Kultur: Der letzte Schick
Mit einer Ausstellung von Maria Eichhorn schließt Barbara Weiss ihre Galerie am Checkpoint Charlie – und zieht in Nicolas Berggruens Kunsthaus in die Kohlfurter Straße
Die eine geht, die andere kommt. Wohin, das erkennt der Betrachter nicht so genau, denn der Stellungswechsel der beiden Frauen, die genau im Augenblick ihres Passierens fotografiert sind, vollzieht sich vor grauem Hintergrund. „Figuren“ hat Maria Eichhorn ihre Arbeit genannt und als Fototapete im Entree der Galerie angebracht: mit der Künstlerin selbst und ihrer Galeristin Barbara Weiss darauf. Beide schlenkern dynamisch die Arme. Fast verschmelzen ihre Silhouetten.
Ein Moment des Übergangs ist erfasst – und das trifft den Kern der letzten Ausstellung in der Zimmerstraße. Nach zehn Jahren hört Barbara Weiss am Checkpoint Charlie auf und zieht nach Kreuzberg in die Kohlfurter Straße um, in das von Nicolas Berggruen sanierte Fabrikareal, in dem bereits das Künstlerhaus Bethanien logiert. Längst ist Kreuzberg up and coming. Barbara Weiss folgt einem Trend, wie umgekehrt auch der Niedergang des Galeriehauses in Mitte Teil einer Entwicklung ist. Auch hier vollzieht sich ein Wandlungsprozess. Noch stehen die Namen von sieben Galerien auf dem Häuserplan, doch das wird nicht so bleiben. Die großen Händler, Max Hetzler und Claes Nordenhake, haben bereits die Flucht vor den Touristen ergriffen, nachdem sich die Zimmerstraße zu Berlins betriebsamster Geschichtsmeile entwickelt hat – als Verbindungsweg vom legendären amerikanischen Grenzkontrollpunkt in der Friedrichstraße zum wichtigsten innerstädtischen Rest der Mauer und der Topographie des Terrors. Hunderttausende gehen hier jedes Jahr entlang. Hilfreich beim Entscheidungsprozess, die Zimmerstraße zu verlassen, dürfte auch die Krise von 2008 gewesen sein. Da mussten sich Arndt und Klosterfelde verkleinern.
Im geschichtsträchtigen Gebäudekomplex hat sich nun die Dauerausstellung der Stasi-Unterlagen-Behörde niedergelassen. Hier befand sich einst die Redaktion des NSDAP-Blattes „Völkischer Beobachter“, 1943 ein Sammellager für Berliner Juden vor ihrer Deportation nach Auschwitz, schließlich die Druckerei des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ und ein Quartier der DDR-Grenzposten unmittelbar am Todesstreifen. Die Ankunft der Galerien Ende der Neunziger markierten nur eine Phase: den Zeitabschnitt vor der urbanen Verfestigung, bevor die benachbarten Ministerien, die Geschäfte der Friedrichstraße Fuß gefasst haben. Auf dem Gelände entsteht ein Hotel. Für Galerien wirkt dieses Spannungsfeld zwischen Brache und endgültiger Bestimmung stimulierend. Danach wandern sie weiter; das hat sich in den vergangenen Jahren an etlichen Orten in Berlin gezeigt: in den Hackeschen Höfen, der Auguststraße, der Jannowitzbrücke.
Wenn Barbara Weiss nun weiterzieht, so korrespondiert diese Zäsur mit ihrer eigenen Galeristentätigkeit. Zwanzigjähriges Jubiläums hat sie gerade gefeiert, zusammen mit Maria Eichhorn, die sie von Anfang an vertritt. Die Künstlerin zelebriert den Abschied als kathartischen Akt: Die Fenster der Galerie wurden mit Kieferplatten verkleidet, wie es bei Häusern im Umbau üblich ist. Die Lampen sind herausgedreht, an der Wand steht als Basrelief die Adresse „Zimmerstrasse 88/89 10117 Berlin“. In einem weiteren Raum lehnt als Multiple ein überdimensionaler Besen, der für den großen Kehraus steht. Sämtliche Arbeiten sind andernorts übertragbar, darauf legt die Galeristin Wert (900 bis 18 000 Euro).
Und trotzdem spinnt sich ein feines Geflecht von Bezügen. Der Besen ruft eine berühmte Aktion von Joseph Beuys in Erinnerung: „Ausfegen“, 1972 auf dem Karl-Marx-Platz in Neukölln, wo der Künstler die Müllreste der 1. Mai-Demonstration zusammenkehrte und mit dem Besen in eine Vitrine packte. So ist es auch kein Zufall, dass Maria Eichhorn im Oktober genau an diesen Ort Kunstfreunde zu einem Treffen lud, von dem die Beteiligten bis heute nicht genau wissen warum. Es passt zu ihrem Werkkonzept, den Kunstbetrieb durch die nüchterne Darstellung bestimmter Konstellationen zu analysieren. Die Fotoarbeit „Figuren“ im Eingangsbereich der Galerie mit Künstlerin und Galeristin am Kreuzungspunkt erhellt die Bedingungen des Geschäfts: Mögen die Protagonisten auch in gegensätzliche Richtungen streben, so konträr wie Kunst und Kommerz zueinander stehen, ihre Bewegungen verlaufen im entscheidenden Moment synchron.
Und noch eine Beuys-Aktion kommt in den Sinn. Unter dem Titel „Jetzt brechen wir hier den Scheiß ab“ erklärte der Künstler 1979 das Ende der Berliner Galerie René Block, die nach 15 Jahren ihren Betrieb einstellte. Beuys ließ die Galeriewände bis aufs Mauerwerk abklopfen und stellte die Relikte seiner dort gezeigten Aktionen aus. Die entleerten Räume in der Zimmerstraße erinnern an diesen drastischen Akt, der nun allerdings in verfeinerter Ästhetik daherkommt. Schließlich hat die Galeristin auch nicht das Ende ihrer Tätigkeit erklärt, sondern wagt andernorts einen Neubeginn.
Schon hat sie Witterung aufgenommen. In Kreuzberg gibt es wieder den Charme des Undefinierten, die Spannung „zwischen Idylle und sozialem Brennpunkt“, wie Barbara Weiss es nennt. Einen Katzensprung entfernt, am Fraenkelufer, nahm die Autonomenbewegung in den achtziger Jahren ihren Anfang. Der rauen Prägung ihrer künftigen Umgebung ist auch die erste Ausstellung geschuldet, mit der die Räume zum Gallery-Weekend am 29. April eröffnet werden: Der russische Fotograf Boris Mikhailov zeigt seine in den letzten zehn Jahren in der Ukraine entstandenen Bilder: Wieder sind es die kleinen Leute, die sich ihr Überleben im postkommunistischen Zeitalter zu sichern versuchen.
„Tea, Coffee, Cappuccino“ lautet dann der Ausstellungstitel, denn längst ist überall in der Ukraine der italienische Milchkaffee zu haben – als Vorbote eines globalisierten Geschmacks. Auch die Ankunft der Galerie Barbara Weiss im einst anarchischen Kreuzberg lässt sich als Zeichen des Wandels lesen. Das Kommen und Gehen bleibt als Konstante bestehen.
Galerie Barbara Weiss, Zimmerstraße 88–89, bis 19. 3.; Di–Sa 11–18 Uhr.
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