Akif Pirinçcis Hass-Buch "Deutschland von Sinnen": Der Pöbler und die Neue Rechte
Akif Pirinçci wütet in seinem Buch „Deutschland von Sinnen“ gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer. Erschienen ist das Pamphlet in einem Verlag, der Demokratiegegner und Sozialstaatshasser vereint.
„Künstler, Denker, Visionäre“ vermisst Akif Pirinçci. Statt ihrer muss der 54-jährige Deutschtürke eine Republik des „Raubtiersozialismus“ ertragen, in der er seine Steuern zahlt, um eine „verschwulte“ Polizei zu unterhalten, in der es von lotterhaften „Patchworkfamilien und Singlebörsen“ wimmelt, wo sich alle Welt „mit dem Abseitigen des Sexus“ beschäftigt, dessen „vielfältige Deformationen“ preist. Derart häufen sich die Zumutungen, dass der „Adoptivsohn“ seiner „liebsten Mutter, Deutschland“ zürnend und krakeelend in deren düstere Zukunft blickt.
Dem Erfolgsautor, der mit Katzenkrimis („Felidae“) bekannt wurde, entgleitet das gloriose Land, das ihn einst als neunjährigen Gastarbeitersohn aufnahm. Jetzt rechnet der Ultrawutbürger in seinem Buch „Deutschland von Sinnen“, Untertitel: „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“, mit der Gegenwart ab. Erschienen ist es im Manuscriptum-Verlag, der nach nur zwei Wochen die vierte Auflage druckt. Ein Verlagsmann spricht von Verkaufszahlen „noch im fünfstelligen Bereich“.
Die Kernthese des Textes, der sich streckenweise wie eine „Titanic“-Satire auf neokonservative Positionen liest, lautet: In Deutschland dominieren suspekte Adepten der political correctness die Medien und das „kulturelle Leben“. Pirinçci schildert diese Clique in einem schillernden Cocktail aus schrillen Ressentiments, er mixt ein Gebräu, das Abertausende gerne zu sich nehmen. Gemeinsamer Nenner der an Anders Breiviks „Manifest“ zum Massaker erinnernden Tirade ist „schlussendlich ein vor allem von den Grünen im Laufe von dreißig Jahren installiertes Gutmenschentum, dessen Fundament aus nichts als Lügen besteht.“
Pirinçci attackiert "rot-grüne Wichser" und die "linksversiffte Presse"
Die von Pirinçci Attackierten „rot-grünen Wichser“ und die „linksversiffte Presse“ schätzen Gender-Mainstreaming, lehren Soziologie, stellen Antidiskrimierungsbeauftragte ein, mögen „Pro Asyl oder Flüchtlingsräte, Solar- und Windenergiebarone, Greenpeace & Co.“. Zudem verabscheut der Autor „Gutachter für die Migranten- und Wohlfahrtsindustrie, Umweltverbände, stramme Kommunisten von den Linken, eine staatsfetischistische Justitia, faschistoide Zusammenrottungen wie die Antifa“. In Online-Kommentaren zu den – durchweg entsetzten – Rezensionen geben Tausende anonymer Pirinçci-Konsumenten zu Protokoll, dass sie sich von der Kritik nicht abschrecken lassen.
Wie für Breivik sind auch für Pirinçci Männer keine echten Männer mehr, Frauen keine echten Frauen. Die gute, alte Welt wurde auf den Kopf gestellt. Darin dürfte er sich zwar mit traditionellen Muslimen einig sein, doch gerade die rangieren, zumal als Empfänger von Transferleistungen, weit oben auf seinem Steckbrief. Implizit zieht der Autor seriöse Kritiker etwa des politisierten Islam in seinen Cocktail hinein, der Rechtsradikalen besonders gefällt. Anders als Breivik, der das Ausagieren von Ressentiment, Hass und Paranoia mörderisch zelebrierte, belässt es dieser Tobende offenbar beim Wort; man muss hoffen, dass auch seine Rezipienten so viel Zurückhaltung aufbringen.
Im brutalisierten Furor gegen Deutschlands inneren Feinde wie in der sentimentalen Idealisierung von Deutschland als guter Mutter offenbart sich ein System psychischer Abspaltungen. Darin gleichen Pirinçcis imaginäre Gegner eher Karikaturen, Comic-Charakteren, als lebendigen Menschen, von denen er kaum einen Begriff zu haben scheint. Daher fehlt hier dann auch der politische Begriff von einer Gesellschaft, die ethische Vorstellung von Menschlichkeit überhaupt.
Pirinçci bietet Sarrazin im RTL-2-Format
Offenbar sind tatsächlich beachtliche Anteile der Bevölkerung Deutschlands von Sinnen, diejenigen, die emotional mit dem pathologischen Wirrwarr dieser Publikation korrespondieren. Ob sie es aus Überforderung tun, um der Reizdichte und Komplexität der modernen, medialen Gesellschaft zu entkommen – als Symptomträger geben die Rezipienten Aufschluss über die epidemische Verbreitung von Ressentiments sowie das offenbar nur mit Mühen gebändigte Bedürfnis, ihnen enthemmt freien Lauf zu lassen. Denn war auf die Sarrazinaden noch der Puderzucker bürgerlicher Konvention gestreut, bietet Pirinçci rohes Fastfood für die Massen, Sarrazin im RTL-2-Format, ohne Statistiken, Fremdwörter, Nebensätze; eben „Klartext“, und das fluchend, pöbelnd, hemdsärmelig, rachsüchtig.
Vom Kulturpessimismus zur Demokratieverachtung der Neuen Rechten.
Die Bereitschaft, sich Sündenböcke zu basteln, teilt der Autor mit seinem Publikum. Dessen Kommentare aber liefern den von Pirinçci gescholtenen Soziologen so kostbares Studienmaterial über die Ressentiments von Zeitgenossen. Rasch alles kopieren, das sind Quellen. Caroline Fetscher.
"Der Wohlfahrtsstaat hat uns in die Zange genommen.“ „Feminismus ist eine tropfende Hassreligion, ein totalitärer Umbau der Normalität.“ Die „auszehrende Monotonie des westlichen Diskurses“ führt zu einem „Dasein ohne Herkunft, Heimat, Nachkommenschaft und Transzendenz“.
Empörung und Resignation mischt sich in diesen Stoßseufzern über eine Welt, die sich im ewigen Umbruch befindet. Ist es nicht eigentlich schon zu spät für den Protest, die Schlacht bereits verloren? Die geharnischte Kulturkritik entstammt drei aktuellen Neuerscheinungen aus der „Edition Sonderwege“, in der auch Akif Pirinçcis Bestseller „Deutschland von Sinnen“ herausgekommen ist. Die zwei Dutzend Autoren der zum Manuscriptum-Verlag gehörenden Edition sind ausschließlich Männer – ältere, verbittert bis weinerlich wirkende Männer, deren Wut sich gegen die immergleichen Gegner wendet: die Emanzipation der Frauen, die Moderne, den Westen.
Auffällig: Viele Autoren haben das politische Lager gewechselt
Unter den Sonderwege-Autoren haben auffallend viele das politische Lager gewechselt. Der Kabarettist, Alt-Hippie und Liedermacher Bernhard Lassahn, der nun gegen die Homosexuellen-Ehe und den „Krieg gegen den Mann“ agitiert, hat früher für den Diogenes-Verlag humoristische Unterhaltungsromane aus dem WG-Milieu der achtziger Jahre geschrieben. Frank Böckelmann, Verfasser des Verwestlichungs-kritischen Pamphlets „Jargon der Weltoffenheit“, hat als SDS-Funktionär begonnen und beteiligte sich mit Rudi Dutschke und Dieter Kunzelmann an der „Subversiven Aktion“. Und der emeritierte Soziologieprofessor Gerhard Amendt gehörte zu den Gründern des ersten Bremer Frauenhauses und polemisiert jetzt gegen „Frauenquoten – Quotenfrauen“.
Auch der Besitzer des im westfälischen Städtchen Waltrop ansässigen Verlags ist ein ideologischer Renegat. Thomas Hoof, 1948 im Münsterland geboren, war Geschäftsführer der nordrhein-westfälischen Grünen, bevor er aus der Partei austrat, weil sie ihm „zu links“ geworden war. Dann gründete der gelernte Buchhändler die Firma Manufactum, einen Kaufhaus- und Versandhandel für exklusive, oft handgefertigte Gebrauchsgegenstände, den er 2007 für geschätzte 20 Millionen Euro an die Otto-Gruppe verkaufte. Seitdem vereint er in der Thomas-Hoof-Gruppe unter anderem einen schleswig-holsteinischen Bio-Hof, Forstwirtschaften im Ruhrgebiet und in Holstein sowie einen Hersteller von Wärmespeicheröfen. Alle Produkte sind, das versteht sich von selbst, langlebig und etwas teurer.
Verleger verteidigt Pirinçcis Verbalausbruch als "Ton der Wut und des Zorns"
Thomas Hoof ist ein reicher Mann, aber angetrieben wird er offenbar von der Wut: „Ich ertrage Fernsehen und Zeitungen einfach nicht mehr wegen des völlig monotonen, volkserzieherischen, indoktrinierenden Curriculums, das da abgespult wird“, sagte er 2011 in einem Interview. Das ist eleganter formuliert, unterscheidet sich aber kaum von dem Furor, mit dem sein Autor Akif Pirinçci gegen die „rot-grün-versifften“ Medien wettert. Dessen pöbelnde, verwahrloste Sprache verteidigt der Verleger als „Ton der Wut und des Zorns, ohne Sondierungen, einschränkende Rückversicherungen und ironische Bemäntelung – das ist Bukowski-Sound, Çeline-Gepöbel, ein Wutanfall im Straßenjargon.“
Der Übergang vom Kulturpessimismus, dem viele Autoren der Manuscriptum-Verlagsgruppe anhängen, zur schneidigen Demokratieverachtung der Neuen Rechten ist fließend. Pirinçcis Verlagsleiter in der Edition Sonderwege sind André F. Lichtschlag, der das libertäre, gegen den Sozialstaat gerichtete Magazin „Eigentümlich Frei“ herausgibt, und Andreas Lombard, der „den täglich eskalierenden Kampf um Abtreibung, Einwanderung, Homosexuellenrechte, Genderismus, Feminismus“ beklagt. Ihnen wurde von der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ der Gerhard-Löwenthal-Preis verliehen.
„Es gibt sie noch, die guten Dinge“, lautet das Firmenmotto von Manufactum. Eine Formel, die Akif Pirinçci wohl kaum unterschreiben würde. Denn sein „Deutschland von Sinnen“ ist ein Gemeinwesen am Abgrund, in dem nichts mehr gut ist und das beherrscht wird von irren Frauenbeauftragten, unverschämten Homosexuellen und kriminellen Zuwanderern. Manufactum will übrigens nichts mehr zu tun haben mit seinem Gründer und distanziert sich von dessen Verlag.
Soeben ist in dem Band "Sprache - Macht - Rassismus" (Metropol Verlag, Berlin) eine ausführliche Analyse des Sprachgebrauchs von Akif Pirincci erschienen. Die Autoren Agniezska Satola und Joachim Spanger entschlüsseln in ihrem Aufsatz "Die Sprache des antimuslimischen Rassismus im Netz" einen Text, den Pirincci im März 2013 auf dem Blog "Die Achse des Guten" veröffentlicht hatte. Unter dem Titel "Das Schlachten hat begonnen" beschwor Pirincci einen bevorstehenden "Genozid" an den Deutschen durch gewalttätige, muslimische Jugendliche herauf. Wie in seinem aktuellen Buch berief sich der Autor darauf, dass "die Wahrheit" über diese aufziehende Gefahr von den Medien absichtlich verschwiegen werde. Die sprachliche Analyse führt den manipulativen und ideologischen Duktus von Pirincci klar vor Augen.
Christian Schröder, Caroline Fetscher