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Aufgewacht. Prinzessin Aurora (Iana Salenko) musste lange auf ihren Prinz Desiré (Leonid Sarafanov) warten.
© Felix Zahn/dpa

Dornröschen-Premiere: Der Stachel der Spitze

Nacho Duato startet als Intendant des Staatsballetts Berlin – und bringt seine St. Petersburger „Dornröschen“-Inszenierung an die Deutschen Oper.

Es fällt schwer, sich an einen Künstler zu erinnern, bei dem die herzlich-rauhe Berliner Willkommenskultur so komplett versagt hat, wie jetzt bei Nacho Duato. Seit bekannt wurde, dass der Spanier auf Vladimir Malakhov als Intendant des Staatballetts Berlin folgen soll, reißen die Vorabverrisse nicht ab. Dabei immer gerne aufgespießt: Berlin hatte den 1957 geborenen Duato schon vor rund 25 Jahren verpflichten wollen, als er unter den Fittichen von Jirí Kyliàn am Nederlands Dans Theater vom Tänzer zum Choreografen reifte. Dass Duato nun, nach für ihn wenig erfolgreichen Jahren, doch noch in der Stadt anheuert, gilt vielen bereits als Zeichen des Niedergangs.

Ein Eindruck, den auch die Dokumentation „Der Choreograf Nacho Duato“ nährt, die Arte am 22.2. ausstrahlt. Sie entwirft das Porträt eines entwurzelten Künstlers, der die Kränkung durch den Rauswurf beim Spanischen Nationalballett nicht verwinden kann. Nach mehr als zwei Jahrzehnten an dessen Spitze, sah er die Compagnie als sein Lebenswerk. Fatalistisch nimmt Duato danach das Angebot eines Bananen-Oligarchen an, das Ballett des St. Petersburger Mikhailovsky- Theaters zu übernehmen. Dort debütiert er 2011 mit „Dornröschen“: ein schlafloser, von Zigaretten und Rotwein umwölkter Fremder, der nachts mit seiner Handykamera spricht und bei den Proben neben dem rotbackigen Oligarchen so bedroht wie Yves Saint Laurent durch die Brille blinzelt. Dann kam das Angebot aus Berlin, näher dran an Madrid.

Klassische Handlungsballette sind nicht sein Ding

Und wieder gibt Duato seinen Einstand mit „Dornröschen“, das er aus St. Petersburg mitgebracht hat. Was dort Pflicht für ihn war, wirkt hier ohne erkennbare Motivation – zumal der neue Staatsballett- Chef aus seiner Abneigung gegen klassische Handlungsballette nie einen Hehl gemacht hat. Um sich gegenüber dem prägenden klassischen Vorbild von Petipa zu positionieren, wollte sich Duato ganz in Tschaikowskys Musik vertiefen. Keine schlechte Idee, denn der Komponist bediente nicht nur taktgenau die Vorgaben Petipas. In den besten Stellen seiner Partitur arrangierte er kunstvoll melodiös schwingende Vordergründe und abgründig schwankende Unterwelten. Was man davon wann tanzt, kann ein hellhöriger Choreograf immer wieder aufs Neue entdecken. Doch – und das ist die erste Enttäuschung des Abends – so genau hat Duato gar nicht zugehört. Sein musikalischer Zugriff bleibt unklar, zwar nicht immer strikt auf Takt gezählt, aber daraus auch keine Kraft gewinnend. Ungerührt stehen seine Tänzer neben den einkomponierten Spektakeln, und davon gibt es viele. Selbst ein Walzer kann keine Fliehkraft entfalten. Zwischen Bühne und Graben funkt’s nicht, weil die Sichtweisen sich zu sehr ähneln: Auch Robert Reimer arbeitet sein Pensum am Pult des Orchesters der Deutschen Oper runter, ohne erhellende Akzente zu setzen. Wären die Musiker nicht gerade in guter Verfassung, dieses „Dornröschen“ hätte noch rumpelstilziger ausfallen können.

Die Phantasie seiner Tänzer zu beflügeln ist die vornehmste Aufgabe, wenn man einer technisch so versierten und auffassungsschnellen Compagnie wie dem Staatsballett vorsteht. Duato tut auch hier nur das Nötigste: Weg mit der Ballettpantomime des Originals, dafür bleiben gefürchtet gezierte Spitzenfiguren drin, bei denen selbst die wunderbare Iana Salenko als Prinzessin Aurora völlig unnötig ins Straucheln gerät. Dass alle Bewegung ursprünglich von den Tänzern und ihren individuellen Fähigkeiten ausging, so wie die Oper den Stimmen der Sänger folgte und nicht umgekehrt – man spürt es nicht. So bleibt vieles farblos, nicht mal das Böse kann das Zerfließen des Abends hemmen. Worüber sollte sich die Carabosse (Rishat Yulbarisov) auch aufregen? Niemand ist sauer, wenn er zu den fahlen Reigen des Duato-Hofstaats nicht geladen wird. Der eingeflogene Leonid Sarafanov tanzt seinen Prinz Desiré so erfahren wie unmotiviert. Eine gewaltige Spannkraft, die verpufft in einem unentschlossenen Abend. Nur leicht gekürzt, bleibt er noch immer ein dreiaktiger, zweipausiger Dreistünder. Und den versprochenen Unterhaltungswert weitgehend schuldig. Nein, ein gelungener Einstand sieht anders aus.

Weitere Vorstellungen am 20.2., 6./15.3., 3./6.4., 28./31.5. sowie am 5./7.6.2015. Arte sendet die Dokumentation „Der Choreograph Nacho Duato“ am 22.2. um 0.15 Uhr.

Ulrich Amling

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