Bücher über Martin Luther: Der Hosenteufel ist auch dabei
Kampf zwischen Gut und Böse: Geistvolle, lehrreiche, dämonisch-amüsante Lektüren über Martin Luther, den Teufel und die Reformation.
Noch immer ist Luther-Jahr, und der Reformationstag am 31. Oktober steht erst bevor. Ob Martin Luther da vor 500 Jahren seine 95 Thesen tatsächlich an das Kirchentor in Wittenberg genagelt hat, ist ja historisch umstritten. Doch trotz aller Abneigung gegen Fake News: Die Welt wäre ärmer ohne Legenden und Mythen. „Kinder brauchen Märchen“, sagte der Psychologe Bruno Bettelheim. Erwachsene brauchen sie auch.
Also stehe ich gerne an der Wittenberger Schlosskirche und stelle mir vor, wie damals die Gläubigen über die frechen Thesen wider den Papst und den kirchlichen Ablasshandel gestaunt haben mögen. Und natürlich fehlt mir in Luthers Stube auf der Wartburg der richtig schöne Fleck an der Wand, dort, wo er beim Bibelübersetzen sein Tintenfass gegen den Teufel geworfen haben soll. Was auch nur ein Märchen ist. Aber eben eines, das Geschichten ihre Besonderheit verleiht und gewissen Orten ihre Aura.
Apropos Wartburg: Luther mochte offenbar den Teufel – vermutlich spürte er, dass im Kampf zwischen Gut und Böse der Teufel erzählerisch spannender ist als ein meist entrückter, strafender und erst im Jenseits womöglich erlösender Gott. Darüber erfährt man einiges in Bruno Preisendörfers „Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit“ (Galiani Verlag, Berlin, 472 S., 24,99 €.).
Hat Luther die Reformation versemmelt?
Bereits vor zwei Jahren hatte der Berliner Autor mit einer ähnlichen „Reise in die Goethezeit“ brilliert. Seine jüngste Epochenstudie ist einmal mehr habilitationsreif gebildet und führt mit einem Patchworkpanorama hinein in eine Ära, in der spätmittelalterliche Frömmigkeit, begonnene Aufklärung und der barocke Aufbruch sich bekämpfen wie vermengen. Luther, dem Sprachmeister, dem Revolutionär und Reaktionär in einer Person, kamen die Schriften eines Erasmus von Rotterdam (dessen griechische Testaments-Fassung er für seine Bibelübersetzung benutzte) so vor, „als ob man Kot in goldenen Schüsseln auftrüge“.
Viel lesenswert Lehrreiches. Auch Gruseliges über ML. Oder Dämonisch-Amüsantes, etwa unterm Stichwort „Hosenteufel“, was hier modisch-moralische Probleme mit den Potenzwölbungen im männlichen Schritt bezeichnet. Preisendörfer erkennt: „Seit Luther war immer gleich der Teufel zur Hand, wenn es darum ging, die Menschen gegen ihren Willen selig zu machen.“
Ein glänzender Satz, gültig bis heute für die Ismen aller Religionen. Darin liegt ein Schlüssel auch für die kleine pointierte Streitschrift, die der in Rom geborene, protestantische Pastorensohn Friedrich Christian Delius vorgelegt hat: „Warum Luther die Reformation versemmelt hat“ (Rowohlt, Reinbek, 62 S., 8 €.). Delius bittet den Doktor Martin herab vom Denkmalsockel, um ihm launig die Leviten zu lesen. Der Hauptvorwurf: ML, der Augustinermönch, rüttelte zwar am Ablasshandel mit den Sünden des Menschen, ließ aber die auf Augustinus zurückgehende Auffassung von der Erbsünde unangetastet. Sie ist im Judentum und im Islam bedeutungslos und wird von Christus nicht erwähnt, doch hat die Kirche den paradiesischen Sündenfall zur quasi anthropologischen Basis des schlechten Gewissens gemacht. Ein Stück Unfreiheit, auf das sich die Macht der Kirche gründet.
Luther in den Werken von Goethe und Thomas Mann
Delius trifft so einen Punkt. Das ist unterhaltsam, auch wenn es Luther wohl weniger trifft. Denn der wollte ja selbst als Reformator ein Mann der Kirchenmacht bleiben, mit Tod und Teufel als Helfern. Kein Wunder, dass zu den spannendsten Passagen in Friedrich Dieckmanns geistvoller Studie „Luther im Spiegel. Von Lessing bis Thomas Mann“ (Quintus Verlag, Berlin, 264 Seiten, 22 €.) die Kapitel gehören, in denen ML in den Werken von Goethe und Thomas Mann reflektiert wird.
Dieckmann, ein wahrer Intellektueller und eben 80 Jahre alt geworden, sieht in Goethes wie in Manns Widersprüchen auch die verbindende Spannung zwischen dem Esprit des Erasmus und dem religiösen Kopf Luthers. Und mit dem Mephistophelischen hatten’s Goethe und Mann ohnehin. Doch ganz wunderbar, wie Dieckmann hier en passant Nietzsche als Luther-Parodist mit ins Spiel bringt.