Kultur: Der Puls schlägt noch
Michael Caine spielt in „Der stille Amerikaner“ die Rolle seines Lebens
Michael Caine ist für den britischen Film wahrscheinlich das, was Philippe Noiret für den französischen und Marcello Mastroianni für den italienischen verkörpert: so etwas wie ein ambivalenter und deshalb treffender Nationalcharakter. Quer durch ihr Rollenprofil und durch ihre Lebensjahrzehnte standen diese Schauspieler für gewisse Archetypen und schrieben sie durch ihre Arbeit fort: hier der behäbige,aber zuzeiten auch flinke Bonvivant, dort der lebenslange Schwerenöter, der sich der Eitelkeit seines Tuns melancholisch bewusst ist – und schließlich das Regengesicht unter den Heiteren, der Spröde unter den Komikern, der Unterspieler unter den eleganten Ausspielern: Michael Caine, unser Understatement-Brite für immer.
Liebe zum Tee
Mag sein, dass er in Thomas Fowler, dem Indochina-Korrespondenten der „Times“ in Phillip Noyces „Stillem Amerikaner“ die Rolle seines Lebens gefunden hat – so sehr kreuzen sich in dem ebenso ernst- wie schalkhaften, umsichtigen, zunächst ein wenig ausgemustert erscheinenden Journalisten seine vertrautesten Spielzüge. Ganz sicher aber ist: Caine der Star dieses Films – da mag der Titel noch so sehr den scheinbar offenherzig-naiven, tatsächlich aber höchst undurchsichtigen Amerikaner Alden Pyle (Brendan Fraser) fokussieren, den offenbar eine Art karitatives Forschungsprojekt in den Fernen Osten verschlagen hat. Doch es ist Caines Fowler, der geruhsam beim Tee auf der Terrasse des Hotels Continental in die größte Bewährungsprobe seines schon längeren Lebens schlittert, und er bewältigt sie, wie sollte es auch anders sein, im Ergebnis fast mit links. Dabei tut Caine nicht viel mehr als ein bisschen Reden und Hin- und Hergehen zwischen Menschen, und doch hält er damit schon alles zusammen.
Wir sind im Saigon der frühen Fünfziger Jahre, wie Graham Greene es für seinen Roman „Der stille Amerikaner“ verewigt hat; wir sind in einer nächtlich-tropischen Fluss- und Stadtszenerie, von Roger Ford so opulent ausgestattet und von Wong Kar-weis Lieblingskameramann Christopher Doyle so kongenial trancehaft fotografiert, dass dem Zuschauer sogleich das Hemd am Leibe kleben will. Es ist die Zeit, in der die französische Kolonialmacht bereits den Würgegriff einer kommunistischen Guerilla spürt, einer Schattenmacht, die eines Tages das Land von Norden her erobern wird. Es ist die Zeit, da die Amerikaner sich – voller Verachtung für die französischen „Weicheier“ und berstend vor eher geostrategischem als demokratischem Missionswillen – bereits selbst in den Spinnennetzen dieses unerfasslichen Vietnam zu verfangen beginnen. Es ist die Ruhe vor dem Sturm: die Schwüle vor der Schlacht, in der ein Jahrzehnt später dreieinhalb Millionen Vietnamesen und 60000 Amerikaner zu Tode kamen.
Graham Greenes „Der stille Amerikaner“ erzählt, von Arroganz zu Ahnungslosigkeit, von Attentat zu Anschlag, wie es dazu kam - und tatsächlich hat er mit diesem Buch fast das Nationalepos des neueren Vietnam geschrieben; so offen formulierte er darin seine Sympathie für dieses Land und die Antipathie für die einander ablösenden Fremdherrscher Frankreich und Amerika. Diese politischen Pole hat Greene unaufdringlich in einer Dreiecks-Liebesgeschichte justiert – und metaphorisiert; und, schöner Trost, auch die hier zunächst hoffnungslos Unterlegenen erweisen sich am Ende als die eigentlichen Sieger.
Die Verfilmung des Australiers Phillip Noyce nun setzt – mit dem ökonomisch-klaren Drehbuch des Theatermannes Christopher Hampton – das Wesen des Romans hochsensibel um. Wenn man so will: Sie fühlt ihm einen Puls, der, jenseits aller Kriege und Friedensschlüsse, bis heute schlägt. Man mag einwenden: Der britische Korrespondent und professionelle Beobachter Thomas Fowler ist keineswegs durchweg nobler Zeuge des Geschehens, sondern Partei, von Anfang an. Schließlich hat der schon einigermaßen alte Mann, mit Phuong (Do Thi Hai Yen) eine wunderschöne vietnamesische Geliebte, die er alsbald an seinen jungen amerikanischen Bekannten Alden Pyle zu verlieren droht. Ja, Fowler kämpft, sogar zeitweise mit unlauteren Mitteln. Aber er lässt auch gelten, er gibt auch in kühler Selbsterkenntnis frei. Er ist bereit, diese Liebe dem stärkeren, frischeren Konkurrenten, mit dem er sich auf merkwürdig gelassene Weise angefreundet hat, preiszugeben – bis er erkennt, dass er auf einem ganz anderen Feld, das ihn freilich noch fataler an den Amerikaner bindet, erneut Partei ergreifen muss. Die Amplituden zwischen Liebe und Politik, die wechselnden Taktiken und Überzeugungen, das Kalkül und die Leidenschaft: Zwischen diesen Magnetfeldern, die sich auch äußerst kolportagehaft ausbreiten ließen, bewegt sich der Film mit immer wieder imponierender Finesse.
Eine Liebe, eine Freundschaft, ein Krieg: Natürlich ist das ein filmisches Allerweltsrezept. Und doch verzichtet der „Stille Amerikaner“ auf jedes genretypische, gewissermaßen epische Cinemascope. Die Schlachtszenen: eine Andeutung. Die Liebesszenen: ein Hauch. Das Historiengemälde: ein Kammerspiel. Der Film führt in siedendes Seelengelände und verliert doch, ebenso wie seine unschurkischen, aber auch unheldischen Helden, nie den Überblick; der französischen Dauerlust am Gefühlsverbalisieren ist er ebenso abhold wie der Hollywood-Neigung, überschüssige Energie ins Überdeutliche aufzulösen; stattdessen regiert eine fruchtbare Kombination aus britischer Kühle und asiatischer Unergründlichkeit.
Über den Rand hinaus
Wie die Geschichte endet? Lesen Sie Graham Greene! Oder lesen Sie in den Augen von Michael Caine. Immer wieder bleibt sein Gesicht für Sekunden in der Szene, über die üblichen Ränder einer Einstellung hinaus. Umwerfend still, wie dieser Mann in sich hineinzuhorchen scheint; einer, der mit allen Fasern am Leben festhält, während um ihn herum das Zerstörungswerk beginnt. Für solche Seelenlagen hat das Kino das schwarze Happy End erfunden, das man mit einem Lächeln nimmt.
Capitol, Filmpalast, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Passage, Babylon (OmU), Cinestar im Sony-Center (OV)
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