Kultur: Der Mann mit der Hornbrille
Ein Vierteljahrhundert lang war Heinz Ohff in den Berliner Galerien und Ateliers unterwegs. Eine Ausstellung und ein Buch erinnern an den Tagesspiegel-Kunstkritiker
Grauer Igelkopf, schwarze Intellektuellenbrille und als Requisiten Block und Stift: Das waren die Erkennungszeichen von Heinz Ohff, als er in den Siebzigern und Achtzigern durch die Ateliers und Ausstellungen Berlins zog. Wehmut mag heute manchen beschleichen, der die Aufnahmen seiner Frau Christiane Hartmann sieht, die ihn stets mit der Kamera begleitete. Die Bilder dokumentieren eine vergangene Zeit, die künstlerischen Protagonisten der Mauer-Jahre. Vor allem geben sie Zeugnis ab von einem reichen West-Berliner Kritikerleben, von Begegnungen und Gesprächen.
Gerade erwacht in Berlin eine neues Interesse für die Architektur der Vorwendezeit. Die Stadt, die niemals ist, sondern immer wird, prescht nicht nur vor, sondern erinnert sich auch der jüngsten kulturellen Vergangenheit. Und doch gibt es neben den Monumenten aus Stein die Menschen, die jenes Berlin prägten, das seit dem Mauerfall nicht mehr existiert, aber bis heute sein Resonanzboden ist.
Eine solche Figur des kulturellen Lebens war Heinz Ohff, ein Vierteljahrhundert lang bis 1987 Ressortleiter des Tagesspiegel-Feuilletons und als Kunstkritiker einer der genauesten Beobachter der Berliner Kunstszene. Ohff (1922 – 2006) hat sie alle gekannt, die als Gäste des DAAD in die Mauerstadt kamen, die hier malten, schraubten, schweißten. „Im Durchschnitt habe ich pro Tag eine Ausstellung gesehen“, zog er am Ende Bilanz. In über tausend Beiträgen hat er seine Beobachtungen für die Zeitung zu Papier gebracht. Wer also etwas über die Kunststadt Berlin vor ’89 erfahren will, kommt an Heinz Ohff nicht vorbei. Doch der gebürtige Eutiner bleibt nicht nur als schreibende Instanz in Erinnerung, sondern auch als liebenswürdige Erscheinung, der zum Abschied stets ein munteres „Alright“ parat hatte. Neben der Kunst galt Ohffs Liebe Großbritannien, wohin er sich nach seiner Pensionierung jedes Jahr für die Sommermonate zurückzog. Hier begann er ein zweites berufliches Leben als Biograf preußischer Figuren; er schrieb Bücher über Schinkel, Fontane, Königin Luise.
Anlässlich seines 85. Geburtstags würdigt ihn die Galerie Poll, selbst eine Institution der Inseljahre, nun mit einer Fotoausstellung und einem Lesebuch. Die Aufnahmen lesen sich wie eine Kritikerbiografie: Ohff an der Seite von Warhol, Beuys und Vostell. Das Buch vereint Erinnerungen von Wegbegleitern, Ausschnitte aus seinen Büchern, Alltagsbeobachtungen, die er unter dem Pseudonym N. Wendevogel publizierte, und vor allem Rezensionen. In ihnen hat sich die Vitalität der Mauerstadt konserviert.
Fast atemlos liest man heute seine euphorische Besprechung der Erstausstellung Walter Stöhrers 1962, die sich als prophetisch erwies: „EKGs der schöpferischen Affekte, eine Kartographie seelischer Impulse – Zeichen, Farben, Öffnungen auf glühendes Rot und eisiges Weiß gestellt. Erste Schrittversuche eines Talents, das eine Gebärde der Weltmalerei auf seine Weise aufgreift und fortführt. So gehen Entdeckungen vor sich. Stöhrer ist entdeckt. Fortan wird er zur Berliner Kunstlandschaft gehören.“
Ohffs Credo war die Subjektivität. So begeisterte er sich nicht nur für einen Abstrakten wie Stöhrer, sondern setzte sich auch für die Neuen Wilden ein. „In unsere weitgehend gezähmte Kunstlandschaft bringen sie längst geglaubte Dinge zurück wie Verve, Leidenschaft, Pathos Furor. Das hat erlösende Momente wie ein Sommergewitter nach langer (malerischer) Flaute,“ schrieb er 1980 nach dem Besuch jener berühmten Ausstellung im Haus am Waldsee. Auch Irrtümer sind dokumentiert wie sein Baselitz-Verriss („diese versoßten Formen“). Als aber der Staatsanwalt das heute in der Berlinischen Galerie hängende Bild „Die große Nacht im Eimer“ wegen Pornografie konfiszieren ließ, schrieb er sogleich einen flammenden Appell für die Kunst.
Als Chronist des Berliner Kunstlebens notierte Heinz Ohff im Nachhinein manch historisch wichtiges Ereignis. Im Rückblick wird seine Person selbst zur Legende.
Galerie Eva Poll, Lützowplatz 7, bis 29. Juni. Eröffnung heute um 19 Uhr. Lesebuch 19,80 €. Lesung am 30. 5. (20 Uhr) in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10.
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