Francis Collins: Der Genetiker und die Sprache Gottes
Eine seiner Aufgaben sieht er darin, Religion und Wissenschaft zu versöhnen: Ein Gespräch mit dem Erbgut-Entzifferer, Wissenschaftsmanager und überzeugten Christen Francis Collins.
Am 26. Juni 2000 feierte Francis Collins zusammen mit Craig Venter bei US-Präsident Bill Clinton. Nach einem monatelangen Wettrennen um die Entzifferung des menschlichen Erbguts hatten die beiden wissenschaftlichen Kontrahenten Frieden geschlossen, zumindest kurzzeitig. Im Weißen Haus präsentierten Collins und Venter feierlich eine erste umfassende Version des menschlichen Erbguts. „Heute lernen wir die Sprache, in der Gott das Leben schuf“, sagte Clinton. „Wir haben einen ersten Blick auf unsere Bauanleitung geworfen, von der vorher nur Gott wusste“, sekundierte Collins.
Gott und Genetik? Collins Kommentar konnte man als metaphorisch verstehen, für „Gott“ zum Beispiel „Natur“ einsetzen. Aber Collins meinte es so, wie er es sagte. Er, der Chemiker, Genetiker und Arzt, bekannte sich öffentlich zu seinem Glauben als evangelikaler Christ. Auch darin Widersacher von Craig Venter, dem Atheisten. Und während Venter heute dabei ist, das Genom-Projekt kleinzureden und seinen medizinischen Nutzen „nahe bei Null“ ansetzt, verteidigt Collins das Vorhaben vehement und sieht bereits bemerkenswerte Fortschritte.
Zweifellos macht der Gentechnik-Unternehmer Craig Venter mit seinen subtilen Mikrobenjagden in den Weltmeeren und seinen Plänen zur Erzeugung künstlichen Lebens viele Schlagzeilen. Mehr zu sagen hat Collins. Er leitet die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA (National Institutes of Health, NIH) in Bethesda bei Washington. Jahresbudget: 32 Milliarden Dollar, etwa 23 Milliarden Euro. Keine andere Forschungs-Förderorganisation hat mehr Geld. Mitarbeiter: 18 000. In gewisser Weise ist Collins der mächtigste Wissenschaftler der Welt.
Auf den ersten Blick ist Francis Collins eine eher blasse Erscheinung. Der 60-Jährige trägt das ergrauende Haar nach Art der frühen Beatles, hat einen Oberlippenbart und eine dünnrandige Brille, Marke Studienrat. Aber der Mann mit dem freundlichen Lächeln und dem konzilianten Auftreten gibt auch mal den bösen Buben. Er spielt zusammen mit anderen NIH-Wissenschaftlern in der Rockband „The Directors“ und ist mit Joe Perry, Gitarrist von Aerosmith, aufgetreten. Und Collins fährt Motorrad, eine Harley Davidson. „Das größte und lauteste, was man kriegen kann“, sagt er stolz.
Wir treffen Collins am Rand des Weltgesundheitsgipfels an der Berliner Charité. Bei dem Gipfel hat er einen der Hauptvorträge gehalten und seine Ideen zur Weltgesundheit erläutert. Er trägt einen dunklen Anzug, eine gedeckte Krawatte mit einem dezenten Chromosomenmuster – „hat meine Frau im Internet gefunden“ – und an seiner Rechten einen auffälligen silbernen Ring mit Kreuz.
Collins ist ein Mann der Widersprüche. Der Wissenschaftler verteidigt die Evolutionstheorie und kämpft für die Forschung an embryonalen Stammzellen. Der Christ kritisiert den Atheismus und bewundert die „ehrfurchtgebietende Natur der Schöpfung“.
Bekehrt wurde der „abscheuliche Atheist“ (Collins über Collins) beim Wandern in den Bergen. Als er um eine Felskante bog, erblickte er plötzlich einen gefrorenen Wasserfall, perfekt in drei Teile gespalten. Für Collins war das die Offenbarung der Heiligen Dreifaltigkeit.
Collins sieht eine seiner Aufgaben darin, Religion und Wissenschaft zu versöhnen. Der Theorie des Harvard-Paläontologen Stephen Jay Gould, dass beide in „nicht überlappenden Lehrgebieten“ zu Hause sind, sich also nicht überschneiden und damit auch nicht in die Quere kommen, stimmt er nur zum Teil zu. In seiner Kritik an Gould ähnelt er den „neuen Atheisten“ wie Richard Dawkins und Sam Harris. Aber Collins steht auf der anderen Seite. Für ihn sind Evolution und Urknall eine Idee Gottes, ebenso wie die in gewisser Weise außerhalb des reinen Naturgeschehens stehenden Phänomene der Moral, des freien Willens und, natürlich, der unsterblichen Seele.
Aufgewachsen ist Collins auf einem kleinen Bauernhof in Virginia, seine Eltern waren frühe Aussteiger. Collins’ Mutter unterrichtete ihn die ersten Schuljahre selbst. Es folgte eine glanzvolle wissenschaftliche Karriere: Chemiestudium, Promotion in Yale, Medizinstudium, Professor für Humangenetik, Leiter der Humangenomforschung an den NIH als Nachfolger von Doppelhelix-Entdecker James Watson, schließlich Chef des öffentlichen Humangenomprojektes und Initiator wesentlicher Nachfolgevorhaben wie einem Verzeichnis genetischer Unterschiede („hap map“) und einem Krebsgenomatlas.
Collins entwickelte ein wichtiges Verfahren zum Aufspüren von Krankheitsgenen namens „Positionsklonierung“. Er entdeckte unter anderem das lange gesuchte Gen für Mukoviszidose.
Im Juli 2009 ernannte US-Präsident Barack Obama den mittlerweile vielfach ausgezeichneten Collins zum Direktor der NIH. Während der Großteil der Amerikaner tief gläubig ist, ergibt sich in der Elite der US-Forscher ein umgekehrtes Bild. Nur etwa sieben Prozent der Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften glauben an Gott. Und so war es nicht verwunderlich, das etliche prominente Forscher Obamas Entscheidung kritisierten. Etwa der Harvard-Psychologe Steven Pinker, der Collins vorwarf, „antiwissenschaftliche Glaubensvorstellungen“ zu fördern. Und der Biologe Jerry Coyne von der Universität von Chicago fragte sich, wie sich Collins’ Berufung auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen auswirken könnte.
Zumindest dieser Teil der Einwände ist widerlegt. In der Debatte um eine Gerichtsentscheidung vom August, die die öffentlich geförderte Stammzellforschung blockierte, erwies sich Collins als vehementer Verteidiger. „Es ist Zeit, die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu beschleunigen, nicht auf die Bremse zu treten“, sagte er.
Trifft Collins die Kritik aus den eigenen Reihen? „Ich bin beunruhigt“, antwortet er. „Als NIH-Direktor möchte ich alle Wissenschaftler unterstützen, niemand braucht sich wegen meiner Auffassungen Sorgen zu machen.“ Ohnehin sei seine Macht beschränkt. Denn das gewaltige NIH-Budget verteilt sich nicht nur auf 27 Institute und Zentren. Der größte Teil fließt in externe Forschung, etwa an Universitäten. Wissenschaftliche Gutachter wachen über die Mittelvergabe.
„Nur jeder siebte Förderantrag wird genehmigt“, sagt Collins, eine in seinen Augen zu geringe Zahl. „Viele Leute schreiben Anträge, statt zu forschen.“ Und dann die Inflation: „Wir können heute weniger mit unserem Etat machen als noch vor zehn Jahren.“ Im Kampf gegen die Leiden dieser Welt genügen selbst 32 Milliarden nicht.
„Translation“, Übersetzung, lautet Collins’ Hauptziel als NIH-Direktor. Er möchte, dass die Hochschulen bei der Entwicklung neuer Medikamente eine größere Rolle spielen, ihre Erkenntnisse aus der Forschung in Arzneimittel „übersetzen“ und den Stab später als bisher an die Pharmaindustrie übergeben.
Einer, der es immer hervorragend geschafft hat, seine Forschung in klingende Münze umzusetzen, ist Craig Venter. Wer weiß, vielleicht sehen sich beide ja in Stockholm wieder, wenn dort eines Tages der Nobelpreis für das Entziffern des menschlichen Genoms verliehen wird. Das wär eine frohe Botschaft, für Gläubige wie Ungläubige.