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Kraftkerl mit Kindergesicht. Vom fünften bis zum 14. Lebensjahr hat Ronald Zehrfeld Leistungssport getrieben. Als DDR-Jugendmeister im Judo träumte er von Olympia. Nun spielt er erstmals einen Nicht-Proletarier. „Ich habe zuerst richtig mit der Rolle des Arztes gehadert und mich gefragt, nimmt man so einem Vieh wie mir den Akademiker ab?“
© Kitty Kleist Heinrich

Berlinale - Wettbewerb: Der Hochleistungsspieler

Kraftkerl mit Kindergesicht: Ronald Zehrfeld ist der deutsche Kinoschauspieler der Stunde. In der DDR war er Jugendmeister im Judo und träumte von Olympia. In Christian Petzolds DDR-Drama „Barbara“ spielt er zum ersten Mal einen Nicht-Proletarier: einen Provinzarzt. Begegnung mit einem Senkrechtstarter.

Das massige Kreuz, die Muskeln, die Wurstfinger. So viel Fleisch, so viel Körper ist selten im deutschen Kino. Noch dazu im Kontrast zu diesem arglosen, breitflächigen Kindergesicht. Noch dazu in der Schauspielergarde urbaner Mittdreißiger.

Ronald Zehrfeld fällt ins Auge. Hat er von Anfang an getan. Schon 2003 als Peter Zadek den Studenten der Schauspielschule Ernst Busch ans Deutsche Theater holt. Auch 2004, als Dominik Graf dem Filmneuling gleich die Hauptrolle in seinem Dresdener Jugenddrama „Der Rote Kakadu“ gibt. Dann 2009 in Sven Taddickens saftiger Piratenposse „12 Meter ohne Kopf“, wo Zehrfeld den in eine schwere Seeräuber-Sinnkrise geratenden Haudrauf Klaus Störtebeker spielt. In Dominik Grafs Fernsehserie „Im Angesicht des Verbrechens“, die Ronald Zehrfeld in der Rolle des unbekümmerten Berliner Polizisten Sven Lottner einen Grimme-Preis einbringt. Und jetzt in Christian Petzolds Drama „Barbara“, wo Zehrfeld wieder – wie so häufig – einen warmherzigen Ostler spielt, aber zum ersten Mal einen Akademiker, einen Arzt.

1m 90 Körpergröße eingehüllt in einen weißen Kittel, der in der ersten Viertelstunde des Films irritierend über seinen Muskeln spannt. Zehrfelds bärtig-bäriger Fürsorger André ist das Fleisch gewordene Gegenbild zu der von ihm umworbenen spröd-schmalen Medizinerkollegin Barbara, gespielt von Nina Hoss.

Dass die Besetzung so gegensätzlicher Körperbilder reizvoll, aber nicht ohne Risiko ist, weiß Zehrfeld genau. Schließlich waren auch schon die schlanken Blonden Max Riemelt und Matthias Schweighöfer seine Fernseh- und Filmpartner. In Kapuzenpulli und Wollmütze sitzt er in einem Café um die Ecke vom Kollwitzplatz, mustert sein Gegenüber aufmerksam und befragt sich laut selber: „Ich habe zuerst richtig mit der Rolle des Arztes gehadert und mich gefragt, nimmt man so einem Vieh wie mir den Akademiker überhaupt ab?“

Nicht, dass das Hinterfragen seiner Statur ein neues Thema für ihn ist. Er sei schon immer so ein Obelix gewesen, der in den Topf mit Zaubertrank gefallen ist, sagt Zehrfeld. „Das schafft körperliche Präsenz, aber auch Unsicherheit.“

Schon mit fünf fällt er ins Auge. Im Land seiner glücklichen Kindheit, der DDR. Da guckt ihn ein Sportkader im Kindergarten für eine Leistungssportlerkarriere aus. In Judo. Zehrfeld gefällt das, weil Judo so exotisch ist. „Ein sanfter Weg der Verteidigung, trotzdem sehr kampfbetont“. Von fünf bis 14 jeden Tag mehrere Stunden Training, am Wochenende Wettkämpfe. Irgendwann ist Zehrfeld DDR-Jugendmeister und will Olympiasieger werden – die Wende kommt dazwischen. Sport treibt Zehrfeld immer noch mit Leidenschaft, doch Judo macht er nicht mehr. Wieso? „Der Schmerz, dass der Olympia-Traum geplatzt ist, war zu groß.“

1996 hat er erstmal Abi gemacht und dazu die Narrenfreiheit jener Jahre in Ost-Berlin genossen, Party gemacht, dann Zivildienst, an der Humboldt-Uni Germanistik und Politik studiert, ist gereist, hat sich umgeschaut, gesucht. Ein Theaterworkshop führt ihn schließlich zur Schauspielerei. Dass er mal an der Ernst Busch landet, hätte Zehrfeld nie gedacht, das war ihm als Sohn eines Ingenieurs der „Interflug“ viel zu affig. „Wir haben über die Buschis als Kinder nur gelacht, wenn die laut rezitierend vom Bahnhof kamen.“

Und später hält er sich lange für nicht klug, nicht belesen genug. Aufgenommen wird er trotzdem, auch wenn sein Körper beim Tanzunterricht erstmal nicht positiv ins Auge fällt. Die Beinmuskulatur ist zu dick für elegante Pliés. Kleiner Vorstadtproll habe ihn die strenge Tanzlehrerin – russische Schule – deswegen anfangs genannt, grinst er. Das Ungelenke gibt sich, der Körper wird geschmeidiger, die Masse bleibt. Im Internet nennen ihn Fans jetzt eine ideale Kombination aus Russell Crowe und Robert Pattinson. Er lacht. Das mit Crowe habe er schon öfter gehört, sagt Zehrfeld. Aber mit Pattinson, dieser Weichwurscht, könne er nichts anfangen.

André, seinen Filmcharakter in „Barbara“, der sich im Gegensatz zur rebellischen Barbara 1980 in einem Provinzkrankenhaus der DDR mit dem Repressionsstaat und der Stasi arrangiert, hält er trotz dessen Sanftmut für keine Weichwurst. Der sei alles – Opportunist, Humanist, Ex-Karrierist, ein geerdeter Typ. Geerdet wie Zehrfeld, der Sätze über sein versunkenes Kindheitsland sagt, von denen er genau weiß, das sie nur noch bei Ostalgikern und Naivlingen zitabel sind. Beides ist er nicht, in der Wolle gefärbter Ostler schon. Aber den Film-Ossi vom Dienst will er trotzdem nicht geben, auch wenn ihn beim Dreh im leer stehenden Krankenhaus in Kirchmöser viel an die Achtziger in der DDR erinnert hat. „Das Gefühl von Langsamkeit und die wachen Blicke, mit denen sich die Leute mustern, weil keiner weiß, ob einer was weitergibt.“

Diesen Nachhall, den tönenden Raum, das Zeichensystem zwischen Worten und Gesten zu erzeugen, das interessiert Zehrfeld. Und im nächsten Moment lacht er sich darüber kaputt, dass er am Set mit den anderen Schauspielern wie ein Halbgott in Weiß vor Röntgenbildern stand. „So Emergency-Room-mäßig, dabei sind wir doch nur Gaukler.“

Eine gute Fähigkeit, sich selbst so mit Distanz anzuschauen. Zehrfeld weiß, wie privilegiert sein Künstlerleben mit Frau und Kind in Prenzlauer Berg ist. „Ich schaffe ja nix, stelle nichts her“, sagt er fast entschuldigend, „höchstens Filme, die den Leuten Kraft geben“. Weil ihm das Filmgeschäft als Schauspielabsolvent zu suspekt war, wollte er vor zehn Jahren auch lieber erstmal ans Theater, den alten Hasen Neuenfels oder Zadek über die Schulter gucken. Durch die Arbeit mit Dominik Graf wurde die Skepsis dann weniger. Inzwischen ist Ronald Zehrfeld nicht nur als Mensch, sondern auch als Schauspieler in seinen Körper reingewachsen. „Jetzt kann ich mich dem roten Teppich stellen“, sagt er. Das muss er auch, bei der Premiere von „Barbara“ im Berlinale-Palast.

11.2., 19.30 Uhr (Berlinale-Palast), 12.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 13.2., 20 Uhr ( Haus der Berliner Festspiele)

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