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Schrittmacher. Will McBride wurde ab 1954 zum Chronisten der Berliner Jugend. Hier 2014 bei seinem letzten Auftritt in der Galerie C/O Berlin..
© Tim Brakemeier/picture alliance / dpa

Nachruf auf Will McBride: Der Schatten auf der Mauer

Will McBride war ein radikal persönlicher Künstler mit der Kamera. Jetzt ist der große Fotograf Berlins gestorben.

So jung war Berlin, so lebenshungrig und sexy. Die fünfziger Jahre in der damals bereits zweigeteilten, aber noch nicht von einer Mauer durchtrennten Stadt gelten gemeinhin eher als graue, zähflüssige Zwischenzeit. Brückenjahre zwischen dem Wiederaufbauwillen der Trümmerfrauen und den frenetischen „Ho, Ho, Ho Chi Minh!“-Rufen der rebellierenden Studenten. Ausgerechnet in dieser Ära hat Will McBride die Euphorie des Aufbruchs entdeckt. Seine Fotos, die zwischen 1956 und 1963 entstanden, zeigen jugendliche Hipster bei einer Dampferfahrt mit Skifflemusik, Halbstarke mit ihren Mofas am Bahnhof Wannsee, Horst Buchholz beim Entzünden einer Zigarette, Kinder in Karohemden, die einen amerikanischen Panzer bestaunen. Einige Bilder scheinen vor Lebenslust schier zu platzen.

Die Parole, so McBride, lautete: „Hitler ist tot. Lang lebe der Ragtime!“ „Hier war die in zwei Teile zerrissene, ausgebreitete Doppelseite der Nachkriegsgeschichte“, notierte er später. „Wir haben Berlin gewählt, diese gefährliche Welt, diesen merkwürdigen Ost-West-Mischmasch, diesen Apostroph in der Geschichte. Wir kamen hierher, um nach dem Leben zu greifen, um ein Stück Erfahrung zu fassen.“ Der Erfahrungshunger hatte schon Generationen von jungen Amerikanern nach Europa getrieben. Nur waren sie meist wie Henry James in London, wie Ezra Pound in Italien oder wie Hemingway in Paris gelandet. McBride, 1931 in St. Louis geboren, hatte seinen Militärdienst in Würzburg absolviert. Statt im Anschluss gleich in die USA zurückzufliegen, zog er erst einmal nach Berlin, wo er an der Freien Universität Literatur und Geschichte studieren wollte, alimentiert durch ein Army-Stipendium.

Aus dem Studium wurde nichts, McBride machte lieber Fotos, die als Vorlagen für Gemälde dienen sollten, und bekam bald Aufträge von Blättern wie der „New York Times“, „Stern“, „Paris Match“ und „Life“. Für die „Quick“ nahm er Kennedy, Adenauer und Willy Brandt vor dem vermauerten Brandenburger Tor auf. Adenauer guckt nussknackerhaft, Kennedys Präsidentenhaar wird von einem Windstoß dramatisch aufgebauscht. Eine Ausstellung von McBrides fotografischem Frühwerk, mit der die Berliner C/O-Galerie im Spätherbst am neuen Standort am Bahnhof Zoo wiedereröffnete, trug den Titel „Ich war verliebt in diese Stadt“.

Nachkriegstristesse in Westberlin. McBrides Aufnahme entnehmen wir dem Bildband „Will McBride: Berlin im Aufbruch. Fotografien 1956–1963“. Leipzig, Lehmstedt Verlag, 2013, 29,90 €.
Nachkriegstristesse in Westberlin. McBrides Aufnahme entnehmen wir dem Bildband „Will McBride: Berlin im Aufbruch. Fotografien 1956–1963“. Leipzig, Lehmstedt Verlag, 2013, 29,90 €.
© Lehmstedt Verlag

Die gezeigten Aufnahmen wirkten überraschend modern, die jugendlichen Protagonisten mit ihren Blue Jeans, schwarzen Rollkragenpullovern und asymmetrischen Bohemefrisuren würden problemlos auch ins heutige Straßenbild passen. Ein letztes Mal war der Künstler in der Öffentlichkeit erschienen, an Krücken und sichtlich ausgezehrt, und sagte nur, dass er zu den Bildern nichts sagen wolle. Ein Zitat von ihm hing als Motto an der Wand: „Berlin wurde in dieser Zeit wahrlich wieder jung.“

Der Fotograf McBride war kein unbeteiligter Beobachter, oft ist er buchstäblich mittendrin in seinen Bildern, die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre existiert nicht mehr. Mit seinem hemmungslosen Subjektivismus wurde er zum Vorläufer von Fotografen wie Nan Goldin oder Wolfgang Tillmans, die ihr Leben in die Kunst holten. Auf seinen Bildern ist McBride mit seinen Freunden unterwegs, auf Motorrollern oder in einem Kremser-Wagen, sie feiern, musizieren, trinken und streiten miteinander. „Wir bildeten voller Eigenliebe, Selbstanbetung und Egoismus ein Kollektiv der Selbstsucht.“

Das Mädchen, das auf den Fotos am ausgelassensten wirkt, heißt Barbara. Es ist McBrides spätere Ehefrau, die er auch nackt mit Brautschleier, beim Sex und bei der Geburt des gemeinsamen Sohns Shawn aufgenommen hat. Als die Zeitschrift „twen“ 1960 ein Bild der hochschwangeren Barbara druckte, löste das einen Skandal aus. Für derlei Intimität war die junge Bundesrepublik noch nicht reif. Beim frisch gegründeten Magazin „twen“, das vom legendären Art Director Willy Fleckhaus gestaltet wurde, schuf McBride, der dafür nach München zog, eine neue, hochartifizielle Ästhetik der Empfindsamkeit. Seine Bildstrecken waren zunächst noch reine Reportagen, etwa über das Internat Salem, später wurden daraus inszenierte Versionen der Wirklichkeit, assoziative Aufnahmen vom „neuen Menschen“ oder eine Aktserie unter der Überschrift „Warum er mich nicht betrügt“.

Will McBride sympathisierte mit den Hippies

Erst gelacht, dann geheiratet. McBrides spätere Ehefrau Barbara.
Erst gelacht, dann geheiratet. McBrides spätere Ehefrau Barbara.
© Lehmstedt Verlag

Körper in ein gutes Licht zu rücken, herumzuprobieren, Bildpointen zu finden, das hatte Will Mc Bride bei Norman Rockwell gelernt, bei dem er Anfang der fünfziger Jahre neben seinem Malereistudium in Chicago Privatunterricht nahm. Rockwell wurde mit seinen Titelbildern für die „Saturday Evening Post“ berühmt. Von ihm übernahm McBride auch die Begeisterung für junge Sportler. Er sollte später alles offenlegen, selbst die heiklen und privatesten Seiten seines Lebens.

McBride sympathisiert mit den Hippies, fotografiert das Ensemble der deutschen „Hair“-Uraufführung nackt, sucht Lebenssinn in Indien und veröffentlicht den Bildband „Siddhartha“. Als seine Frau sich von ihm trennt und „twen“ eingestellt wird, rutscht er in eine tiefe Krise. Sogar den Auszug seiner drei Söhne, die nach der Scheidung aus seinem Leben verschwinden, hat er fotografiert. Und in seiner Autobiografie „I, Will McBride“ präsentiert er die Rechnung eines Sanatoriums, in dem er sich von einem Nervenzusammenbruch kurierte.

Sein radikales Aufklärungsbuch „Zeig Mal!“, das Will McBride 1973 mit der Psychologin Helga Fleischhauer-Hardt herausbrachte, hat er nach Indizierungsanträgen vom Markt nehmen lassen. Es zeigt erwachsene und kindliche Sexualität, wurde mehrfach preisgekrönt und geriet unter Kinderpornoverdacht. Nach längeren Aufenthalten in Italien und Frankfurt am Main ist McBride um die Jahrtausendwende zurückgekehrt nach Berlin. Hier hat er dann hauptsächlich gemalt. Das mache ihn „am meisten glücklich“, sagte er. Außerdem gebe es in ganz Europa keine selbstvergessenen Gesichter mehr, die es zu fotografieren lohne. Am Donnerstag ist McBride in Berlin gestorben. Er wurde 84 Jahre alt.

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