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Kultur: Der Elektronik-Schamane: Sag mir, wo die Hippies sind

Zwei E-Gitarren lümmeln auf dem Sofa herum. Lässig haben sie ihre Hälse auf die Lehnen gestützt und hören zu.

Zwei E-Gitarren lümmeln auf dem Sofa herum. Lässig haben sie ihre Hälse auf die Lehnen gestützt und hören zu. Aus der anderen Ecke des Raumes, da, wo das Mischpult und der Sessel stehen, kommt ein Rhythmus herüber. Es sieht so aus, als überlegten die Gitarren, welche Melodie ihnen dazu einfällt. Dann kommen die Hände herein, ohne die die Saiten still bleiben würden. Sie gehören Manuel Göttsching. Er zeigt in die Richtung der Beats und sagt: "Hört sich doch schon ganz gut an, oder?" Göttsching und seine Band Ashra bereiten sich in einer Schöneberger Altbauwohnung gerade auf ihr erstes Konzert seit drei Jahren vor. Sie proben nicht jede Note, sondern legen nur Themen und Lautstärken fest.

Den 47-jährige Göttsching macht das nicht nervös, schließlich spielt er schon seit über 20 Jahren mit Lutz Ulbrich und Harald Grosskopf zusammen. Ulbrich, genannt Lüül, kennt er sogar noch länger: Die beiden hatten in den 60er Jahren dieselbe Gitarrenlehrerin - Frau Scheibitz von der Musikschule Charlottenburg. Sie leistete gute Arbeit, denn schon mit vierzehn gründeten die beiden eigene Bands: Die von Ulbrich hieß "Agitation Free", Göttsching spielte bei den "Bluebirds", die sich "The Bomb Proofs" nannten, später.. Im Reportoire waren Coverversionen von Cream und Jimi Hendrix. "Ich habe auch gesungen. Aber weil ich in der Schule noch nicht lange Englisch hatte, waren die Texte eher lautmalerisch," erinnert sich Göttsching. Mit dem Singen hat er dann bald aufgehört. Dafür gründete er 1970 zusammen mit seinem Schulfreund Harald Enke und dem Drummer Klaus Schulze Ash Ra Tempel. Der Name stand von Beginn an für Musik, die nur schwer einzuordnen war: Auf dem Debüt-Album befanden sich nur zwei überlange Titel, deren Spannweite von Feedback-Infernos bis zu psychedelischen Synthesizer-Landschaften reichte. So wurde die Band mal zum Krautrock gezählt, könnte aber neben Tangerine Dream und Kraftwerk auch als wichtige Vertreterin der Kosmischen Musik gelten.

Eines der verrücktesten Alben von Ash Ra Tempel entstand 1973 zusammen mit dem amerikanischen LSD-Papst Timothy Leary, der damals in der Schweiz Asyl gefunden hatte. Göttsching, Enke und ein Trupp von Gastmusikern fuhren nach Bern und spielten "Seven Up" ein. Der Titel der Platte rührt daher, dass Leary heimlich eine "Seven Up"-Flasche mit LSD versetzt hatte. Im Studio war es sehr heiß, so dass alle davon tranken - und auf einen Trip kamen. Entsprechend geriet die Platte: Blues-Riffs treffen auf dicke Synthie-Teppiche, dazu singen Leary und fünf weitere Sänger von den sieben Ebenen des Bewusstseins. Nach der Session hielt die Drogenwirkung an: "Ich fuhr Auto und alle entgegenkommenden Fahrzeuge wurden plötzlich riesig groß," erzählt er und reißt dabei seine Augen hinter der Brille weit auf.

Jetzt trinkt Göttsching lieber Weißwein und nimmt sich noch eine Zigarette. Die Besetzung von Ash Ra Tempel war immer flexibel. Schon nach der ersten Platte verließ Klaus Schulze die Gruppe, um eine Solokarriere zu starten. Trotzdem blieben er und Göttsching befreundet und geben bis heute gemeinsam Konzerte. Die einzige Konstante im Lineup war Göttsching selbst, und wenn er alleine spielte. So brachte er 1974 "Inventions for Electric Guitar" heraus. Seine Gitarre ist darauf das einzige Instrument.

Für eine Europatournee holte Göttsching 1975 Lutz Ulbrich in den Tempel. Bei einem Open Air im französischen Arles waren die beiden im selben Hotel untergebracht wie Nico, die ehemalige Sängerin von Velvet Underground. Auch sie gab ein Konzert, und Ulbrich verliebte sich in sie. Doch Nico ließ ihn zunächst zappeln und zog mit Göttsching durch die Stadt: "Irgendwann war es dann vier Uhr morgens und ich sagte zu ihr: Das Hotel hat wohl jetzt zu. Sie entgegnete, dass sie das schon aufbekommen werde - singend." Und so sang Nico den Portier aus dem Bett. Auch für Ulbrich ging die Geschichte gut aus: Er lebte und musizierte mit Nico einige Jahre lang.

Schließlich unterzeichnete Göttsching 1976 bei Virgin einen Plattenvertrag und verkürzte den Bandnamen auf Ashra. Mit der Zeit kristallisierte sich - vor allem für Live-Auftritte - die Besetzung Göttsching, Ulbrich und Harald Grosskopf am Schlagzeug heraus. Trotzdem war von der Band oft Jahre lang nichts zu hören, denn alle Mitglieder hatten Nebenaktivitäten. So schrieb Göttsching Musik für Modeschauen und Filme, produzierte die Debüt-Platte der Gruppe Ideal und nahm Anfang der Achtziger eher zufällig ein Stück auf, das wegweisend für die spätere Trance-Techno-Bewegung wurde: Er bespielte sich eine Kassette, die er auf einem Flug nach Hamburg im Walkman hören wollte.

Der Track dauert eine knappe Stunde und besteht aus einem gleich bleibenden ruhigen Beat, über den Synthie- und Gitarreneffekte gelegt sind. Mehr passiert nicht. Trotzdem veröffentlichte Klaus Schulze das Stück auf seinem Label "Inteam". Titel: "E2-E4", nach einer Eröffnung beim Schachspielen. Erfolgreich war die Platte zunächst nicht. Erst als 1989 ein italienischer DJ einen Teil sampelte und daraus den Dancetrack "Sueno Latino" machte, wurde ein Hit daraus. "Nummer Eins in Deutschland, England und Rimini," sagt Göttsching grinsend.

Wegen "E2-E4" wird Manuel Göttsching noch immer von der Techno-Szene verehrt. Einer seiner großen Fans ist der Loveparade-Vater Dr. Motte. Ashra hatten es hingegen in Deutschland immer schwer. Bekannter ist die Band in Frankreich, Belgien und England - und in Japan.

Das konnten Göttsching, Ulbrich, Großkopf und der Neuzugang DJ Steve Baltes vor drei Jahren auf einer kleinen Tournee erleben: In ausverkauften Clubs spielten sie vor überglücklichen Fans, die sogar Platten aus den Siebzigern zum Signieren mitbrachten. Doch der größte japanische Ashra-Fan heißt Gen Fujita und ist Besitzer des Wachsmuseums in Tokio. Dort steht nun Göttsching noch einmal in Lebensgröße: mit langen blonden Haaren und einer roten Gibson SG-Special vor dem Bauch.

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