zum Hauptinhalt

Kultur: "Der geteilte Himmel" von Christa Wolf

"Die Leute, seit langem an diesen verschleierten Himmel gewöhnt, fanden ihn auf einmal ungewöhnlich und schwer zu ertragen, wie sie überhaupt ihre plötzliche Unrast zuerst an den entlegensten Dingen ausließen." Ein beziehungsreicher Satz aus dem kurzen Prolog zu Christa Wolfs Debütroman "Der geteilte Himmel", der 1963 im Mitteldeutschen Verlag, Halle, erschienen ist: weil er sich heute mehrdeutig liest und nicht mehr unbedingt auf den August 1961 gemünzt ist, sondern auch für 1989 gelten kann.

"Die Leute, seit langem an diesen verschleierten Himmel gewöhnt, fanden ihn auf einmal ungewöhnlich und schwer zu ertragen, wie sie überhaupt ihre plötzliche Unrast zuerst an den entlegensten Dingen ausließen." Ein beziehungsreicher Satz aus dem kurzen Prolog zu Christa Wolfs Debütroman "Der geteilte Himmel", der 1963 im Mitteldeutschen Verlag, Halle, erschienen ist: weil er sich heute mehrdeutig liest und nicht mehr unbedingt auf den August 1961 gemünzt ist, sondern auch für 1989 gelten kann. Es ist interessant, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer diesen Roman wiederzulesen, der als einer der ersten in der DDR den Mauerbau thematisiert hatte. Christa Wolf lässt ihre zwanzigjährige Heldin Rita Seidel im Krankenhaus rückblickend ihre Geschichte erzählen, ihre Liebe zu dem wesentlich älteren Chemiker Martin Herrfurth, der - frustriert von der Schlamperei und der Ungerechtigkeit in der Waggonfabrik - kurz vor dem Mauerbau für immer nach West-Berlin geht. Rita, die angehende Lehrerin, die in der Industriestadt ein Praktikum absolviert und dabei verunglückt, ist hin- und hergerissen, ringt mit sich, ob sie dem Geliebten folgen soll oder nicht. Sie entscheidet sich für die DDR und ihre eigenen Möglichkeit, ihr Leben zu gestalten. Und dann wird die Mauer gebaut.

In der DDR löste der Roman ein großes Echo aus. Denn immerhin hatte sich die Heldin trotz ihrer messerscharfen Argumentation, trotz ihrer Beobachtung der Missstände im sozialistischen System für die DDR entschieden: im Glauben, hier noch etwas ausrichten zu können. Diese Haltung erlaubte es Christa Wolf im Gegenzug, Widersprüche in der DDR differenziert zu beschreiben - aus heutiger Sicht war die Analyse der Missstände glasklar. Gerade diese Analyse ließ das Buch 1973 im Westen zu einem Erfolg werden. Hier sah man in Christa Wolf eine Autorin, die in der DDR mutig die Mängel des Systems beschrieben hatte. Ein gesamtdeutscher Bucherfolg in den Zeiten der Teilung; die Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau, die der Dorftristesse entflieht, in der Großstadt ihre Chance sieht und nicht gleich beim geringsten Widerstand aufgibt - auch deshalb hat sie sich zur Rückkehr entschlossen.

Zur Startseite