Nachruf: Der letzte Kinnhaken
Erst Jerry Robinson, jetzt noch Joe Simon – die Comicwelt verliert gleich zwei ihrer Pioniere.
Es ist der wohl berühmteste Fausthieb der US-amerikanischen Popkultur. Mit einem einzigen Kinnhaken streckte im Dezember 1940 ein maskierter Superheld namens Captain America seinen Gegenspieler Adolf Hitler nieder – ein Jahr bevor die USA offiziell in den Weltkrieg gegen Deutschland eintraten. Das Titelbild des ersten Captain-America-Heftes, geschaffen von Joe Simon und Jack Kirby und veröffentlicht vor genau 71 Jahren, ist eine der Schlüsselszenen der Goldenen Ära der US-amerikanischen Comicgeschichte.
In jenen Jahren hatten Figuren wie Superman, Batman und eben Captain America ihre ersten Auftritte – viele von ihnen sind durch die jahrzehntelange Fortschreibung ihrer Reihen und vor allem durch die Hollywood-Verfilmungen ihrer Abenteuer bis heute Ikonen der Unterhaltungsindustrie. Jetzt sind innerhalb weniger Tage gleich zwei herausragende Akteure jener Aufbruchsjahre gestorben.
„Wir beide machten alles“
Vergangene Woche starb der Comiczeichner Jerry Robinson drei Wochen vor seinem 90. Geburtstag. Robinson gilt als einer der geistigen Väter der Figur des Joker, des wichtigsten Gegenspielers des Comic-Helden Batman, der zuletzt im Kino von Heath Ledger gespielt wurde.
Und am Mittwoch starb der Autor und Zeichner Joe Simon im Alter von 98 Jahren nach kurzer Krankheit, wie seine Familie mitteilte. Simon hatte vor allem gemeinsam mit Jack Kirby zahlreiche Comic-Helden erschaffen, darunter den Supersoldaten Captain America sowie etliche weitere Figuren, von denen nur wenige heute noch bekannt sind. „Die beiden waren ein perfektes Team“, schreibt der Comic-Historiker Mark Evanier in seiner Kirby-Biografie „King of Comics“. Simon, der bereits als Jugendlicher Comics und Karikaturen für die Schulzeitung schuf, war ein guter Zeichner. Aber Kirby, der 1994 starb, war besser – und vor allem schneller. Dafür war Simon laut Kirby ein „Genie“, wenn es um die Gestaltung dramatischer Titelbilder ging. Die entschieden am Kiosk über Wohl und Wehe der Hefte, die in ihren besten Jahren Millionenauflagen erreichten. Zudem war Simon, der auch als Herausgeber fungierte, ein guter Geschäftsmann. Wer von beiden in ihrer jahrelangen Zusammenarbeit was machte, lässt sich im Nachhinein kaum rekonstruieren. „Wir beide machten alles“, war Kirbys Standardantwort auf die oft gestellte Frage.
Erst diesen Sommer war Simons Autobiografie in den USA erschienen, „My Life in Comics“. Darin erzählt er, wie er aus einem patriotischen Impuls heraus seine berühmteste Figur schuf – und wieso er ausgerechnet Hitler als Gegenspieler für die erste und viele weitere Folgen auswählte. „Die Comics, die sich damals besonders gut verkauften, hatten besonders gerissene Bösewichte“, erinnerte er sich. „Also suchte ich nach dem perfekten Schurken.“ Wer lag da näher als der Nazi-Diktator? „Hitler erwies sich als der ideale Gegenspieler unserer neuen Figur: Mit seiner Frisur, dem albernen Schnurrbart und seinem Watschelschritt wirkte er doch schon im echten Leben wie eine Comicfigur.“ Nach dem Ende der ersten Blütezeit der US-Comicindustrie arbeitete Simon ab den 1950er Jahren als Werbezeichner, Maler und Designer, wenngleich er immer wieder Ausflüge in die Comicwelt unternahm. Unter anderem gründete er eine satirische Comiczeitschrift. Und bis Mitte der 70er Jahre arbeitete er sporadisch immer wieder auch mit Kirby zusammen, so gestalteten sie 1974 zusammen ein Heft der Reihe „Sandman“. Simon hinterlässt fünf Kinder und acht Enkelkinder.
(Veröffentlicht im Tagesspiegel am 17.12. 2011)
Lars von Törne
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