Kultur: Der Mann mit den Kameras
Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt Fotografien des Filmregisseurs Bernhard Wicki
Es war ein Erweckungserlebnis, wie es zu jeder anständigen Künstlerbiografie gehört. Der Theaterschauspieler und wenige Jahre später als Filmregisseur gefeierte Bernhard Wicki besuchte 1952 eine Ausstellung – und kam als anderer Mensch wieder heraus. Wie vom Donner gerührt betrachtete der 33-Jährige in der Luzerner Weltausstellung der Photographie Aufnahmen von Künstlern wie Robert Frank, Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa: „Ich wusste vom dem Moment an, als ich diese Aufnahmen sah: Das ist es, was ich im Leben zu tun habe.“ Wicki taumelte ins Freie, rannte in den nächsten Fotoladen und kaufte sich eine Kamera. Anschließend beantragte er Urlaub vom Theater. Ein Fotograf war geboren.
Selbst wenn diese Geschichte zum Zweck der Legendenbildung zugespitzt sein sollte, ist sie zumindest schön erzählt. Sie leitet ein Kapitel in der Biografie des Regisseurs ein, das bislang weitgehend unbekannt war, da es von Wickis späteren Kinoerfolgen in den Schatten gestellt wurde. Die Münchner Pinakothek der Moderne versucht diesen Schatz jetzt – in drei Sälen mit 85 Schwarzweiß-Fotografien – ans Licht zu holen.
Dabei lässt sich die Ursache für die besondere Wirkung der Bilder auf Anhieb gar nicht so einfach greifen. Man wandelt durch die Säle, kehrt zu einzelnen Motiven zurück – und fragt sich, was einen daran eigentlich berührt. Vielleicht staunt man zunächst über die Weltoffenheit des Fotografen. Hier herrscht nicht der Mief der bundesrepublikanischen Fünfzigerjahre; Wickis kosmopolitischer Gewandtheit geraten Motive aus Paris, Mostar und Tanger bis Kenia ins Visier. Vielleicht sticht einem trotz mancher Naturaufnahmen auch die Vorliebe für urbane Motive ins Auge. Die einsamen Straßen und Plätze erinnern ein wenig an französische Gangsterfilme à la „Rififi“.
Der eigentliche Effekt der Bilder liegt jedoch in einem anderen Moment begründet. Über Wickis Fotos liegt eine Atmosphäre des Ausharrens, des Abwartens, des Übergangs. Menschen schlafen im Bett, am Tisch, im Klappstuhl. Sie sitzen am Fenster, auf Stufen, am Straßenrand. Oft lehnen sie einfach an einer heruntergekommenen Häuserwand und blicken ins Nichts – wie etwa der Schauspieler Horst Buchholz in Paris. Doch selbst bei den Italien-Aufnahmen ist dieses Nichtstun kein dolce far niente. Wicki fängt eine Welt ein, die leicht gelangweilt etwas erwartet – den Aufbruch möglicherweise. Dieser Moderne fehlt die Geschwindigkeit: Trotz der Umwälzungen der Nachkriegszeit liegt der Wandel noch in der Zukunft. Und trotz der Urbanität sind keine Massen zu sehen, sondern vereinzelte Figuren im städtischen Raum.
Diese Stimmung des Übergangs fügt sich sehr geschmeidig in Wickis Biografie. Denn so plötzlich Wickis Leidenschaft für die Fotografie entflammt war, so jäh endete sie wieder. Und das, obwohl ihn sogar das „Life“-Magazin beschäftigen wollte. Sieben Jahre nachdem er die Fotografie entdeckte hatte, wechselte Wicki Beruf und Berufung. Bereits seine zweite Filmregie, „Die Brücke“ von 1959, wurde ein Welterfolg. Die Fotokamera wich der Filmkamera. Für immer.
Bis 2. Oktober. Der bei Dumont erschienene begleitende Bildband kostet 24,90 €.
Julian Hanich
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