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Der Blick nach Süden aus einem Büros im neuen Haus des Suhrkamp Verlags, im Hintergrund der Fernsehturm und die Rosa-Luxemburg- und Almstadtstraße.
© Andreas Rost/Suhrkamp Verlag

Suhrkamp bezieht sein neues Verlagshaus: Der Suhrkamp Verlag ist ein zweites Mal in Berlin angekommen

Am Montag nehmen die Mitarbeiter in dem neuen, von Architekt Roger Bundschuh entworfenen Sitz am Rosa-Luxemburg-Platz die Arbeit auf.

Allein die Treppen im neuen Suhrkamp-Haus hoch- oder herunterzulaufen, ist ein kleines Ereignis. Von Stockwerk zu Stockwerk werden sie an einer Seite von Bücherregalen flankiert. Darin finden sich Exemplare der verschiedenen Reihen des Verlages: Suhrkamp-Taschenbücher, gebundene Belletristik-Erstausgaben, Ausgaben des Insel und des Jüdischen Verlags oder des Verlags der Weltreligionen, den Sublabels von Suhrkamp. Oben dann, auf dem Weg vom fünften in den sechsten und obersten Stock, wo sich die Abteilung "Rechte und Lizenzen" befindet, stehen die ausländischen Ausgaben, die ein Vielfaches der deutschen ausmachen. Gleich zu erkennen: Uwe Tellkamps Erfolgsroman „Der Turm“.

Eine „narrative Treppe“ nennt Suhrkamp-Unternehmenssprecherin Tanja Postpischil an diesem schwülen Augustdienstag den Aufgang im Inneren des Hauses direkt an der Ecke Torstraße/Rosa-Luxemburg-Straße in Mitte.

Seit Mitte vergangener Woche sind die knapp 130 Mitarbeiterinnen des Verlages dabei, ihre Umzugskisten zu packen, am Montag nehmen sie ihre Arbeit im neuen Headquarter auf. Das Provisorium in dem Gewerbehaus an der Pappelallee in Prenzlauer Berg, wo der Verlag die vergangenen neun Jahre auf zwei Etagen beheimatet war, gehört der Vergangenheit an. Auch wenn Postpischil den Spruch von der narrativen Treppe als Scherz verstanden wissen will, steckt doch einiges mehr darin. Es sind nicht nur die Bücher des Verlages, die Geschichten erzählen – der Verlag selbst produziert unentwegt Geschichten, nicht zuletzt seitdem er sich in Berlin angesiedelt hat. Man denke nur an den epischen, existenzgefährdenden Streit mit dem einstigen, 2015 verstorbenen Mitgesellschafter Hans Barlach, der das Traditionshaus erst in die Insolvenz und schließlich zur Umwandlung des Verlags von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft führte.

Der lange Weg von Frankfurt nach Mitte

Oder man denke an den Umzug 2010, vom jahrzehntelangen Stammsitz in Frankfurt am Main nach Berlin, wo der Verlag 1950 von Peter Suhrkamp gegründet wurde. Der Umzug war von vielen Nebengeräuschen begleitet, unter anderem der Frage, wo der Verlag in Berlin denn überhaupt unterkommen sollte. Senat und Verlag hatten seinerzeit das inzwischen unter Denkmalschutz stehende Nicolai Haus in der Brüderstraße in Mitte nahe der Leipziger Straße ins Auge gefasst, woraus aus vielerlei Gründen nichts wurde. Das Pappelallee-Provisorium schien zur Dauerlösung zu werden, nicht untypisch für Berlin. Auch wegen des kräftezehrenden und bündelnden Streits unter den Gesellschaftern, der die Suche nach einem ultimativen Verlagssitz erschwerte und verzögerte.

Nun aber, so sagt es Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe an diesem Dienstagnachmittag beim Rundgang durch das neue Stammhaus, „kommt es mir vor, als seien wir ein zweites Mal in Berlin angekommen, und zwar endgültig angekommen, auch weil wir hier noch näher am Zentrum der Stadt sind“. Schon früh, im Jahr 2011, kurz nach dem Umzug nach Berlin, erzählt Landgrebe, hatte er die Hamburger Juristin Birgit Steenholdt-Schütt kennengelernt und mit ihr über die Möglichkeit gesprochen, die Baulücke an der Ecke Tor-/Rosa-Luxemburg-Straße, im Rücken der Volksbühne, mit einem Haus für den Suhrkamp Verlag zu schließen. Steenholdt-Schütt ist Vorstand der IBAU AG, der Industriebaugesellschaft Centrum am Bülowplatz – wie der von dem Architekten Hans Poelzig in den zwanziger Jahren mit einer Blockrundbebauung versehene Rosa-Luxemburg-Platz bis 1933 hieß. Sie leitet auch den Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Platz.

Oben Literatur, unten Fine Dining

Dass der Architekt Roger Bundschuh für das Suhrkamp-Gebäude verantwortlich sein würde, und zwar ohne Ausschreibung, stand früh fest. Bundschuh hat das direkt gegenüberliegende Haus entworfen, ein mehr an eine Skulptur erinnerndes, zerfurcht-monolithisch und düster wirkendes sechsgeschossiges Wohn- und Geschäftsgebäude, in dem eine Craft-Beer-Bar im Erdgeschoss die Mitte-Touristen versorgt. Der Suhrkamp-Verlagssitz mit seinen vielen großen, Transparenz und Offenheit versprechenden Glasflächen, seiner hellen Aluminiumfassade, die ihn schon von Weitem eindeutig als Bürogebäude kennzeichnen, korrespondiert gut mit diesem schwarzen Bundschuh-Bau. Wie zwei Wächter flankieren beide Gebäude den Beginn der Rosa-Luxemburg-Straße.

Erstaunlich daran ist für Berliner Verhältnisse, dass das Suhrkamp-Haus in der geplanten Bauzeit fertig wurde und der Verlag, wie vor zwei Jahren angekündigt, tatsächlich in diesem Sommer einzieht. Was wiederum, so bekräftigt Jonathan Landgrebe, dringend nötig gewesen ist. Stetig sei die Miete in der Pappelallee gestiegen, bis an Schmerzgrenzen für einen mittelständischen Verlag wie Suhrkamp. Es dauert zwar noch eine Weile, bis unten im Eingangsbereich das Restaurant eröffnet, das die holländischen Gastronomen Lode van Zuylen und Stijn Remi betreiben werden – ihr zweites nach dem „Lode & Stijn“ in der Lausitzer Straße. Auch der Durchgang von der Torstraße direkt unter dem Gebäude, der quer auf den eigentlichen, nur von der Rosa-Luxemburg-Straße einzusehenden dreieckigen und der Öffentlichkeit zugänglichen Vorplatz des Hauses zuführt, harrt noch seiner Fertigstellung. Ebenso ist die zukünftige Grünfläche auf dem Platz mit der geplanten Baumbepflanzung noch eine Baustelle.

Ein intellektuelles Kraftzentrum für Berlin

Doch vom ersten Stock an ist im Haus fast alles eingerichtet. Und wieder ist es ein Vergnügen, durch die von Bücherregalen gesäumten Räume zu streifen. Zumindest dem Äußeren nach zu urteilen, dürfte die Arbeitsatmosphäre gut werden. Die Regale, in denen auch die in den Farben des Regenbogens gehaltenen Bände der Edition Suhrkamp und die klassisch schönen Bibliothek-Suhrkamp-Bände untergebracht sind, fungieren als vielfältig angeordnete Raumteiler. Die Großraumbüros geben den Blick in Richtung Süden frei. In einem stehen auch zwei bunte Edition-Suhrkamp-Sessel, die der Architekt und Designer Friedrich von Borries entworfen hatte, als der Verlag 2011 einige Monate einen Edition-Suhrkamp-Laden in der Linienstraße betrieb.

Berlin im Griff: Das neue Suhrkamp-Haus in Mitte, hier Blick von der Linienstraße
Berlin im Griff: Das neue Suhrkamp-Haus in Mitte, hier Blick von der Linienstraße
© Bartels

Ausgerichtet zu der deutlich betriebsameren Torstraße befinden sich wiederum die kleineren Einzelbüros. Landgrebe und Postpischil betonen, dass die Regale nicht zuletzt lärmdämpfend sind. Immer wieder verweist Landgrebe auch auf kleinere Rückzugs- und Kommunikationsinseln, die vor dem Hintergrund des Trends zum effizienten, unpersönlichen, bücher- und papierfreien Verlags- und Mediengebäude geradezu anachronistisch wirken, gewissermaßen etwas Antizyklisches haben.

„Wir sind doch auch antizyklisch“ erwidert Landgrebe verblüfft lächelnd, um sogleich von dem Blick gerade aus den oberen Stockwerken auf Fernsehturm, Rotes Rothaus und Park Inn Hotel zu schwärmen. Von hier lässt sich genauso gut auf die seinerzeit von Poelzig bespielte, auseinanderdriftende Achse von Rosa-Luxemburg- und Almstadt-Straße schauen.

In letzterer liegt unter anderem die Buchhandlung „pro qm“, die wie die zahlreichen Galerien in der August- und der Linienstraße, die nicht weit entfernten Bars Hackbart's und Drei oder die zahlreichen Läden an der Torstraße, die Volksbühne natürlich sowie das Babylon Kino zur unmittelbaren Nachbarschaft des Verlags gehören. Dass diese Nachbarschaft kreative Impulse produziert, dass hier ein intellektuelles Kraftzentrum in Berlin entsteht, kann man sich denken. Jonathan Landgrebe allerdings möchte solche Interpretationen nicht überbewerten.

Dem Verlag geht es wirtschaftlich wieder gut

Der Verlag wird wie schon in der Pappelallee kleinere Hauslesungen veranstalten, plant jedoch keine weiteren Events unten im Restaurant oder dem benachbarten größeren Raum. Man wolle den Partnern in den Buchhandlungen und Theatern keine Konkurrenz machen, so Landgrebe. „Hier im Haus gilt es, Bücher zu planen und zu verlegen.“

Das macht Suhrkamp nach dem Ende der Turbulenzen wieder sehr erfolgreich. 2017 sei eines der besten Jahre des Verlags gewesen, so Landgrebe. Es war das Jahr, in dem der langjährige Suhrkamp-Autor Robert Menasse mit „Die Hauptstadt“ den Deutschen Buchpreis gewann und Elena Ferrante mit den ersten drei Bänden ihrer Neapel-Tetralogie monatelang die deutschen Bestsellerlisten dominierte.

Mit Gewinnen aus solchen Erfolgsbüchern allein finanziert man natürlich kein neues Verlagshaus. Zu der Frage nach den genauen Kosten schweigt sich Landgrebe jedoch aus. Er spricht davon, dass das Haus dem Verlag „Sicherheit“ gebe, es „solide finanziert“ sei, „aus Mitteln des Verlags, der IBAU AG und durch die senatseigene Investitionsbank Berlin“. Zum Termin der feierlichen Einweihung hält der Suhrkamp-Verleger sich ebenfalls bedeckt. Tatsächlich gibt es auch den bislang nicht, weil der Bau im Erdgeschoss eben noch nicht abgeschlossen ist. Dass der Verlag das Haus schon bezogen hat und darin seine Arbeit aufnehmen kann, ist ja allein schon eine Erfolgsgeschichte.

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