Berlinale: Der Hunger nach Liebe
„Body“ heißt die Tragikomödie von Mamgorzata Szumowska - und tatsächlich handelt er von Körpern. Mal ausgemergelt, mal dicklich, völlig schonungslos.
Untersuchungsrichter Janusz (Janusz Gajos) isst fette gebratene Hühner und undefinierbare Eintöpfe von schlammiger Farbe. „Wenn es nur scharf genug ist, kann man alles essen“, lautet seine Devise. Seine Tochter Olga (Justyna Suwama) hasst ihn, dafür und für vieles andere. Aus Protest ist sie zur Bulimikerin geworden. Nachdem der Vater sie in eine Klinik eingeliefert hat, räumt er ihr Zimmer auf und findet tütenweise Süßkram, zum Reinstopfen und Rauswürgen.
„Anorexie hat es während des Kommunismus in Polen nicht gegeben“, erläutert die 40-jährige Regisseurin Mamgorzata Szumowska, die 2013 mit „Im Namen des …“ am Bären-Wettbewerb teilnahm. „Wir hatten einfach andere Probleme. Es gab damals keinen Druck, gut auzusehen oder sich vernünftig zu ernähren, weil jeder sich irgendwie anständig ernährte, und es gab nicht diese Riesenauswahl an Essen.“
„Body“ heißt Szumowskas Film programmatisch, und tatsächlich handelt er von Körpern. Die ausgemergelte Gestalt der Tochter steht im krassen Gegensatz zu der teigig-dicklichen Figur des alternden Justizbeamten, beide werden schonungslos präsentiert. In der Klinik versammeln sich anorektische Mädchen, während Ewa, die ältere Geliebte von Janusz, einen wunderbaren Beinahe-Nackttanz aufführt; und es gibt die Leichen der Kriminalfälle, für die Janusz zuständig ist. Und Astralleiber, die man nicht sieht, von denen aber dauernd die Rede ist.
Worum es in dem Film geht
Es geht um Trauerarbeit, um den Katholizismus in Polen, um Spiritismus, die Anwesenheit der Toten. Und, wie kann es bei einem Film namens „Body“ anders sein, um Sexualität, selbst wenn keiner der Protagonisten Sex hat. Therapeutin Anna (Maja Ostaszewska), die mit den Toten spricht, versteckt ihren Körper unter sackartigen Gewändern und teilt das Bett mit einem riesigen Hund. „Das ist auch ein Problem der modernen Gesellschaften“, erklärt Szumowska, „es gibt immer mehr Leute, die ihre Sexualität verleugnen, um sich dem Druck zu entziehen, der darauf liegt.“ Visualisiert hat die Regisseurin die Lustfeindlichkeit in tristen Interieurs und unwirtlichen Locations.
Die polnische Gesellschaft ist noch immer im Übergang begriffen, auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung rasanter vorangeschritten ist als in anderen postkommunistischen Ländern. Offenbar hat sich der gebeugte, wortkarge Beamte Janusz, dem die Veränderungen zu schnell gegangen sind, einen unerschütterlichen Panzer zugelegt, den er sich angesichts grässlich verstümmelter Leichen ebenso bewahrt wie angesichts der Hilfsbedürftigkeit seiner um die Mutter trauernden Tochter.
Wie sich Polen bis heute verändert hat
„In der Figur wollten wir zeigen, wie die polnische Gesellschaft sich verändert hat“, erläutert Szumowska, „er ist ignorant, hat sich der Welt verschlossen. Er repräsentiert die Spuren des Kommunismus, die überall in der Bürokratie, den Institutionen noch vorhanden sind. Janusz steht aber auch für den Kampf, den seine Generation vor 25 Jahren geführt hat. Diese Leute sind jetzt müde, fühlen sich überflüssig und beiseite gestellt.“
Janusz, der trinkt, raucht und sich ungesund ernährt, schadet seinem Körper genauso wie seine Tochter dem ihren. Bloß gilt sein Verhalten nicht als krank. „Nur wenn man geliebt wird, erfährt man Essen als etwas Natürliches, Lustvolles“, glaubt Szumowska. „Sonst stopft man entweder zuviel in sich rein oder gar nichts. In jeden Fall haben Essen und Liebe viel miteinander zu tun.“ Um Olga, der Tochter, am Ende trotz allem eine Szene zu schenken, die Hoffnung zulässt. Daniela Sannwald
10.2., 15 Uhr und 11.2., 21 Uhr (Friedrichstadtpalast), 15.2., 19.15 (Haus der Berliner Festspiele)