Pop: Der Captain und das Kollektiv
Alien-Funk aus der Zukunft: das Album von Damon Albarns Supergroup Rocket Juice & The Moon.
Tschikka-Tschikka: Bumm. Tschikka- Tschikka: Bummbumm. Der erste Takt des ersten Stückes auf dieser Platte ist noch nicht zu Ende geklopft, und schon fällt man hinein in den einzigartigen Groove der Afro-Beat-Legende Tony Allen. Er scheint seine Trommeln nicht zu schlagen, sondern lässt sie so klingen, als würde er vorsichtig anfragen, welche ihrer zahlreichen butterweichen Töne sie denn jetzt gerade bereit wären, von sich zu geben. In diese Unterhaltung knackt der trockene Bass eines Mannes, der ein großer Fan des nigerianischen Drummers ist, anders als jener aber Millionen von Platten verkauft hat: Flea, Dynamo der US-amerikanischen Funk-Rock-Band Red Hot Chili Peppers. Nach einer knappen Minute dieser „1-2-3-4-5-6“ betitelten Turtelei sendet ein billiges Keyboard rhythmische Störsignale und bringt das Ganze zwingend in Form. Wir hören so etwas wie Alien-Funk aus der Zukunft.
Das ist neu, das ist anders, hat man so noch nicht gehört. Wie sonst als mit einem magischen Moment sollte wohl dieses Rocket Juice & The Moon genannte Aufeinandertreffen galaktischer Spieler beginnen? Der Mann mit dem billigen Keyboard heißt Damon Albarn und wird von Tony Allen, der immerhin jahrelang unter dem Musik-Diktator Fela Kuti trommelte, respektvoll „Captain“ genannt, weil, so sagte er dem britischen „Mojo“-Magazin, „ein Boot kentert, wenn niemand das Kommando übernimmt. Es spielt keine Rolle, dass die Matrosen gleichermaßen talentiert sind, einer muss dass Ruder übernehmen. Damon tut das.“
Kapitän Albarn steuert seit zwanzig Jahren sehr erfolgreiche Boote wie seine Band Blur, das Gorillaz-Projekt und die All-Star-Versammlung The Good, The Bad & The Queen. Daneben schreibt er Opern und Filmmusiken, produziert ein Album mit Soul-Veteran Bobby Womack, das Mitte Juni erscheint, leistet sich mit Honest Jon’s Records ein eigenes Label und geht immer wieder nach Afrika. Erstmals reiste er 1999 im Auftrag der Hilfsorganisation Oxfam nach Mali, zuletzt 2011 in die Demokratische Republik Kongo, wo das Album „Kinshasa One Two“ entstand. Anders als Popstar-Kollegen, die nach dem exotistischen Kick suchen, interessiert sich Albarn ernsthaft für die Kultur und die Musik, die er bei seinen Reisen vorfindet und sucht den gleichberechtigten Austausch mit den Musikern, die er dort in seine Projekte einbindet. Der ehemalige Brit-Pop-Rabauke muss dabei über die Jahre zu einem einfühlsamen Kommunikator gewachsen sein: Wie kein anderer fusionieren seine Projekte disparate Kulturen und Charaktere.
„Alles beginnt in Afrika“, sagt Albarn. „Die Musik selbst, die westliche Vorstellung davon. Das, was wir mit Rocket Juice & The Moon machen, basiert auf dem Geist, den ich bei meiner ersten Reise erlebte und der mich bis heute begleitet: das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, das die Musiker haben, wenn sie Musik machen. Und so geht es am Ende – auch wenn das nicht unbedingt festgelegt ist – ums Kollektiv.“ Diese Haltung muss Albarn unweigerlich in Konflikt mit dem von engen Grenzen und strengen Gesetzen bestimmten Rockgeschäft bringen, dem jegliches unkalkuliertes Abenteurertum fast immer suspekt ist. Ob es damit zusammenhängt, dass er genug Geld verdient hat oder mit einer Erleuchtung in Afrika: Albarn ist offenbar nicht mehr an marktkonformen Produkten interessiert, hält sich nicht mehr an die Regeln. Einige der Songs von Rocket Juice & The Moon wirken unfertig, wie hastig geschossene Polaroids, die bevor sie sich zu Ende entwickeln konnten, rasch ins Album geklebt wurden, damit sie am Ende nicht noch aus Versehen in der Mülltonne landen. Wohin sie ein andere Künstler höchstwahrscheinlich sofort entsorgt hätte. Work in progress ist das, eigentlich nicht mehr als Werkstattskizzen. Aber je häufiger man diese groben Momentaufnahmen hört, umso mehr wird deutlich, wie wichtig sie sind. Sie schaffen eine aufregende Atmosphäre und lassen die durchkomponierten Momente daneben umso strahlender glänzen. Auf gerade mal einem der 18 Stücke dieser Platte, dem melancholischen Endzeitwalzer „Poison“, der auch auf jedes Gorillaz-Album gepasst hätte, ist Albarn als Leadsänger zu hören. Sonst genügt er sich als Tastenspieler, der alles von Kurt Weill gelernt zu haben scheint und Arrangeur eines Kollektivs, zu dem neben dem magischen Dreieck einige sehr bekannte und weniger bekannte Leute gehören: die verquere R&B-Queen Erykah Badu, die allerdings von der unglaublichen Sängerin Fatoumata Diawara aus Mali beinahe an die Wand gesungen wird, das Chicagoer Bläser-Nonett Hypnotic Brass Ensemble, der Rapper M.anifest aus Ghana.
Der Kapitän steuerte die Freundinnen und Freunde sicher durch den logistischen Albtraum, den die Produktion des Albums bedeutete. Über drei Jahre hinweg trafen sich der Londoner Albarn, der in Paris lebende Allen und Flea, dessen Heimat zwar Los Angeles heißt, der aber derzeit mit seiner Band auf einer Welttournee unterwegs ist, immer wieder zu Sessions. Ein paar Tage hier, ein paar Tage dort. Songs schälten sich aus Improvisationen. Was auf dem Papier wie härteste Arbeit aussah, war schließlich ganz einfach, weil, so Albarn „die Chemie stimmte und das Vertrauen“. Dass Rocket Juice & The Moon so klingt, als hätte das Kollektiv wochenlang konzentriert zusammen im Studio gewirkt, ist dann weniger Magie geschuldet als der Kunst des Berliner Dub-Techno- Pioniers Mark Ernestus, der das Ganze gemischt hat.
Derzeit wird viel über Global Pop, Global Ghetto-Tech und Ähnliches geschrieben und debattiert. Rocket Juice & The Moon öffnet ein neues Tor: Afrika liefert dieser Musik ihren Herzschlag, aber klar verorten lässt sie sich nicht mehr. Vielleicht spielt diese Musik in der Zukunft. Sicher ist, Damon Albarn lebt seine Vision einer weltumspannenden Musiksprache konsequent vor und zeigt, wie sie allein wahr werden kann: In einem Kollektiv, das respektvoll und auf Augenhöhe miteinander umgeht. Und natürlich auf die Befehle vom Captain hört.
Rocket Juice & The Moon erscheint bei Honest Jon’s Records
Andreas Müller
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