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Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse, 46, hat ein Faible dafür, ihre literarischen Erzählungen wissenschaftlich zu ummanteln.
© dpa

„Tiere für Fortgeschrittene“ von Eva Menasse: Der Igel im Eisbecher

Und die Ex-Frau als Biene: Eva Menasse sucht in ihrem Erzählungsband „Tiere für Fortgeschrittene“ nach strukturellen Analogien zwischen tierischem und menschlichem Verhalten.

Schmetterlinge und Bienen, so lernen wir es gleich zu Beginn dieses Buchs, suchen Nahrung auch an ungewöhnlichen Plätzen. Da sie nährstoffreiches Wasser benötigen, scheuen sie selbst davor nicht zurück, sich auf den Kopf von Krokodilen zu setzen, um deren salzige Tränen zu trinken. So haben es Forscher in Puerto Rico herausgefunden.

Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse scheint ein Faible dafür zu haben, ihre literarischen Texte mit Hilfe wissenschaftlich-formaler Konstruktionen zu stützen und zu ummanteln. Auch in ihrem 2013 veröffentlichten Erfolgsroman „Quasikristalle“ hatte sie auf ein naturwissenschaftliches Modell zurückgegriffen, um ein Frauenleben aus vielen unterschiedlichen Perspektiven, aufgespalten in zahlreiche Partikel, zu beleuchten, auf dass daraus ein schlüssiges Ganzes werden möge.

Die Ex-Frau als Biene

Nun legt Eva Menasse einen Konzeptband vor. Jeder der acht Erzählungen von „Tiere für Fortgeschrittene“, die Titel tragen wie „Raupen“, „Enten“ oder „Schafe“, ist der Ausriss eines Presseartikels vorangestellt, in dem von erstaunlichen oder wundersamen Erkenntnissen aus der Tierwelt berichtet wird. In einem einzigen Fall, dem des Igels, der mit seiner Schnauze in einer Eisverpackung des amerikanischen Burgerbraters McDonald´s stecken bleibt und vor dem Hungertod gerettet werden muss (der Konzern hat mittlerweile aus diesem Grund das Design der Becher geändert), findet sich die zuvor beschriebene Begebenheit dann auch tatsächlich in der eigentlichen Geschichte wieder. Ansonsten sind die Analogien mal mehr, mal weniger augenfällig und manchmal auch gar nicht zu entschlüsseln.

Welchen Sinn aber hat das Verfahren der Parallelführung von tierischem und menschlichem Verhalten, das den Leseprozess von Beginn an stark einengt? Im Idealfall lassen sich im Gegenzug Strukturen ableiten, die auf Allgemeingültigkeit und Anschaulichkeit abzielen. In den gelungenen Erzählungen des Bandes funktioniert das auf frappierende Weise. Als Beispiel sei die Bienen-Schmetterlings-Geschichte angeführt, die das Buch eröffnet. Da ist Tom, eine Frau in den Vierzigern, die mit ihrem Mann Georg, dessen beiden Kindern aus erster Ehe und ihrem gemeinsamen Kind eine Club-Urlaubsreise plant. Der Blick in Toms Gedankenwelt, den Eva Menasse uns aufschließt, ist ein Blick in eine von Zwängen beherrschte Familienhölle, in deren Zentrum die ehemalige Frau von Georg steht. Sie terrorisiert die Familie mit Vorwürfen, Vorgaben, kleinen Schikanen und Zeitverzögerungen. Selbst im Urlaub erweist Georg sich als ein bestens dressiertes Zirkuspferd, das die Maßstäbe seiner abwesenden Ex-Frau in vorauseilendem Gehorsam über die Bedürfnisse seiner anwesenden Partnerin stellt. Und man begreift: Die Ex-Frau ist die Biene, sie ist der Schmetterling, der seinen Lebensgrund und seine Nährstoffe aus den Tränen ihrer Nachfolgerin heraussaugt.

Die Texte entwickeln ein Unheimlichkeitspotential

Überhaupt kennt Eva Menasse sich offenbar bestens aus in den Denk- und Gefühlshaushalten einer bestimmten, finanziell abgesicherten Schicht, die in ihrem Selbstoptimierungsstreben und dem Bedürfnis, jederzeit allen immer alles recht machen zu wollen, unter den Mühen der eigenen Ansprüche begraben wird. Gesellschaftlich funktionabel und politisch korrekt muss man sein: Bloß nicht den Gerüchten folgen beispielsweise, nach denen der Vater eines Mitschülers des eigenen Kindes einem internationalen Verbrecherring angehören könnte.

In manchen Augenblicken entwickeln Menasses Texte ein Unheimlichkeitspotential, das der reglementierten Gegenwart abgerungen ist. „Opossum“ heißt eine Erzählung, in der ein erfolgreicher Filmregisseur inmitten eines gespenstischen Bergszenarios landet, das beinahe eine Kulisse sein könnte, und sich nicht sicher sein darf, ob er in einer kriminellen Geschichte gelandet ist oder die Zeichen einfach nur falsch deutet.

Einige Erzählungen wirken in Tonfall und Perspektive willkürlich

Andererseits hat „Tiere für Fortgeschrittene“ auch deutliche Schwächen, die nicht selten damit zu tun haben, das Tonfall und Perspektive der Erzählungen in manchen Fällen willkürlich und gesucht wirken, als solle auf denkbar engem Raum größtmögliche Könnerschaft demonstriert werden. Und tatsächlich läppisch ist die bedauerlicherweise auch noch längste Erzählung „Schafe“, eine kaum camouflierte Groteske aus der Villa Massimo, in der Eva Menasse 2015 Stipendiatin war. Die dort buchstäblich internierten Künstler werden vom Leiter der Institution in einen Effizienzwettbewerb geschickt, dessen Bedingungen sie selbst nicht kennen und bei dem es immer nur heißt, die anderen Länder seien schon viel weiter.

Eröffnet wird die Erzählung mit einem Artikel über die sogenannten „Nolana“-Schafe; Tiere, die keine Wolle mehr produzieren, weil Gewinn bei Schafen nur noch mit dem Fleisch gemacht werden kann. Die Villa-Massimo-Stipendiaten als auf bloße Effizienz hin getrimmte Opferlämmer. Es dürfte Schlimmeres geben.

Eva Menasse: Tiere für Fortgeschrittene. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 318 Seiten, 20,- €.

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