Junge Berliner Verlage: Der Schatzsucher
Gegen den Strom: Sebastian Guggolz will mit seinem neuen Verlag auf Literatur aus Nord- und Osteuropa aufmerksam machen. Ein Besuch in Schöneberg.
Die blauen Fensterrahmen des kleinen Ladenlokals leuchten von Weitem, mildes Spätsommerlicht fällt durch die Schaufenster in die schlicht möblierten Räume des Guggolz-Verlags in der Schöneberger Gustav-Müller-Straße. Das Bücherregal neben der Fensterfront, die Sitzgruppe davor – ein Stillleben.
Im hinteren Teil des Büros wird es lebendiger. Dort beginnt der Wirkungsbereich von Sebastian Guggolz, der den Verlag vor wenigen Monaten gegründet hat, um dem Berliner Lesepublikum verkannte, übersehene, in Vergessenheit geratene Perlen der nord- und osteuropäischen Literatur zu erschließen. „Unter den politischen Bedingungen im 20. Jahrhundert ist dort sehr viel Interessantes untergegangen. Man hatte nur sehr begrenzte Wege in die russische Literatur, Etliches wurde überhaupt nicht publiziert. Auch Nordeuropa ist auf dem deutschen Markt zu kurz gekommen, abgesehen vom Krimi-Geschäft. In Skandinavien oder Estland gibt es fantastische Autoren, die komplett vergessen sind“, erläutert Guggolz die Programmatik seines Verlags.
Guggolz hat in Hamburg Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften studiert, bevor er 2005 nach Berlin kam. Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Schöneberg – der gebürtige Oberschwabe hat die übliche Wohnungsodyssee der Zugezogenen hinter sich. Mit seinem Verlag hat er nun ein Zuhause gefunden.
Auf dem großzügigen Schreibtisch in der Mitte des Raums stapeln sich alte Ausgaben, Werke von Autoren, deren Namen man noch nie gehört hat: Anton Tammsaare, Wssewolod Garschin, Finn Alnæs, Aino Kallas. Auf viele von ihnen ist Guggolz über die eigene Lektüre gestoßen, andere entdeckte er bei Onlinerecherchen. Etwa Frans Eemil Sillanpää, den bis heute einzigen finnischen Literaturnobelpreisträger. Er erhielt den Preis 1939; der spätere Nobelpreisträger Hermann Hesse unterlag Sillanpää im Juryvotum. Zum Finnlandschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse im Oktober präsentiert der Guggolz-Verlag dessen Roman „Frommes Elend“, ein stilistisch außergewöhnliches Buch, ein Meisterwerk der humanistischen Literatur.
Von 2008 bis 2013 war Sebastian Guggolz als Lektor bei Matthes & Seitz tätig
Mit dem Anliegen, alte Schätze zu heben, ist der Verlag nicht allein. Seit über 50 Jahren macht sich auf diesem Feld auch die Friedenauer Presse von Katharina Wagenbach-Wolff verdient, seit 30 Jahren die von Hans-Magnus Enzensberger und Franz Greno gegründete Edition Die Andere Bibliothek. Hinzu kommen Retrouvaillen und neu übersetzte Klassiker der Groß- und Kleinverlage, die Autoren wie Gaito Gasdanow, Emmanuel Bove oder Nathaniel Hawthorne neu auflegen.
Zu dieser Entwicklung beigetragen hat auch der Berliner Verlag Matthes & Seitz, bei dem Guggolz von 2008 bis 2013 als Lektor tätig war. Als rechte Hand von Verleger Andreas Rötzer trug er seinen Teil dazu bei, dass Jean-Henri Fabres phänomenale Insektenkunde, Warlam Schalamows erschütternde „Erzählungen aus Kolyma“ oder Jacques Yonnets Erkundungen des abseitigen Paris wiederentdeckt werden konnten.
Guggolz spricht mit Stolz über Matthes & Seitz, aber auch mit Melancholie. Für ihn handelt es sich nach wie vor um „einen der interessantesten Verlage“. Sein Weggang ging mit einem Wandel einher, den er nicht gutheißt: In immer kürzerer Zeit werden immer mehr Titel publiziert. „Ich habe das immer auch als Belastung empfunden, weil ich den Eindruck hatte, dass man den einzelnen Büchern nicht gerecht werden kann“, erinnert sich Guggolz. „Oft sind die eigenen Lieblinge in der Wahrnehmung total untergegangen.“
Im Mai 2013 zog er die Konsequenz und verließ Matthes & Seitz. Wobei er sich die Freundschaften mit Kollegen, Autoren und Übersetzern bis heute bewahren konnte. Gelitten hat allerdings das vertrauensvolle Verhältnis zu seinem Mentor Andreas Rötzer. „Er ist mit Abstand die wichtigste Person für meine Entwicklung, was das Büchermachen betrifft“, sagt Guggolz unumwunden. Dennoch habe er dessen Kurs nicht mehr unterstützen können. Ein für ihn ungelöster Zwiespalt.
Ansonsten wirkt Sebastian Guggolz mit sich im Reinen. Unaufgeregt und gewissenhaft spricht er über das Frühjahrsprogramm 2015: Er wird einen unbekannten Text des russischen Autors Michail Prischwin sowie einen erstmals direkt aus dem Färöischen übersetzten Roman von Heðin Brú präsentieren. Ein besonderes Anliegen ist ihm die Arbeit der Übersetzer. „Da ich viel mit wirklich guten Übersetzern zusammenarbeite, sehe ich, was ihre Arbeit für eine Leistung ist.“ Nichts ärgert ihn mehr als deren prekäre Situation. Wenigstens die Übersetzer seines Verlags will er besser honorieren.
Spricht man Guggolz auf die Debatte um Amazon an, verdreht der Verleger nur die Augen. Die Diskussion ziele am Thema vorbei, jedenfalls aus der Sicht eines Kleinverlags. Sein Problem sei nicht der Internetkonzern, sondern das Verhalten der Groß- und Bahnhofsbuchhandlungen. „Bei denen tauche ich nicht auf, bei Amazon schon.“ Auch im digitalen Bereich bürstet er gegen den Trend. „Für mich ist ein digitaler Text nicht so viel wert wie ein gedruckter Text“, weshalb er vorerst keine E-Books herausbringen wird.
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Irgendwie passt das zu seiner Vorstandstätigkeit im Förderkreis des Berliner Literaturhauses: seine Art, zum „Wohle der Literatur“ beizutragen. Und als Lesepate in der Schöneberger Spreewald-Grundschule leistet er seinen Beitrag zur Förderung des Lesenachwuchses. Jeden Dienstag liest er dort mit Kindern, die gerade nach Deutschland gekommen sind und schlecht Deutsch sprechen. Die Aufgabe erfüllt ihn, sagt er, er könne sie anderen nur ans Herz legen.
„Mein Ziel war es immer, etwas zu machen, was andere als schön wahrnehmen.“ Sebastian Guggolz’ Devise klingt romantisch. Aber auch rebellisch in einer Branche, in der das Schöne schnell unter den Stapeln des Gewöhnlichen verschwindet.
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