zum Hauptinhalt

Damien Hirst: Der Künstler und der Glamour

Der britische Künstler Damien Hirst macht wieder Furore, mit Ausstellungen in Berlin und der Londoner Tate Modern. Aber taugt seine Glamourkunst eigentlich etwas oder lässt sich mit ihr nur viel Geld machen?

Das wertvollste Ausstellungsstück gibt es umsonst zu sehen. Es thront in jenem Teil der Tate Modern, für den das Londoner Haus keinen Eintritt verlangt. Die Geschichte des Schädels ist bekannt: Für geschätzte 14 Millionen britische Pfund ließ Damien Hirst 2007 „For the Love of God“ herstellen; auf dem Abguss des Totenkopfs aus Platin funkeln über 8000 Diamanten.

Das sind mehr, als auf jedes noch so große Ziffernblatt einer Uhr passen würden, und dennoch lässt sich der Vergleich ziehen: „For the Love of God“ ist eine Trophäe für die Superreichen, produziert für den hitzigen Kunsthandel, den Hirst damit einmal mehr füttern wollte (und der gerade wieder für Rekordverkäufe sorgt). Als 2007 niemand zugriff, gründete er ein Konsortium, das den Kopf für ebenfalls geschätzte 75 Millionen Euro übernahm. Wenn die Tate Modern dem Künstler nun eine erste große Retrospektive widmet, dann weiß man nicht so genau, welches Talent des inzwischen 47-jährigen Briten sie damit feiert. Vielleicht ja die Tatsache, dass er seit einem Vierteljahrhundert verlässlich für jene „Sensation“ sorgt, mit der in den neunziger Jahren eine junge Schar von Goldsmith-Absolventen erst die Insel und dann das Festland eroberte.

Mit dem berühmten, in Formaldehyd eingelegten Hai begann Hirsts Siegeszug durch die europäischen Museen, kaum einer konnte sich der Faszination jener monströsen Skulptur entziehen. Inzwischen gehört sie dem US-Sammler und Hedgefonds-Manager Steven A. Cohen, der die Arbeit im New Yorker Metropolitan Museum of Modern Art untergebracht hat. Das Präparat ist bei den Superreichen und Großsammlern ebenso beliebt wie die anderen Arbeiten, mit denen Hirst reüssierte: den Punktebildern und Pillenschränken, den blutigen Tierkadaver unter Glas, von denen sich Fliegen ernähren, bevor sie selbst zu Staub zerfallen, den fixierten Schmetterlingen auf Gemälden, den Farbschleuder-Abstraktionen und anatomischen Skulpturen.

Hirst-Ausstellungen haben Blockbusterpotential. Sie sind garantiert erfolgreich, weil man sich herrlich gruseln kann und die konzentrierte Vanitas-Symbolik ein kathartisches Gefühl hinterlässt: Hat man sich mal wieder mit der eigenen Vergänglichkeit beschäftigt, ohne dass es wehtat. Und wie zum Triumph über den Tod lassen sich Hirst-Devotionalien danach aus den Museumsshops nach Hause tragen. Eine Mokkatasse mit Totenkopf oder ein schlichter Liegestuhl mit Schmetterlingsdruck für 310 britische Pfund. Hirst beherrscht die Kunst, den Markt in allen Preiskategorien zu bedienen. Und auch die Londoner Schau im Vorfeld der Olympischen Spiele wirkt mit in diesem globalen Monopoly.

Zur VIP-Eröffnung, so war zu lesen, kamen zahlreiche Prominente, die zugleich Leihgeber sind, darunter der französische Großsammler François Pinault, Inhaber des Luxuskonzerns PRP mit Marken wie Gucci oder Yves Saint Laurent. Und Miuccia Prada, die ihre Kunst wie Pinault ebenfalls andernorts öffentlich zeigt. Rund um Hirst herrschte schon schon immer ein glamouröses Spektakel: Man erinnere sich nur an 2008, als er bei Sotheby’s die Versteigerung seiner eigenen Werke ankündigte und dort an nur einem Tag über 140 Millionen Euro umsetzte. Mit Arbeiten, die allesamt aus der Hand seiner damals 180 Assistenten stammten.

Bei genauerem Hinsehen zeigen sich die Schwachpunkte der Hirst-Kunstwerke.

Je mehr man die anhaltende Faszination seiner Arbeiten unter die Lupe nimmt, desto deutlicher werden auch deren Schwachpunkte. Nicht zufällig hinterlassen Hirsts Installationen trotz ihrer Farbintensität und Formenspektakel stets ein Gefühl der Leere. Sie versprechen Glück in Form von Pillen und tiefe Einblicke in den Kreislauf des Lebens, aber es bleibt bei der bloßen Verheißung. Hirst weiß selbst nur zu genau, dass er simuliert und stillt das Begehren mit immer neuen, pompöseren Arbeiten wie zuletzt eben mit „For the Love of God“. Seine perfekte Präsentation funktioniert letztlich nach denselben Prinzipien, denen man in den Flagship-Stores von Prada oder YSL begegnet. Hier werden Schals und Schuhe zum Fetisch erklärt, bei Damien ist es die Kunst

Clean, poliert, vergoldet: Im Universum des Künstlers findet sich das gesamte Instrumentarium der Überhöhung. Dass es zugleich die Gefahr der Erstarrung birgt, hat der Künstler inzwischen offenbar selber bemerkt. So trat er 2009 in der Londoner Wallace Collection mit 25 selbst gemalten Bildern auf. Auch das eine Sensation, nachdem die Sotheby’s-Auktion ein Jahr zuvor wie gesagt komplett von seinen Assistenten bestückt worden war und nachdem er sich mit dem Diamant-Schädel als dem teuersten Werk eines lebenden Künstlers nicht mehr überbieten konnte. Dass diese jüngste Phase mit tatsächlich „eigenen“ Werken in London offenbar ausgeklammert bleibt, sagt wiederum viel über die Mechanismen im Kunstbetrieb. Nicht einmal Hirst, der gern den zynischen Hofnarr gibt, steht außerhalb des Systems.

Einige Käufer von 2008 verzeichnen inzwischen Verluste, weil der Markt säuberlich zwischen frühen Arbeiten und denen aus Assistentenhänden unterscheidet. 2006 musste bereits der Tigerhai im Becken von „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“ ausgetauscht werden, weil sich der originale Fisch zersetzt hatte. Und auch das eingelegte Lamm, Star der Installation „Away from the Flock“, sieht lange nicht mehr so frisch aus wie bei seinem ersten Auftritt 1994.

In ihren Berliner Räumen am Neuen Museum zeigen Céline und Heiner Bastian jetzt eine eigene, kleine Hirst-Kollektion, parallel zur Londoner Retrospektive. Obgleich vieles davon schon 2007 zur Eröffnung des Hauses zu sehen war, überrascht die Frische, mit der sich Hirsts Pillenschrank „Void“ (2000) ebenso wie die „Spot Paintings“ präsentieren. Es mag an der Konzentration auf ein gutes Dutzend Bilder und Skulpturen liegen, an der frühen Entstehungszeit oder schlicht daran, dass Bastian ein sicheres Gespür für Ikonen hat: In der Berliner Schau erweist sich, dass Damien Hirst auch ein Sinnsucher war, fern von Hai und anderem Tamtam. Bis er die finanziellen und die manipulativen Möglichkeiten des Kunstmarkts für sich entdeckte.

Ausstellungsraum Bastian, Am Kupfergraben 10, bis 22. September., Do/Fr 11-17, Sa 11-16 Uhr; Tate Modern, Bankside, London, bis 9. September.

Christiane Meixner

Zur Startseite