Kultur: Der Mythos rotiert
Gerrit Bartels über die Mesalliance von Kurt Cobain und MTV
Zwischen den Jahren war es wieder so weit. Bei MTV hatte man einen Sendeplatz frei, und diese Plätze füllt der ehemalige Musiksender ganz gern mit Musik: am liebsten mit der hauseigenen Unplugged-Serie, am allerliebsten mit „Nirvana: MTV unplugged in New York“. Die Show, die Nirvana am 18. November 1993 knapp fünf Monate vor Cobains Selbstmord exklusiv für MTV gaben, ist eine der meistgezeigten Sendungen im Musikfernsehen, wenn nicht im Fernsehen überhaupt. Zu Cobains Geburtstag, zu Cobains Todestag, zum Jahrestag der Veröffentlichung von Nirvanas Album „Nevermind“, zu allen Gedenktagen, die etwas mit Grunge zu tun haben, und eben zu jeder freien Sendezeit zeigt MTV diesen kurz darauf auch auf Tonträger gebannten Nirvana-Set.
Das ist schön, weil man so immer wieder aufs Neue erleben kann, wie großartig zum einen die Songs von Nirvana sind, gerade weil sie sich ohne elektrische Verstärkung beweisen. Und zum anderen was für eine coole Sau Kurt Cobain doch war. Unrasiert, langmähnig, in Jeans, Turnschuhen und mit dieser absolut unfashionablen langen hellgrünen Strickjacke sitzt er da scheinbar ungezwungen und singt und klampft seine Lieder, zusammen mit seinen Nirvana-Kollegen Dave Grohl und Chris Novoselic sowie den großartigen Gebrüdern Kirkwood von den Meat Puppets.
Eher verwunderlich ist diese Dauer-Nirvana-Sendung allerdings, bedenkt man, dass Kurt Cobains Beziehung zu MTV eine zwiegespaltene, wenn nicht gar ablehnende war. Nach seinem Freitod ging er „als erster MTV-Toter“ („Spex“) in die Popgeschichte ein. Das Leiden am Mainstream, den er nicht zuletzt via MTV plötzlich mit definierte, das Leiden an der Popularität, das Leiden am Ausverkauf der Subkultur – all das gehörte zu Nirvana wie „Smells Like Teen Spirit“, und all das wurde nur zu gern auch als Erklärung für Cobains Selbstmord mit herangezogen. MTV, nicht zuletzt durch Nirvana erst schön, erfolgreich und stilprägend geworden, zeigte sich zunächst unbeeindruckt und machte einfach weiter, bekanntlich bringen ja gerade auch Rock’n’Roll-Tote ordentlich Quote.
Inzwischen jedoch trägt die Dauerrotation der Nirvana-Unplugged-Show fast Züge von schlechtem Gewissen. Und gleichzeitig verweist MTV mit der Show geradezu wehmütig auf die eigene große Zeit, auf eine Zeit, als es noch keine Dauerwerbesendungen für Klingeltöne, keine Kuppel- und keine Pimp-My-Ride-Shows gab. Denn so tot Kurt Cobain seit dreizehn Jahren ist, so sehr dämmert MTV seinem ewigen Vergessen entgegen. Die Songs von Nirvana aber bleiben.
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