Ruth Bader Ginsburg: Der Star vom Supreme Court
Für manche ist sie nur „Notorious RBG“: Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg hat in den USA Rechtsgeschichte geschrieben. Jetzt läuft ein Porträt im Kino.
Anfang November hielten Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern den Atem an, als bekannt wurde, dass sich die 85-jährige Ruth Bader Ginsburg, die älteste Juristin am neunköpfigen Supreme Court, sich bei einem Sturz drei Rippen gebrochen hatte. Amerika hatte gerade erst eine mediale Schlammschlacht um die Neubesetzung mit dem kontroversen Trump-Kandidaten Brett Kavanaugh hinter sich. Zwei moderate Richter hatte Donald Trump innerhalb eines Jahres mit konservativen Juristen ersetzt.
An Ginsburgs Gesundheit hängt gerade die letzte Hoffnung des liberalen Amerika. Mit der Ernennung des Abtreibungsgegners Kavanaugh hat sich die politische Balance am Obersten Gerichtshof erstmals seit Jahrzehnten zugunsten der Konservativen verschoben. „Ich habe mich in der Rolle einer Kindererzieherin gesehen“, erzählt die 1993 von Bill Clinton an den Supreme Court berufene Ginsburg im Dokumentarfilm „RBG - Ein Leben für die Gerechtigkeit“ von Betsy West und Julie Cohen.
Ginsburg war die zweite Frau nach der konservativen Sandra Day O'Connor, die das höchste Richteramt bekleidete. Die zierliche jüdische Ostküsten-Intellektuelle und die schneidige Texanerin O'Day schmiedeten bis zu deren Ausscheiden vor zwölf Jahren ein Zweckbündnis in der bis 1981 rein männlich besetzten Kammer.
Doch es war Ruth Bader Ginsburg, von ihren Fans nur „RBG“ genannt, die die juristische Landschaft Amerikas von den frühen siebziger Jahren an umgewälzt und mit einer Reihe von Präzedenzfällen als Anwältin der American Civil Liberties Union (ACLU) die gesellschaftliche Stellung von Frauen verbessert hat. Vor dem Gesetz, erklärte sie Bezug nehmend auf den Bürgerrechtsanwalt Thurgood Marshall, dem ersten Afroamerikaner am Supreme Court, sei Geschlechterdiskriminierung mit Rassendiskriminierung gleichzusetzen.
„The Notorious RBG“ wurde sie für ihren juristischen Kampf von Pop-Millennials genannt – nach dem Gangstarapper Notorious B.I.G.. Erstwähler lassen sich ihr Gesicht auf den Oberarm tätowieren, unzählige Memes kursieren im Internet, Fernsehteams filmen sie bei ihrem täglichen Fitnessprogramm – die Richterin ist zum Popstar geworden. Und im nächsten Jahr kommt ein Biopic in die Kinos. West und Cohen ist die Begeisterung für die spröde alte Dame in jeder Szene dieser CNN-Produktion anzumerken. Die Filmemacherinnen interviewen Ginsburg selbst, aber auch Kollegen, Rechtsexperten, Jugendfreundinnen sowie Kinder und Enkelkinder.
West und Cohen porträtieren die Richterin als eine Ikone der Frauenbewegung und eine brillante Strategin, vor allem aber als Stimme der Vernunft, die sich in ihrer gesamten Karriere als moderierende Kraft verstand und auch am Supreme Court stets die politischen Flügel zu einen versuchte. Diese Position musste sie im Anbetracht der zunehmenden Ideologisierung der vergangenen 20 Jahre langsam aufgeben. Eine Fotomontage zeigt Bader Ginsburg 1993, im Jahr ihrer Berufung, als moderate Richterin im Mittelpunkt der überwiegend männlichen Kollegen. Heute steht Ginsburg aufgrund der personellen Veränderungen mit ihrer liberalen Haltung weit am linken Rand des politischen Spektrums am Obersten Gerichtshof.
Spitz formulierte Argumente
Sie sieht sich immer öfter gezwungen, sich gegen die Mehrheitsmeinung des Supreme Court auszusprechen. Ihre spitz formulierten Argumente in diesen „dissent papers“ werden künftigen Generationen einmal als Zeugnisse dafür dienen, wie eng verflochten juristische und politische Positionen im Amerika des 21. Jahrhunderts sind.
Von ihrem Lebensmotto können auch die US-Medien, die auf jede Provokation Trumps mit aufgeheizten Eilmeldungen reagieren, noch lernen: „Rede dich nie in Rage“, das habe sie von ihrer Mutter gelernt, erzählt sie West und Cohen. Dies fällt aber selbst Ginsburg, die im Gerichtssaal über Jahrzehnte mit dem Sexismus ignoranter Würdenträger konfrontiert war, immer schwerer. Nachdem sie vor zwei Jahren den damaligen Präsidentschaftskandidaten Trump kritisiert hatte, zweifelten nicht nur einige Republikaner ihre Tauglichkeit für den politisch neutralen Supreme Court an.
Dass ihre Treue allein der amerikanischen Verfassung gilt, zeigt sich allerdings schon darin, dass sie es in Barack Obama Amtszeit abgelehnt hat, freiwillig aus dem Obersten Gerichtshof auszuscheiden, um dem Präsidenten die Möglichkeit zu geben, ihren Platz mit einer jüngeren liberalen Richterin zu besetzen. „So lange ich die Kraft habe, werde ich mein Amt ausüben“, sagte sie damals. Diese Hypothek lastet nun auf ihr – und auf Amerika. Ginsburg muss noch (mindestens) zwei Jahre durchhalten. Erst wenn sie auch die Präsidentschaft von Donald Trump gesundheitlich überstanden hat, ist ihr Lebenswerk vollendet.
In 10 Berliner Kinos; OV: Kino Central Berlin, Delphi Lux, Babylon (Kreuzb.), Moviemente, Filmtheater am Friedrichshain
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