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Plingplongdong. In seinem Proberaum in Neukölln hortet Tomi Simatupang zahllose Instrumente.
© Doris Spiekermann-Klaas

Festival Wassermusik in Berlin: Der Mischmaschmeister

Deutsch-indonesische Klänge beim Festival Wassermusik: Tomi Simatupang baut Instrumente für seinen Stil-Mix um.

Die alte E-Gitarre mit den vielen Aufklebern fällt in diesem Raum voller Trommeln, Orgeln, Bässen und Rasseln nicht weiter auf. Schaut man ein bisschen genauer hin, zeigt sich jedoch, dass sie etwas Besonderes ist: Ihr fehlen die Bundstäbchen auf dem Hals. Tomi Simatupang hat sie herausgenommen und die schmalen Zwischenräume mit Holzkitt gefüllt. Dadurch kann er die sechs Saiten auch zwischen den Halbtönen spielen.

Was das bringt, demonstriert der Kreuzberger Musiker mit einigen kurzen Läufen über das Griffbrett – pling, pling, pling, plong, plong. Für westlich sozialisierte Ohren hört sich der Notenverlauf ungewohnt an, weil kaum vorhersehbar. „Das ist eine javanische Tonleiter, die sich Pelog nennt. Auf einer normalen Gitarre ließe die sich gar nicht spielen“, erklärt Simatupang. Er hat die Fender Stratocaster mehrfach umgebaut – jetzt klingt sie endlich so, wie er es sich wünscht. Mit ihrer Kombination aus europäischen und asiatischen Elementen symbolisiert sie zugleich den musikalischen Ansatz des 32-Jährigen, der in der Verbindung vieler verschiedener Soundwelten sein künstlerisches Programm gefunden hat.

So von außen gesehen, scheint es relativ nahe zu liegen, dass sich der in Indonesien geborene und überwiegend in Deutschland aufgewachsene Toni Simatupang zu einem Genre-Hopper und Stile-Verschmelzer entwickelt hat. Doch wenn er in seinem Neuköllner Proberaum erzählt, wie es dazu kam, hört es sich durchaus beschwerlich an. Er benutzt Begriffe wie „Identitätskrise“ oder „Negativbestätigung“, erinnert sich an verständnislose Musiklehrer und Zeiten tiefer Orientierungslosigkeit.

Als Thomas Aquino Arif Setiawan Simatupang kommt er in Yokjakarta auf der indonesischen Insel Java zur Welt. Seine Eltern stammen aus verschiedenen Regionen und Religionen. Die Familie des Vaters kommt von der Nachbarinsel Sumatra und ist katholisch, die der Mutter ist muslimisch. „Zu Hause fanden häufig Proben eines katholischen Chors statt, die von meiner Oma und meiner Tante geleitet wurden“, sagt er. Hinzu kamen Gamelanmusik sowie Bruchstücke der auf Sumatra beheimateten Batak-Kultur. „Sonst habe ich vor allem die Kassetten meines Vaters gehört: Bob Dylan, Nina Simone, viel Beatles, die Rolling Stones, auch Frank Zappa.“ Das erste Instrument, das Simatupang selber spielt, ist eine Trommel, die er in einer Marching Band schlägt.

Zu diesem „Mischmasch“, wie es der Musiker nennt, kam für ihn im Alter von zehn Jahren ein regelrechter Kulturschock: Simatupangs Mutter, die für ein indonesisches Magazin aus Berlin über die Zeit nach dem Mauerfall berichtet hatte, zieht nach Detmold, wo sie einen neuen Mann hat. Tomi und seine ein Jahr ältere Schwester holt sie zu sich. „Wir waren die einzigen Indonesier weit und breit. Es gab überhaupt nur eine Handvoll Südostasiaten an der Schule. Als Kind merkt man: Hier kann niemand etwas mit deiner kulturellen Identität anfangen, also legt man sie ab. Ich habe dann auch Indonesisch fast verlernt.“ Dafür beginnt er Schlagzeug zu spielen, mit 14 lernt er auch Gitarre, später kommt der Bass dazu. Sein eher spielerisch-intuitiver Herumprobier-Zugang zur Musik kommt in der akademisch orientierten Welt der Musikschulen und Konservatorien allerdings nicht gut an, weshalb seine Aufenthalte dort meist nur von kurzer Dauer sind. Lieber probiert er sich bei lokalen Jazz-Jamsessions aus. Erst viel später lernt Simatupang Noten und Musiktheorie.

Dass er die drei im Rock- und Popkontext gefragtesten Instrumente, Gitarre, Bass und Schlagzeug, beherrscht, kommt Tomi Simatupang, der 2001 erstmals nach Berlin zieht, immer wieder zugute: Er wird sowohl von Berliner Kolleginnen wie Masha Qrella, Kat Frankie oder Susi Asado als auch von durchreisenden Bands für Studioaufnahmen gebucht. Dadurch kann er seine eigenen unkonventionellen Arbeiten finanzieren. Einen Einblick in sein buntes Universum gibt er nun mit einem szenischen Konzert beim Wassermusik Festival im Haus der Kulturen der Welt, dem er den Titel „Jabitudu Persilasi – A Pilot Incarnation“ gegeben hat. Von Jazz über Pop bis hin zu gamelaninspirierter Musik reicht die Genrepalette. Tomi Simatupang wird auf Indonesisch, Deutsch und Englisch singen und Gitarre spielen. Vier Musiker seiner Band That Tomi Simatupang Incarnation sowie der Chor des Hauses begleiten ihn.

Beim Konzept des Abends hat sich der Musiker von der Erzähltradition des javanischen Schattenspiels inspirieren lassen, in der zwei große Epen immer wieder neu abgewandelt werden. Nun dient seine eigene Lebensgeschichte als Stoff der Erzählung. Das titelgebende Wort Jabitudu Persilasi haben Simatupang und seiner Schwester erfunden. Als sie fünf und vier Jahre alt waren, spielten die beiden im Garten gerne ein Spiel: „Ich lief mit einer roten und einer grünen Tasse herum. Rot links, rechts grün. Ich war ein Flugzeug, das Jabitudu Persilasi hieß. Meine Schwester war der Tower und sprach davon, wo das Flugzeug überall hinfliegt“, erinnert er sich. Es war ein fast prophetisches Spiel, denn damals ahnten die beiden noch nicht, dass sie Indonesien verlassen und weit in der Welt herumkommen würden.

Als Tomi Simatupang mit Anfang 20 nach Berlin kommt, entdeckt er die Singer- Songwriter-Szene und versenkt sich vollständig ins folkige Fach. Aus dieser Phase gibt es die Platte „Blame It On Your Monkey“ und Uli M. Schueppels Dokumentarfilm „Berlin Songs“, der 2007 im Panorama der Berlinale lief. Darin werden noch fünf weitere Berliner Songwriter vorgestellt, doch die schönste Szene gehört Simatupang: Er steht in einer maroden Telefonzelle und schlägt mit den Händen auf die Wände ein, als sei die Zelle ein Percussioninstrument. Dazu singt er mit großer Inbrunst die Zeilen „Everybody loves me too much/It’s so hard to keep in touch“ – und kippt irgendwann durch das kaputte Türfenster nach draußen.

Zur Berlinale-Premiere reiste Simatupang damals aus Chicago an, wo er nach einer verunglückten Tour hängen geblieben war. Als die Homeland Security ihn nach der Berlinale nicht zurück in die USA lassen will, geht er nach Indonesien. Zwei Jahre wohnt er bei seinem Vater in Yokjakarta und studiert Gamelanmusik. „Allerdings habe ich bald festgestellt, dass ich die indonesische Art der Gesprächsführung überhaupt nicht beherrsche“, sagt er. Dort laufe alles indirekter, und er sei wahrscheinlich oft sehr grob rübergekommen.

Die Erfahrung, auch dort ein Exot zu sein, habe ihn aber befreit. „Damals habe ich gelernt, dass sich das alles nicht widersprechen muss.“ Und so vermengt Tomi Simatupang, seit er vor knapp vier Jahren wieder nach Berlin kam, nun all seine kulturellen Einflüsse in der Musik. So sind mit den Trennstäbchen auf dem Gitarrenhals in gewisser Weise auch seine persönlichen Grenzen gefallen.

Konzert: Haus der Kulturen, 9.8., 19 Uhr

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