Oper: Der Stimmenfänger
Ein Job für Jongleure: Christoph Seuferle ist Operndirektor in der Bismarckstraße. Derzeit leitet er das Haus kommissarisch, bis Dietmar Schwarz seine Intendanz antritt.
Gestern „La Traviata“, heute „Don Carlo“, morgen „Lohengrin“ – 160 verschiedene Solisten treten in dieser Spielzeit an der Deutschen Oper auf, an 150 Abenden zwischen September und Juni. Der Mann, der dabei den Überblick behält, heißt Christoph Seuferle. Als Operndirektor an der Bismarckstraße sorgt der 45-Jährige dafür, dass an jedem Abend die richtigen Sänger auf der Bühne stehen. Ein extrem wichtiger Job in allen großen Opernhäusern, die im Repertoirebetrieb arbeiten. Weil eine große Anzahl von Produktionen im täglichen Wechsel gezeigt werden, müssen ununterbrochen neue Besetzungen zusammengestellt und engagiert werden.
Intendanten und Chefdirigenten legen zumeist nur die künstlerische Grundlinie fest, entscheiden, welche Stücke neu inszeniert werden sollen, wünschen sich für bestimmte Rollen bestimmte Stars. Wenn die Premierentermine fixiert sind, beginnt Christoph Seuferles Arbeit: ein kniffeliges Puzzlespiel mit Namen, Daten, Zahlen: Da gilt es einerseits, die hauseigenen Kräfte so einzusetzen, dass sie ihre Verpflichtungen möglichst effektiv erfüllen und sich gleichzeitig künstlerisch weiterentwickeln können. „Der kroatische Bassist Ante Jerkunica beispielsweise hat 2007 als Ensemblemitglied bei uns mit sogenannten Wurz’n angefangen, also winzigen Nebenrollen“, erzählt Seuferle. „Inzwischen singt er beispielsweise den Großinquisitor im neuen ,Don Carlo’“.
Bei der Verpflichtung von Gastsängern wiederum muss der Operndirektor immer mit dem Taschenrechner arbeiten: Denn die Abendeinnahmen müssen zwingend über den Kosten für die externen Gäste liegen. Bei beliebten Stücken wie „Carmen“ oder der „Zauberflöte“ kann Seuferle sich erlauben, neue, noch unbekannte Namen auszuprobieren. Raritäten dagegen verkaufen sich nur, wenn Stars dabei sind. So hat er beispielsweise für die Wiederaufnahme der alten Götz-Friedrich-Inszenierung von Verdis Frühwerk „Luisa Miller“ die Publikumslieblinge Leo Nucci und Marcelo Alvarez verpflichtet.
Operndirektoren müssen Spaß daran haben, blitzschnell umzuschalten: Gerade haben sie noch über die Frage nachgegrübelt, welche Sängerin 2015 wohl eine ideale Tosca wäre – da klingelt das Telefon und die Turandot von übermorgen meldet sich krank. Da müssen dann Seuferle und seine drei Mitarbeiterinnen vom künstlerischen Betriebsbüro ruckzuck Ersatz beschaffen, damit die Vorstellung stattfinden kann. „Handy und Internet haben diesen Teil des Jobs stark vereinfacht“, sagt Seuferle. „Früher mussten lange handschriftliche Listen geführt werden, wenn man wissen wollte, welcher Sänger gerade welche Partie an welchem Haus singt und somit als Einspringer infrage kommt. Heute genügt ein Klick im Netz.“ Fast unvorstellbar auch, dass man vor dem Mobilfunkzeitalter mit Karteikarten hantierte, auf denen pro Sänger manchmal zehn verschiedene Festnetznummern standen: neben dem Privatanschluss auch die Verbindung zur Masseurin, von der sich der betreffende Künstler regelmäßig durchkneten ließ, oder zur Nachbarin, die den Herrn Kammersänger notfalls aus dem Mittagsschlaf klingeln konnte.
Eigentlich wollte der in Stuttgart geborene Seuferle Regisseur werden. Nach dem Studium an der Wiener Hochschule für Musik fand er seine erste Anstellung als Spielleiter an der Bayerischen Staatsoper München. Von dort wechselte er als Regieassistent nach Genf – und war zur rechten Zeit am rechten Ort. Als der dortige Intendant Hugues Gall nämlich an die Pariser Oper abgeworben wurde, nahm er Seuferle mit und machte ihn 1994 in der französischen Hauptstadt zum „directeur du planning et da la scène“. Gall hatte sich nämlich vorgenommen, das in Paris herrschende Stagione-Prinzip nach italienischem Vorbild abzuschaffen und einen Repertoirebetrieb zu etablieren. Dafür brauchte er einen Fachmann, der sich im deutschen Opernalltag auskannte.
Nach sieben Jahren in Paris wurde Christoph Seuferle eine attraktive Stellung in Südfrankreich angeboten: An der Opéra de Montpellier konnte er ein ambitioniertes Programm realisieren, bei dem er auch vergessene Werke zur Diskussion stellte. So wurde Kirsten Harms’ Chefdramaturg K. W. Meyer auf ihn aufmerksam. 2007 wurde Seuferle Operndirektor in Berlin. Bis zum Amtsantritt des neuen Hausherren Dietmar Schwarz im Herbst 2012 bekleidet er in dieser Saison zusätzlich auch den Posten des Kommissarischen Intendanten.
Dank dieses „Zweitjobs“ muss er sich gerade mit den Verzögerungen herumschlagen, die bei den Baumaßnahmen an der Obermaschinerie aufgetreten sind: Seit langem schon war geplant, ab Mai 2012 die Zugeinrichtungen für Vorhänge und Bühnenprospekte im Bühnenturm zu erneuern. Weil während der Arbeiten nicht gespielt werden kann, hatte sich Seuferle ein Alternativprogramm bis zum Beginn der sommerlichen Spielzeitpause ausgedacht, um die Belegschaft nicht zum Spazierengehen schicken zu müssen: Konzertant sollten verschiedene Opern in der Philharmonie und im Konzerthaus aufgeführt werden. Doch dann machte ihm die Bürokratie einen Strich durch die Rechnung. Die vorgeschriebenen Ausschreibungsverfahren zogen sich länger hin als prognostiziert, die Arbeiten können dementsprechend erst in der kommenden Saison durchgeführt werden. Ärgerlich, findet Seuferle. Zwar konnte er noch die Buchungen der Säle stornieren, doch jetzt muss er sich mit dem Vorwurf herumschlagen, warum die Deutsche Oper denn bitte schön im eigenen Hause Oper in Konzertversion anbietet statt mit Dekoration und Kostümen.
Chefdirigent Donald Runnicles übrigens ist für Christoph Seuferle ein Glücksfall: Weil der Brite zu jenen Maestri zählt, die stets sensibel auf die Bedürfnisse ihrer Solisten reagieren, ist er in der Szene extrem beliebt. Was es wiederum für den Operndirektor leicht macht, für Abende, an denen Runnicles im Graben steht, tolle Künstler zu gewinnen.
Wagnersänger, hat Seuferle beobachtet, sind übrigens höchst zuverlässige Zeitgenossen. Sie planen gern Jahre im Voraus und erscheinen dann auch tatsächlich, wenn ihr Termin gekommen ist. Viele Tenöre und Soprane, die Verdi und Puccini singen, legen dagegen auch in Terminfragen gerne Lässigkeit an den Tag: Erst lassen sie sich ewig bitten – und sagen dann doch in letzter Minute wieder ab.
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