"Hitchcock" im Kino: Der große Manipulator
Die Dusche, der Schrei und die Frau des Regisseurs: Sacha Gervasis Spielfilm „Hitchcock“ erzählt von den Dreharbeiten zu "Psycho"
Den größten Schauder lösen im Kino gar nicht unbedingt Bilder aus. Sondern: Töne. Dreht man bei „Psycho“ in dem Moment den Ton weg, in dem Janet Leigh unter die Dusche steigt, wirkt der Mord, der dann folgt, beinahe harmlos. Zu sehen ist die Frau im Wasserstrahl und im Gegenschnitt der Duschkopf von unten, in ihrer Perspektive also, eine Tür, die sich öffnet und eine sich langsam nähernde Silhouette, dann ein blitzendes Messer, das immer wieder zusticht. Am Ende verschwindet eine dunkle Flüssigkeit – „Psycho“ ist ein Schwarzweißfilm – im Abfluss. Es muss Blut sein. Ihre volle Wucht entfaltet die schockierendste Szene, die Alfred Hitchcock jemals inszeniert hat, erst in der Kombination mit Bernard Herrmanns Soundtrack und seinen stechenden, schmerzhaft schrillen Geigenakkorden. Er setzt genau in dem Augenblick ein, in dem der Mörder den Duschvorhang zur Seite zieht.
Hitchcock war ein begnadeter Manipulator. Wie keinem anderen Filmemacher ist es ihm gelungen, mit den Gefühlen der Zuschauer zu spielen. In dem berühmten Mammutgespräch, das Truffaut mit Hitchcock über seine Filme führte, hat er gesagt, bei „Psycho“ sei es ihm darauf angekommen, „das Publikum zum Schreien zu bringen“. Das ist ihm gelungen. Eine Schlüsselszene des Spielfilms „Hitchcock“, der von den Dreharbeiten zu „Psycho“ handelt, zeigt, wie sehr es der von Anthony Hopkins verkörperte Titelheld genießt, Angst und Schrecken zu verbreiten. Bei der Premiere von „Psycho“ steht er in der Lobby des Kinos und wartet auf die Reaktionen der Zuschauer. Als die Duschszene beginnt, wird es mucksmäuschenstill. Dann erklingen die Sichelklänge der Filmmusik, in die sich die Schreie und das Kreischen der Besucher mischen. Und der kleine dicke Mann fängt an zu tanzen und zu dirigieren. Der Meisterregisseur: eine Mischung aus Rumpelstilzchen und Sir Simon Rattle.
Die Entstehungsgeschichte von „Psycho“ war gewissermaßen selber ein Thriller. Sie endete mit einem Triumph. Das Paramount-Studio hatte den Stoff für zu brutal gehalten und die Finanzierung abgelehnt. Deshalb musste Hitchcock den Film selber produzieren. Er verpfändete seine Villa, lieh sich 800 000 Dollar und arbeitete schnell und mit kleinem Team. „Psycho“ spielte 13 Millionen Dollar ein und wurde Hitchcocks größer Erfolg. „Hitchcock“ erzählt von den Kämpfen, die der Regisseur mit den knickerigen Studiobossen und mit prüden Zensoren führte, die ihm die Duschszene streichen wollten, und hält sich dabei eng an die Vorlage, das Buch „Hitchcock und die Geschichte von Psycho“ des Filmhistorikers Stephen Rebello.
Aber dem britischen Regisseur Sacha Gervasi geht es nicht um Hollywood-Enthüllungen, statt für den Künstler Hitchcock interessiert er sich mehr für den Privatmann. Am Anfang – wir befinden uns im Jahr 1959 – liegt Hitchcock in der Badewanne und liest seiner Ehefrau Alma, die ihn nur „Hitch“ nennt, aus einem Verriss seines letzten Films in der „New York Times“ vor. Bin ich wirklich schon zu alt, habe ich meine Magie verloren? Hitch hadert mit sich, hätte er nicht bereits seinen 60. Geburtstag hinter sich, müsste man seine Selbstzweifel für die Symptome einer Midlifecrisis halten.
So wie Hitchcock dann nicht einmal von der Zeitung aufschaut, als Alma hineinkommt, um ein Abendkleid vorzuführen, und er bloß knurrt: „sehr vorzeigbar“, ist sofort klar, dass es um die Ehe nicht zum Besten steht. Sie sind seit mehr als 30 Jahren verheiratet und miteinander alt geworden. Doch viel zu sagen haben sie sich nicht mehr. Als sie sich in einem Londoner Filmstudio kennengelernt hatten, war sie seine Vorgesetzte. Sie wurde seine Cutterin und ging mit nach Hollywood. Der Mann macht Karriere, die Frau steckt zurück: keine ungewöhnliche Konstellation für das 20. Jahrhundert.
Helen Mirren spielt Alma als Aktivposten der Geschichte, mit schlagfertigem Witz. Als Hitch ihr sagt, dass er „Psycho“ drehen will, entgegnet sie: „Doris Day sollte daraus ein Musical machen.“ Anthony Hopkins beherrscht neben der tapsig-bärenhaften Körpersprache seines Vorbildes auch dessen schläfrig-schnalzende Sprechweise. Aber mit Helen Mirrens Dynamik kann er nicht mithalten.
„Hitchcock“ gehört einem Genre an, für das der Thriller-Spezialist Hitchcock kein Talent besaß: Es ist ein Liebesfilm. Nicht, dass er „Psycho“ gegen alle Widerstände realisieren konnte – suggeriert der Film – sei der größte Erfolg des Regisseurs gewesen. Sondern, dass ihn Alma nicht verlassen hat. Er stellt am Set Blondinen nach, allen voran der von Scarlett Johansson gespielten Hauptdarstellerin Janet Leigh. Sie lässt sich auf einen Flirt mit einem öligen, von Danny Huston dargestellten Drehbuchautor ein, mit dem sie in einem Strandhaus an einem Script arbeitet. Doch so ein Techtelmechtel fand nicht statt, die hinzuerfundene Episode ist die größte Schwäche des Films. Sie erscheint wie die Strafe für das triebtäterhafte Sexualgebaren des Helden, der sogar ein Guckloch in eine Garderobenwand bohrt, um einer Schauspielerin beim Ausziehen zusehen zu können.
Hitchcock hatte Abgründe. Tippi Hedren berichtet in ihren Memoiren, wie sie der Regisseur bei den Dreharbeiten zu „Die Vögel“ bedrängte. Doch Sacha Gervasi belässt es in seinem ersten Spielfilm lieber beim Anekdotischen als sich genauer mit derlei Anklagen zu befassen. Er zeigt Hitchcock exakt so, wie ihn die Zuschauer seiner Fernsehsendung „Alfred Hitchcock presents“ kennen: als knorriges Genie. Warum er der „Master of Suspense“ genannt wurde? Weil er seiner Frau am Ende gesteht, dass er sie immer attraktiver fand als alle anderen Blondinen.
Christian Schröder
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