Deutsche Digitale Bibliothek: Der nationale Aggregator
Kunst, Kultur und Wissen für alle: Die Deutsche Digitale Bibliothek geht online. Sie will eine Wunderkammer des 21. Jahrhunderts sein - muss aber auf das 20. Jahrhundert weitgehend verzichten.
Der Traum, den Jill Cousins von der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) hat, ist eine Art Wunderkammer für das 21. Jahrhundert. Ein Grünes Gewölbe des Internets, ein „theatrum naturae artisque“, wie es dem Universalgelehrten Athanasius Kircher im 17. Jahrhundert vorschwebte. Die ganz und gar nicht schnöde Wirklichkeit ist die ab sofort unter www.deutsche-digitale-bibliothek.de freigeschaltete Betaversion eines Portals, das Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der man die Geschäftsstelle zugeordnet hat, als Großprojekt zur „Demokratisierung von Kunst, Kultur und Wissen“ sieht. Und doch ist sie aus vielerlei Gründen eingeschränkt. Frühestens Ende 2013 werden alle Funktionen zur Verfügung stehen: die Möglichkeit, persönliche Sammlungen anzulegen. Wissensgraphen, die zu Neben- und Unterthemen führen. Oder auch kuratierte Ausstellungen. „Release early, release often. And listen to your customers“, heißt die dem Open-Source-Aktivisten Eric S. Raymond entlehnte Devise.
Die von der Deutschen Nationalbibliothek koordinierte DDB ist ein Teil der von Jill Cousins als geschäftsführender Direktorin vertretenen Europeana (www.europeana.eu). Ein „nationaler Datenaggregator“, der die digitalisierten Bestände von Museen, Denkmalämtern, Mediatheken, Archiven und Bibliotheken konsequent miteinander verlinken und komplexe Recherchen ermöglichen soll: Schülern, Lehrern, Studenten und Wissenschaftlern – kurz allen, die sich ein Thema erarbeiten wollen. Mit dem oben auf der Seite befindlichen Suchschlitz und den darunter angeordneten Themenangeboten ähnelt die DBB, die derzeit 5,6 Millionen Objekte von 1842 registrierten Einrichtungen umfasst, auch optisch der Europeana. Sie ist ohne Registrierung gratis zugänglich und als öffentliche Einrichtung keinen kommerziellen Interessen unterworfen.
Als Lieferant zuverlässiger Informationen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, ist die DDB überfällig, mit Blick auf die Wirtschaftsmacht privater Unternehmen wie Google aber ein David, der es auch unter Aufbietung sämtlicher Tricks und Schliche mit dem Goliath kaum noch aufnehmen kann. Selbst die Bestände der Europeana können sich mit der weltumspannenden Digitalisierungsleistung von Google Books nicht messen. Sie entstand in einer public private partnership, an der die Bayerische Staatsbibliothek, die jetzt bei der DDB eine entscheidende Rolle spielt, auch schon beteiligt war. An der Abgrenzung von öffentlichen und privaten Interessen festzuhalten, ohne die Übergänge zu verbarrikadieren, wird für beide Seiten eine der gewaltigsten Herausforderungen bleiben. Aber wer spricht in diesem Zusammenhang schon von Büchern?
Bei der Berliner Präsentation im Alten Museum ist am Mittwoch von ihnen kein einziges Mal die Rede. Stattdessen Multimedia-Trouvaillen wie eine gerippte Schellackaufnahme von Bachs Weihnachtsoratorium (samt Präsentation des Autografen) oder ein Asta-Nielsen-Stummfilm. Das alles sind essenzielle Bestandteile einer modernen Bibliothek. Zugleich darf man diesen Begriff nicht überstrapazieren. Denn in der DBB wird nichts aufbewahrt, was sonst verloren wäre. Man kann nichts entleihen, was man sonst kaufen müsste. Man kann keinen Online-Blick auf Zeitschriften werfen, die andere Bibliotheken im elektronischen Abonnement beziehen.
Der Grund ist klar: Die DBB umfasst nur digitalisierte Abbilder gemeinfreier Werke, was den Fokus schmerzhaft einschränkt. Hermann Parzingers Vorstellung, dass sich Touristen schon einmal im Netz mit der Sammlung eines Museums vertraut machen, das sie dann real besuchen, kommt an ihre Grenzen, wo es um Gegenwartskunst geht. Auch eine Institution wie das Marbacher Literaturmuseum der Moderne könnte sich, zumindest wo es um Textauszüge geht, nur mit Autoren präsentieren, deren Tod länger als 70 Jahre zurückliegt. Das 20. Jahrhundert ist der finstere Abgrund, in den die DBB, von viel zu wenigen Ausnahmen abgesehen, bis auf Weiteres starrt.
Das alles lässt sich mit guten Gründen verteidigen. Zugleich zeugt es von der haltlosen Schizophrenie einer Zeit, in der die DDB an ihrer im Grunde alexandrinischen Vision scheitern muss, Google mit gezielt kanalisiertem öffentlichen Wissen gute Geschäfte macht, Musikportale wie Spotify fast jede jemals erschienene CD kostenlos streamen, wenn man Werbespots akzeptiert, und Medienpiraten ohnehin wissen, wo und wie man sich welche Datei besorgt.
Spannend auch, welche privaten Sammlungen die DBB, die sich offen um diese bemüht, an sich binden kann, darf und wird. Das wunderbare Jean-Paul-Museum im oberfränkischen Joditz würde sie schmücken. Würde sie Beate Uhses Berliner Erotik-Museum verschmähen, wenn dessen Exponate ausreichende wissenschaftliche Nachweise hätten? Die prinzipiell unendliche Offenheit der für Nutzer barrierefreien DBB wird von vielen Faktoren im Zaum gehalten. Es wird sich zeigen, ob ein in Teilen geschlossenes – und das heißt vielleicht nur: anmeldepflichtiges – System nicht womöglich mehr Freiheit bringt. Fürs Erste aber gilt: Ran an die Suchmaschinen! Es gibt jede Menge zu entdecken.