Daniel Barenboim: Der Meister und sein Publikum
Dirigent Daniel Barenboim steht in der Kritik. Nun konzertierte er mit Martha Argerich und der Staatskapelle – mal eindringlich, mal düster, mal losgelöst.
Es ist nicht sein erster Auftritt, seit sich in der vergangenen Woche Musiker mit Namen meldeten, die Daniel Barenboim demütigendes Verhalten bei seiner Arbeit als Dirigent und Generalmusikdirektor vorwerfen. Am Sonntag hatte er in der Staatsoper Strauss’ „Elektra“ dirigiert – routiniert, aber doch recht müde und mürbe bis zur Mitte des Stücks, bis zur Begegnung Elektras mit Klytämnestra. Dann, als sei der Graben aufgewacht, war plötzlich zu spüren, dass es um etwas geht.
Und nun, beim Symphoniekonzert der Staatskapelle am Montagabend, wirkt der Vielbeschäftigte gefasst, ja fit, und nimmt den Jubelsturm des Publikums, „seines“ Publikums, lächelnd entgegen. Anzeichen, ob und wie ihn die Debatte um seine Person beschäftigt, sind nicht zu erkennen – und auch nicht zu hören: Das Eröffnungsstück gelingt eindringlich.
Bei Schuberts „Unvollendeter“ schaffen Bässe und Celli vom ersten Atemzug an eine Atmosphäre gespannten Lauerns, grundiert von den unheimlichen Sechzehnteln der Violinen, über die sich das Hauptthema in der Oboe legt. Auch das ländlerhafte Seitenthema, Hauptgrund für die Beliebtheit dieser Rumpfsymphonie, leiten die tiefen Streicher ein, bevor Barenboim das Orchester in die Unterwelt der düsteren Moll-Modulationen führt. Den zweiten Satz, dessen lichtes E-Dur mit dem h-Moll des ersten auf denkbar größte Weise kontrastiert, gestaltet er dynamisch differenziert und hebt das nächste der drei Themen mit kraftvollen Forte-Schlägen von seiner eher beschaulichen Klangumgebung ab.
Machohaft auftrumpfende Orchesterklang
Wie gerne würde man Martha Argerich einmal an einem Soloabend mit Schubertsonaten hören, unverstellt und unversteckt. Aber ach, die große Pianistin und Meisterin des geschliffen ausformulierten Details tritt seit Langem nur noch gemeinsam mit anderen auf, kammermusikalisch oder im Orchester.
Daniel Barenboim, der Argerich seit Jahrzehnten kennt und mit ihr die argentinische Herkunft teilt, weiß eigentlich, wie das Orchester auf ihr Klavierspiel eingehen muss. Aber in Prokofjews drittem Klavierkonzert lässt er sie weitgehend alleine, bindet sie nicht ein in den massiv, ja machohaft auftrumpfenden Orchesterklang der Staatskapelle, in dem ihre sensiblen Feinzeichnungen häufig verloren irrlichtern – auch wenn sie die teils irrwitzig raschen Zweiunddreißigstelfiguren in den drei Sätzen ohne erkennbare Mühe meistert.
Und im grandiosen finalen Allegrosatz haut es niemanden aus der Kurve, sitzen alle Schläge, atmen Solistin und Tutti tatsächlich die gleiche Luft. Trotzdem bleibt der Eindruck eines Orchesterstücks mit obligater Klavierbegleitung. Selbst die Zugabe, eines der Stücke aus Bizets „Jeux d’enfants“, spielt Argerich nicht alleine, sondern mit Barenboim vierhändig.
Das Hauptwerk des Abends ist eine Art Vorspiel – für die Premiere von Jörg Widmanns Oper „Babylon“ am 9. März in der Lindenoper. Nach der Münchner Uraufführung 2012 hat Widmann aus den wichtigsten Motiven eine „Babylon-Suite“ erstellt – kein ungewöhnliches Verfahren, man denke nur an Richard Strauss’ Rosenkavalier-Suite. Mit Strauss verbindet Widmann nicht nur die Geburtsstadt München, sondern auch die Liebe zum genialen Schwulst, zum dampfenden Pathos.
Plötzlich fließt die Isar in den Euphrat
„Babylon“ ist nicht so blutrünstig wie dessen Antikenopern, kann aber musikalisch durchaus vor diesen bestehen. Machtvoll, episch setzt das Orchester ein, die Partitur schaltet schnell um zwischen hohem Ton (der wohl unweigerlich entsteht, wenn einer wie Peter Sloterdijk das Libretto schreibt) und der Intensität eines ausgedünnten Klangbildes in den Liebesszenen.
Klarinettist Widmann fährt eine starke Bläsersektion auf, Konzertmeister Wolfram Brandl hat an der Sologeige viel zu tun. Der Höhepunkt: das lustvolle Zerlegen des Königlich-Bayrischen Defiliermarsches in einer orgiastischen Feier der antiken Stadtgesellschaft. Mahler dürfte hier Pate gestanden haben – und plötzlich fließt die Isar in den Euphrat.
Schwieriger das Finale: Ein neuer, moderner Vertrag von Menschen und Göttern wird geschlossen, doch Widmann schwelgt dabei in recht konsonantenseligem, filmmusikverdächtigem Kitsch. Die Staatskapelle spielt das alles wie losgelöst, mit klarem, lichten Klang, als strebe sie der Sonne entgegen.
Daniel Barenboim und seine Musiker sonnen sich dann tatsächlich, in stehenden Ovationen. Euphorisch ist der Applaus, zur Liebe entschlossen und auch ein klein bisschen trotzig.
Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de