Slapstick im Kunstmuseum Wolfsburg: Der lachende Dritte
Über die Komik des Versagens: Das Kunstmuseum Wolfsburg, bislang nicht unbedingt eine Hochburg des Humors, beschäftigt sich mit der treibenden Kraft des Slapsticks im Stummfilm.
Und dann passiert es doch. In einer leichten Pirouette schraubt sich die Hebebühne nach oben. Der Techniker schwebt mit der Statur und Haltung eines Kap Hoorniers der 16 Meter hohen Decke entgegen, als balanciere er auf einem Elefantenrüssel. Die Bühne tänzelt, ruckt und weicht zur Seite. Es scheint einen Widerstreit geheimer Anziehungs- und Fliehkräfte zwischen dem Mann und der Lichtkanzel zu geben, an der er dort oben arbeiten soll. Die Kollegen unten brechen in Gelächter aus, und das Geräteballett macht für einen Augenblick fühlbar, was Slapstick wirklich ist. Etwas Seltsames und Seltenes nämlich. Ein Stück physische Selbstironie, körperliche Komik in einem abstrakten System. Slapstick, die hektisch gehetzte Komik der Stummfilme, mit der ein Einzelner zwischen die Hierarchien, Maschinen und Autoritäten rutscht wie zwischen Zug und Bahnsteigkante, ist das Gelächter im Überlebenskampf. Im Slapstick wird nicht von unten nach oben oder von oben nach unten gelacht wie in der Satire oder im kalkulierten Witz. Wer Charlie Chaplin, Buster Keaton oder Harold Lloyd bei ihrem unermüdlichen Kampf gegen die Widerstände eines entfesselten Alltags beobachtet, sieht sicheren Verlierern zu. Die Logik ihres Versagens ist unausweichlich wie ein Naturgesetz, weil sie auf den Zwang von oben mit humaner Unbeholfenheit reagieren. Kurz, Slapstick ist so ziemlich das exakte Gegenbild zum heutigen Kunstbetrieb. Hier das Mitgefühl und der Versagensschauder als treibende Kraft des Komischen. Dort die Humorlosigkeit des Starsystems, in dem die Bewunderer nach Vorschrift lachen und Erfolg alles ist. Wer in einem Museum Slapstick zeigt, fordert den Kulturbetrieb also an seiner verwundbarsten Stelle heraus. Das Kunstmuseum Wolfsburg, bislang nicht unbedingt eine Hochburg des Humors, wagt sich trotzdem daran.
Zeitgenössische Kunst ist nur bedingt humorbereit
Die Ausstellung mit genau 32 Exponaten führt entsprechend vor, dass zeitgenössische Kunst nur bedingt humorbereit ist. Jeppe Heins „Modified Social Benches“, perfekt lackierte Bänke voller schiefer Ebenen mögen zwar „zur slapstickhaften Selbsterfahrung“ einladen, wie Kuratorin Uta Ruhkamp sagt. Vor allem sind aber sie ein Insiderwitz der Skulpturgeschichte. Stadtparkmobiliar im Yoga-Modus, die Latten zum Alphabet gefaltet, ein Gebrauchsgegenstand probt divenhaft die Autonomie und macht Menschen zu Komparsen. Auch Bruce Naumans Performance „Bouncing in the Corner“ von 1968 und 1969 ähnelt den Bildern des Slapstick, weil der Körper des Künstlers immer wieder federnd in eine Raumecke wippt. Nauman und Hein aber sind Autoren einer abgezirkelten Pointe. Sie erzählen uns von der Reduktion, von der Formalisierbarkeit einer Erfahrung. Sie erzählen vor allem von unserer Ehrerbietigkeit gegenüber künstlerischen Gesten. Schiefe Bank, hüpfender Mann – daneben wir, die Leistungsträger der Entschlüsselung. Ist der Betrachter in diesem Spiel womöglich der Protagonist des Slapstick, weil er sich so pflichtschuldig bemüht, Chaplin, der in „Goldrush“ halbverhungert und doch mit aller Würde einen Schuh vespeist, und Heins Bänke für zwei Seiten der selben Sache halten? Uta Ruhkamp glaubt, dass die Kunst den Slapstick nicht kopiert, sondern analysiert – „bewusst und unbewusst“, mit „Slapstick-Anleihen“ operiert. Ihr Ausstellung erforscht die „Aktualität dieser alten Mechanismen“. Und weil gute Kunsthistoriker kreative Vergleichskünstler sind, die durch die Jahrtausende der Kunst Ähnlichkeiten, Motive und Muster aufspüren, spürt die Ausstellung Werk für Werk späte Erben Chaplins und Lloyds auf: im orgiastischen Tortenschlacht-Video von Alexej Koschkarow (2003), Marcel Duchamps Türobjekt (1927) oder Francis Alÿs Sisyphos-Performance, bei der er einen Eisblock durch Mexico-City hinter sich herzieht.
Der Tortenwurf ist ein sinnloser Mechanismus, wenn das Museum dabei sauber bleibt
Wie in einer fremden Sprache aufgegangene Vokabeln taucht der Tortenwurf aus Clyde Bruckmans legendärem Laurel & Hardy-Film „Battle of the Century“ (1927) in Koschkarows Performance auf. Nur besitzt sie nicht die zur Komik verzerrte Aggression, die sardonische Schadenfreude, die anarchische Aufkündigung sozialer Solidarität der historischen Referenz. Harold Lloyds atemberaubende Versuche, in „Safety Last“ von 1923 jedermann zu Gefallen zu sein und noch in höchster Not die Fassade des parierenden Angestellten zu wahren, lebt in Gordon Matta-Clarks Uhrenwaschperformance „Clockshower“ wieder auf: aber ohne den Realismus des Originals. Vielleicht fände sich mehr Slapstick in der Kunst, wenn man das Museum selbst als den entfesselten Apparat moderner künstlerischer Zeiten begriffe. Georg Herolds absurde Skulpturen zum Beispiel sind ein Volte des Künstlers gegen den kuratorischen Ernst. Polkes Komik, Kippenbergers Kalauer waren vor langer Zeit einmal Angriffe gegen den hohen Ton der Kunst. Letztlich bildet das Wolfsburger Museum mit seiner Analyse nur einen tiefen, unüberwindlichen Graben ab. Die burlesk proletarische Seite des Slapstick ist ans Unterhaltungsfernsehen mit seinen abgründigen Jackass-Formaten gefallen. Dort herrscht noch der solidarische Witz der aufs Maul Gefallenen. Das Publikum identifiziert sich mit der Komik des Versagens. Jede Situation wird zur Katastrophe. Wer mitlacht, gehört potenziell zu den Versagern. Der schlechte Geschmack erlaubt keine Überheblichkeit. Ganz unten entsteht so ein Augenblick anarchischer Freiheit. Die Kunst aber ist heute vor allem da lustig, wo sie über die Erwartungen des Publikums lacht, uns in unserer sinnlosen Hoffnung auf Erhabenheit verspottet und dem Künstler als Hofnarren diktatorisch unterwirft. Auch wenn gute Kunst heute spezialisiertere Aufgaben übernimmt als die Regisseure der zwanziger Jahre – in Wolfsburg wünscht man sich das humane Pathos und die böse Wirklichkeitsnähe Chaplins zurück. Der Tortenwurf ist ein sinnloser Mechanismus, wenn das Museum dabei sauber bleibt. „Safety Last“ hieß doch Newmeyers Film. Dieser Appell muss in der Autostadt seine Wirkung erst noch entfalten.
Kunstmuseum Wolfsburg, bis 2. Februar.
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