Ai Weiwei über Deutschland: „Der Nazismus existiert im deutschen Alltag“
Der chinesische Exilkünstler Ai Weiwei bezichtigt die Deutschen der Ausländerfeindlichkeit und der Autoritätshörigkeit. Mehr als je zuvor.
Der chinesische Exilkünstler Ai Weiwei hat seine Kritik an Deutschland noch einmal deutlich verschärft. Nach seinem von den chinesischen Behörden erzwungenen Weggang aus China 2015 lebte der Regimekritiker in Berlin: Nun bezichtigte er die Deutschen im Interview mit dem britischen „Guardian“ der Autoritätshörigkeit und einer Gesinnung wie in den 1930er Jahren.
„Faschismus bedeutet, dass man eine Ideologie über andere stellt und diese Ideologie für rein erklärt, indem man andere Denkungsarten abwertet“, sagte er. „Das ist Nazismus. Und dieser Nazismus existiert im deutschen Alltag von heute.“
Deutschland sei intolerant, bigott und autoritär. Ähnlich wie in China möge man hier „the comfort of being opressed“, die Bequemlichkeit, die Unterdrückung mit sich bringt. In China war Ai Weiwei 2011 verhaftet worden, ihm drohte eine jahrelange Gefängnisstrafe, er wurde jedoch nach 81 Tagen entlassen und unter Hausarrest gestellt.
Ai Weiwei, der in Berlin weiter ein Atelier am Pfefferberg unterhält, ist laut „Guardian“ vor einigen Monaten nach Cambridge gezogen, nicht zuletzt wegen seines inzwischen zehnjährigen Sohns Lao, der dort zur Schule geht.
Er wolle nicht, dass Lao unter feindseligen Bedingungen aufwächst. Deutschland sei kein guter Ort für Ausländer. In Großbritannien seien die Menschen „wenigstens höflich – in Deutschland waren sie es nicht“. Gegenüber der Zeitung erwähnt der 62-Jährige, sein Sohn sei hier kürzlich von einem Ladenbesitzer bedroht worden.
Es ist nicht das erste Mal, das Ai Weiwei mit Deutschland hart ins Gericht geht. Bereits im Frühjahr 2018 sprach der Konzeptkünstler und Filmemacher davon, Deutschland verlassen zu wollen. Während er in China mit seiner Kunst immer auch wieder Tabu-Themen wie die Erdbeben-Toten von Sichuan thematisierte, wandte er sich im Exil vor allem dem Flüchtlingsthema zu, etwa mit seinem Dokumentarfilm „The Human Flow“.
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Zu Beginn des Berliner Human Rights Film Festivals im September 2018 betonte er im Tagesspiegel-Interview zunächst, der geplante Weggang habe keine politischen, sondern persönliche Gründe. Man denke über New York nach, weil für seinen Sohn eine englischsprachige Umgebung gut wäre.
Man darf davon ausgehen, dass bei einem etwas längeren Aufenthalt in Little Britain, Ai Weiwei noch heftigere Kritik im gleichen Duktus wie gegenüber Deutschland äußern wird.
schreibt NutzerIn W.Wang
Deutschland ist keine offene Gesellschaft, sagte Ai Weiwei 2019
Ein Jahr später, im August 2019, hatte sich das deutlich geändert. Während die Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ihm eine umfassende Retrospektive widmete, schimpfte er im "Welt"-Interview, Deutschland sei keine offene Gesellschaft.
Er berichtete von mehreren Ereignissen mit Taxifahrern, die er jetzt auch im „Guardian“ wieder erwähnt, und sagte, die Berlinale habe einen seiner Filme zensiert – eine Behauptung, die dem Faktencheck nicht standhielt.
Auf die Frage des „Guardian“, ob er glaube, Brexit-England sei ein Hort der Toleranz, betonte der Künstler, er mache sich keine Illusionen über Großbritannien, das Land sei dennoch besser für seine Familie. „Die Briten sind wenigstens höflich.
In Deutschland gibt es diese Höflichkeit nicht. Sie sagen einem, in Deutschland musst du Deutsch reden. Sie waren sehr rüde in Alltagssituationen. Sie mögen Fremde überhaupt nicht.“