Spirit: Der Mensch hinter der Maske
Diesen Donnerstag läuft "The Spirit" endlich im Kino an. Frank Millers Comicverfilmung lädt zu einer Neuentdeckung des großen Zeichners Will Eisner und seines beeindruckenden Frühwerks ein.
Was für ein Auftakt! „Um diese Geschichte zu lesen, brauchen Sie zehn Minuten – es sind die letzten zehn Minuten in Freddys Leben.“ Mit diesen Worten beginnt die Kurzgeschichte „Ten Minutes“, die viele Anhänger Will Eisners zu seinen besten zählen. Auf gerade mal sieben Seiten führt der Comic-Autor und Zeichner darin beispielhaft vor, wieso er bis heute als unangefochtener Meister seines Faches verehrt wird: Mit Tiefgang und Ernst aber zugleich hochspannend und unterhaltsam erzählt Eisner in „Ten Minutes“ die tragische Geschichte eines jungen Mannes, der durch Dummheit zum Mörder wird und am Schluss dafür teuer bezahlen muss. Wie Eisner seine Hauptfigur in realistischen, einfühlsamen Bildern zeichnet und beschreibt, wie er von der packenden Eingangsszene in wenigen, exakten Bildern das ganze Drama eines verpfuschten Lebens entfaltet, das ist auch 60 Jahre nach der Erstveröffentlichung dieser Geschichte von zeitloser Qualität.
Nicht allen Anhängern von Will Eisners „Spirit“ wird Frank Millers Film gefallen, der jetzt auch bei uns in die Kinos kommt. Aber sie können sich damit trösten, dass das Hollywood-Spektakel wenigstens ein Gutes hat:
Es wird auch in Deutschland dazu beitragen, dass dieser Klassiker der grafisch erzählten Krimi-Tragikomödie endlich von einer breiteren Leserschaft entdeckt wird. Denn auch wenn der Spirit in den USA zum Kanon der Populärkultur zählt – in Deutschland ist er bislang jenseits von Comic-Fankreisen kaum bekannt.
Arme Teufel, die in falschen Situationen die falschen Entscheidungen treffen
Besonders gut für eine Neu- oder Wiederentdeckung eignet sich hierzulande die sorgfältig editierte und hochwertig gedruckte komplette Sammlung von Eisners „Spirit“-Comics der Reihe Salleck-Publications im Eckart-Schott-Verlag. Chronologisch geordnet lässt sich in dieser deutschen Übertragung der Gesamtausgabe aus dem DC-Verlag die erzählerische und künstlerische Entwicklung Eisners während seiner Spirit-Jahre 1940 bis 1952 nachvollziehen.
Wer die bei allen Bänden leicht in die Hunderte gehenden Kosten für diese Sammler-Edition scheut und nur einen ersten Einblick in die Original-Folgen des Spirit bekommen möchte, für den empfiehlt sich eine Auswahl der besten Strips, die der DC-Verlag als erschwingliches Taschenbuch vorgelegt hat. Auf Deutsch ist diese Sammlung ebenfalls im Verlag Eckart Schott erschienen.
Gerade in den späteren Geschichten zeigt sich Eisners Meisterschaft darin, spannende Mini-Dramen mit moralisch aufgeladenen Botschaften zu verknüpfen, die heutzutage angesichts des gerade in Comics verbreiteten Zynismus und der Gewaltverherrlichung fast ein wenig naiv wirken. Wer sich drauf einlässt, wird jedoch nicht unberührt bleiben, von Geschichten wie der Parabel von „Rat-Tat“, der Maschinenpistole, die davon handelt, wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Immer wieder geht es um verpfuschte Lebensläufe, Menschen in Notlagen, arme Teufel, die in falschen Situationen die falschen Entscheidungen treffen oder Bösewichte, die angesichts menschlicher Not ihre guten Seiten entdecken.
Einfühlsamer Erzähler, Visionär der Comic-Kunst
Der „Spirit“, der von Eisner widerwillig auf Drängen seiner Herausgeber mit einer Maske verkleidete Verbrechensbekämpfer, spielt dabei oft nur eine Nebenrolle. Zum Beispiel in der tragikomischen Geschichte um den kleinen Gerhard Shnobble von 1948. Die beginnt mit einer Warnung, die über vielen Eisner-Geschichten stehen könnte: „Dies ist keine witzige Geschichte!“ Das ist angesichts des leicht karikierenden Zeichenstils und des auch den ernsteren Geschichten innewohnenden Witzes eine durchaus angebrachte Warnung. Bei Gerhard Shnobble umso mehr, denn seine auf sieben Seiten komprimierte Lebensgeschichte ist exemplarisch für Eisners tiefen Humanismus.
Shnobble hat nämlich die außergewöhnliche Fähigkeit, dass er fliegen kann. Das durfte er jedoch nie ausleben, weil niemand seine Besonderheit schätzte. Als der lebenslang missachtete Kerl eines Tages in einer Notsituation endlich sein Talent wiederentdeckt, gerät er versehentlich in ein Feuergefecht zwischen dem Spirit und einer Gangsterbande und stirbt – sodass nie je ein Mensch sein Talent sah.
Wer sich auf Eisners frühe Werke einlässt, entdeckt nicht nur einen einfühlsamen Erzähler, sondern auch einen Visionär der grafischen Erzählung, der seine Ideen in damals – und zum Teil auch heute noch – revolutionären Bildideen umzusetzen wusste. So schildert er zum Beispiel eine Mordszene aus der Sicht des Mörders – und zwar im Wortsinne, das heißt, der Leser schaut aus der am Bildrand sichtbaren Augenhöhle des Täters auf das Geschehen.
Immer wieder überschreitet der Zeichner die Grenze zum Surrealen, so in der meisterhaften Kurzgeschichte „The Last Trolley“, in der der Spirit einen Mordverdächtigen durch einen in einer geisterhaften Straßenbahn inszenierten vermeintlichen Mord zu einem Geständnis verleitet.
Zwei Handschuhe reichen aus
Wer durch das Gesamtwerk von Eisners Spirit blättert, schaut in eine Comic-Wundertüte, die für manchen Neu-Leser anfangs etwas gewöhnungsbedürftig sein mag. Viele Geschichten, vor allem aus den Anfangsjahren, sind gradlinig erzählte, auf den ersten Blick teils altmodisch aussehende Detektivabenteuer, in denen der Spirit Verdächtige verfolgt, sich prügelt und Killer überführt.
Manches davon ist Slapstick, es gibt neben bemerkenswert realistischen Zeichnungen immer wieder dramatisch überzeichnete Körperformen, karikierende Visagen und Traumszenen. Eisner bedient sich aus unterschiedlichsten Genres, mischt seine Krimis mit Elementen aus Mystery, Horror und Science Fiction.
Immer wieder taucht auch der „Krake“ auf, einer von Spirits Erzfeinden, der im aktuellen Kinofilm dem Original entsprechend als „Octopus“ daherkommt und von Samuel L. Jackson gespielt wird. Diese Figur illustriert Eisners Virtuosität ganz besonders: Während Miller sich im Film auf das Gesicht und die körperliche Präsenz von Jackson verlässt, hat Eisner die Figur im Original nie wirklich gezeigt – alles, was man von ihr sieht, sind zwei braune Handschuhe, die hinter Fenstern, Vorhängen oder vom Bildrahmen her in die Handlung eingreifen. Wieviel Witz, Brutalität und mysteriöse Spannung Eisner aus diesem Paar Handschuhe ableitet, das ist atemberaubend.
Beispielhaft zeigt das eine Folge von miteinander verknüpften Kurzgeschichten aus dem Jahr 1947. Sie beginnen mit einer brutalen Prügel- und Folterszene, in der der nahezu unsichtbare Octopus dem Spirit übel zusetzt.
Mit sparsam eingesetzter Farbe und durch den Wechsel von schnellen und langsamen Szenen entfaltet Eisner dann eine zunehmend an Fahrt gewinnende Krimi-Handlung, die in einem grafisch verspielten und erzählerisch virtuosen Showdown endet.
Die "Spirit"-Geschichten von Will Eisner sind auf Deutsch in der Reihe Salleck Publications im Verlag Eckart Schott erschienen. Als Einstieg eignet sich der Sammelband "The Spirit: Die besten Geschichten" (12,90 Euro). Für Sammler und Fans gibt es die Gesamtausgabe im aufwändigen Hardcover-Format, jeder Band kostet 46 Euro.
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