin, die mit ihrem Mann frisch in die Normandie gezogen ist, eine Reinkarnation von Madame Bovary und ist gleichermaßen fasziniert wie besorgt. Der Comic beginnt zu einem Zeitpunkt, an dem Gemma bereits tot ist und wird mit Hilfe Jouberts Erinnerungen und Tagebucheinträgen von Gemma von hinten aufgerollt.
Simmonds spielt mit verschiedenen Erzählformen, natürlich mit Zeichnungen, aber auch mit Tagebucheinträgen in Schreibschrift und mit teilweise sehr langen durchgeschriebenen Textpassagen. Der Comic ist derartig textlastig, dass er Zeitungsberichten zufolge bei seiner Erscheinung in Frankreich vor einigen Jahren eine Diskussion auslöste, wie viel Text ein Comic überhaupt haben darf. Die Autorin selbst nannte ihr Werk in der NZZ einen „illustrierten Roman“.
Obwohl sich die Zeichnungen Gemma mit leiser Ironie nähern und es schaffen, ihre Launen und den Verdruss trotzdem eindringlich zu zeigen, hat der Comic Längen. Das liegt nicht allein an der schieren Masse Text von 106 teils mindestens zur Hälfte beschriebener Seiten. Flauberts Gesellschaftsroman füllte mit der Geschichte 1856 immerhin rund 431 engbeschriebene Seiten.
Aber während dort alles auf den tragischen Selbstmord der Titelheldin hinsteuerte, beginnt der Spannungsbogen bei Simmonds mit dem Tod Gemmas. Die Erzählform stützt sich auf häufige Auftritte des beobachtenden und stets von Schuldgefühlen geplagten Bäckers Joubert. Doch diese Figur nutzt sich ab, und die Seiten bis zur Auflösung – warum musste Gemma sterben? – ziehen sich streckenweise, da die geschriebene Sprache nicht immer mit der Klarheit und Eindringlichkeit der Zeichnungen mithalten kann.
Posy Simmonds: Gemma Bovery, Reprodukt, aus dem Englischen von Annette von der Weppen , Handlettering von Michael Hau, 112 Seiten, 20 Euro. Leseproben unter diesem Link
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