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Eine Million Dollar. Kevin Spacey als Börsenhai verspricht den Händlern für den Blitzverkauf toxischer Papiere einen hohen Bonus. „Der große Crash“, der im Februar die Berlinale eröffnete, kommt am Donnerstag ins Kino.
© dapd

Filmkritik: Der große Schlussverkauf

Die Nacht vor dem Börsensturz 2008: J. C. Chandors Kammerspiel „Der große Crash“ ist der bisher beste Film zur Krise.

Entschlossener Schritt, stoischer Blick: Der Trupp der Abwickler nähert sich dem Büro. 80 Prozent der Angestellten werden heute entlassen. Die Szene gibt es derzeit häufiger im Kino, in „Up in the Air“, „Wall Street 2“ oder „Company Men“. Diesmal erwischt es Eric Dale (Stanley Tucci), Risikomanager bei Goldman Sachs. 19 Jahre hat er für die Bank gearbeitet. Nun stehen ihm noch drei Monate Gehalt und ein halbes Jahr Krankenversicherung zu, sein Mailaccount ist ab sofort gesperrt. Ihm bleibt nur die Pappkiste mit den persönlichen Sachen; ein Wachmann eskortiert ihn zum Fahrstuhl. Sein Handy ist auch schon abgemeldet: Draußen vor dem New Yorker Bürohochhaus kann er nicht mal seine Frau informieren.

Aber Eric ist kein Opfer der Krise, im Gegenteil, er löst sie mit aus. Und natürlich fällt der Name der New Yorker Investmentbank Goldman Sachs in J.C. Chandors Debütfilm kein einziges Mal. Trotzdem ist klar, was gemeint ist. „Der große Crash – Margin Call“ schildert die Nacht vor dem Börsensturz im September 2008. Nicht, dass es sich genau so abgespielt hätte. Aber Chandor verdichtet die wahren Ereignisse zu einer wahrhaftigen fiktiven Stunde null, in der all das kulminiert, was jetzt ganze Staaten in die Pleite reißt.

Draußen New York im Zeitraffer, mit fliehenden Wolken und hastigen Schatten. Drinnen herrscht rasender Stillstand. „Margin Call“, benannt nach dem Broker-Begriff, der den Aufruf nach mehr Geld bezeichnet, wenn eine Aktie nicht mehr gedeckt ist, konzentriert sich auf ein Kammerspiel unter Männern. Eine Starbesetzung (Tucci, Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons) für Banker, Manager und Analysten, mit nur einer einzigen Frau: Mit harten Gesichtszügen und straff gebundenem Haar ist Demi Moore die männlichste unter den Herrschaften.Der Plot: Die eigenen Millionen müssen gerettet werden – und koste es die Welt. Die Banker stoßen faule Wertpapiere ab, entlassen sich selbst (gegen einen guten Bonus) und reißen alle anderen in den Abgrund. Es ist die blanke Gier.

Eine unangenehme Botschaft. Nicht der Kapitalismus ist schuld, nicht das System implodiert, sondern konkrete Menschen erliegen ihrer eigenen Hybris und treffen konkrete Entscheidungen zum eigenen Vorteil. Erst entdecken Erics Kollegen auf dessen Tipp hin den Fehler in der Formel für die eigene Risikoberechnung: Es droht ein gigantischer Bankrott. Dann beschließt der nächtliche Kriegsrat samt Boss (Kevin Spacey) und per Hubschrauber eingeflogenem Boss der Bosse (Jeremy Irons) den Blitzverkauf aller toxischen Papiere – der Beginn der Lawine.

Wie fühlen sich Leute, die in nicht mal 24 Stunden die Finanzwelt sehenden Auges ins Unglück stürzen? Der junge Regisseur Chandor (dessen Vater ein Banker war) ist so klug, es kein bisschen menscheln zu lassen. Klüger als Oliver Stone in „Wall Street 2“: Sein Drama spitzt nicht die Frage nach der Moral zu, sondern nähert sich einem Denken an, das keine Moral kennt. Nicht, dass die Männer Monster wären, sie sind nur professionell deformierte, allseits reduzierte Persönlichkeiten. Zu viele Zahlenkolonnen, zu viele Boni, das macht herzlos. 80 Prozent gefeuert, lauter gute Leute? Kevin Spacey feuert die Verbliebenen mit Applaus in eigener Sache an: Ihr wart besser!

Was gar nicht stimmt. Auch im Kapitalismus herrscht die Willkür der Mächtigen. „Ich sitze nicht auf diesem Stuhl, weil ich so viel weiß,“ sagt Jeremy Irons zu einem der Jungen (Zachary Quinto), aus deren Perspektive die Story aufgerollt wird. Der Konzernchef, eine echte ShakespeareFigur, kaut blutiges Fleisch im Restaurant hoch über der Stadt, seine Untergebenen kauen Nikotinkaugummis, stöpseln die Ohren zu, leben in einer Blase. Stille umgibt sie, stumm blinkende Monitore, sterile Interieurs – der kühle Kokon der Wall Street. Frische Luft, das ist die schnelle Zigarette am Tiefgaragenausgang.

Der jüngste Analyst (Penn Badgley) fragt gern nach den Gehältern der Bosse. 78 Millionen, das fasziniert ihn. Er ist erst 23, hat im Vorjahr seine erste Viertelmillion verdient. Der Oberzyniker der Firma rechnet ihm vor, wie schnell das Zehnfache weg ist. Die Hälfte für die Steuer, 300 000 für die Wohnung, 150 000 für den Wagen, 70 000 für Nutten ... Wir verkaufen den Leuten nur, was sie wollen, ein Leben auf Pump, Kredite die sie nie zurückzahlen können, ruft er bei der Fahrt durch die Nacht. Ein bad guy, der das Richtige sagt: großartig, wie Paul Bettany solche Wahrheiten zum Besten gibt, ohne seine Figur dem Zuschauer auch nur im Geringsten anzudienen.

Nur Kevin Spacey, der alte Hase, kennt noch so etwas wie Skrupel. Er zögert, hält den Konzernchef hin – und animiert die Händler frühmorgens mit seinem berühmten Charisma dann doch zum schnellen Verkauf der Papiere. Um seinen krebskranken Hund trauert er mehr als um die Welt, die er ins Unglück stürzt. Am Ende ist der einzige Sympathieträger der schlimmste Zyniker. Ein good guy, der das Falsche tut: auch großartig, wie Spacey sich dem Zuschauer mit einem Rest Herzenswärme andient und ihm zumutet, eben das als korrupt zu durchschauen.

Einmal, im Fahrstuhl, streitet sich Demi Moore mit ihrem Kollegen darum, wer von beiden das nächtliche Blutbad überleben wird. Ein Disput über den Kopf der Putzfrau hinweg, die reglos zwischen ihnen steht. Als existierte sie nicht. Mit solch unaufgeregten Bildern zeichnet „Der große Crash“ Täterprofile: der bisher beste Spielfilm zur Krise. Die Folgen ihrer Taten kann man übrigens in „Let’s make Money“ besichtigen, dem besten Dokumentarfilm zur Krise. Der entstand schon kurz vor dem Crash.

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