Film-Musical "Burlesque": Der blonde Engel
Unterhaltung für alle ab sechs: Das Film-Musical "Burlesque" führt ins Rotlichtparadies – mit Cher und Christina Aguilera.
Sage mir, wo du herkommst, und ich sage dir, wer du bleibst: Die von einer Gesangskarriere träumende Kellnerin Ali alias Alice kommt aus Iowa. Und der von einer Komponistenkarriere träumende Barkeeper Jack, zu dem Ali während zweier beschwerlicher Kinostunden in Liebe findet, kommt aus Kentucky. Iowa und Kentucky: Das sind zwei US-Staaten, wo sich der Bible Belt und der Mittlere Westen gemächlich gute Nacht sagen. Was um alles in der Welt machen Ali (Christina Aguilera) und Jack (Cam Gigandet) da im Sündenbabel Los Angeles?
Nun, sie lernen sich in einem Etablissement mit dem schlüpfrigen Namen „Burlesque Lounge“ kennen. Das ist aber gottlob so sündig nicht. Die trübe Luft in diesem fensterlosen, auf verraucht-verrucht machenden Club bleibt hundertprozentig nikotin- und drogenfrei, und die einzige Stange dieses insgesamt kreuzbraven Revuetheaters ist nicht zum Tanzen, sondern für die Garderobe da. Geführt wird der Laden zudem von einer echten Mutter der Kompanie (Cher). Da hätten Ali und Jack gleich in Iowa alias Kentucky bleiben können.
„Burlesque“ mag zwar gelegentlich beherzt die Musicalform suchen, funktioniert aber vornehmlich als hoch moralische Romanze – und das ausgerechnet in einem Milieu, das von finsterer Profitgier, eiserner Ersetzbarkeit der artistisch agierenden Protagonisten sowie entsprechend heftigen Zickenkriegen jederlei Geschlechts geprägt ist. Ali etwa wohnt gefühlte Monate bei Jack zur Untermiete, und trotz beträchtlicher Hingezogenheit dürfen sie zueinander nicht kommen – schließlich ist Jack irgendwie sehr fern dauerverlobt. Auch Bösewichte stellen sich bald als allenfalls ihren verständlichen Vorteil suchende, zudem gutaussehende Rest-Unsympathen heraus, seelische Grausamkeiten als bloße Notlügen. Ja, im Rotlichtparadies „Burlesque“ regiert ein nahezu übermenschliches, von Ersatz-family values veredeltes Gutmenschentum, freigegeben ab sechs.
Wie schön, wenn sich diese hollywoodgeschönte Sicht eines Milieus abtun ließe mit dem Hinweis auf klasse Musik und Performances. Doch erstens ächzt die in aller Breite dargebotene Rahmenstory unter der Last höchst träger Dialoge dahin, und zweitens bleibt auch der Show-Kern des Ganzen seltsam leer. Zwar gibt es fleißig gefülltes Bild fürs Geld nebst ausgesucht hohen Schnittfrequenzen pro Minute, aber richtig los ist wenig in Steven Antins nach eigenem Drehbuch verfertigter zweiter Regiearbeit nach „The Glass House 2“.
Es sei denn: Getöse. Christina Aguileras tolle Stimme donnert konstantissimo fortissimo, als müsse die 30-Jährige immer wieder von Neuem um den doch schon früh im Film erteilten Ritterinnenschlag einer schwarzen Background-Sängerin buhlen, „für eine Weiße“ singe sie geradezu fantastisch. Und die 64-jährige Cher hat mit „You Haven’t Seen the Last of Me“ zwar ein demonstrativ anrührend gemeintes Solo, doch das rührt dann vor allem wegen der herbstwärts eingefärbten Stimme eines nach unzähligen Schönheitsoperationen mimisch schwer gehandicapten Weltstars. Nur: Dass Aguilera Cher an die Wand singt – hätte es dafür eines Filmes bedurft?
Man vergesse also nahezu alles, was den Impuls zur Wiederbesichtigung dieses unkaputtbaren Genres auslöst. Die seelischen Abgründe, wie sie bereits vor 80 Jahren in Josef von Sternbergs „Blauem Engel“ regierten. Das nunmehr seit 40 Jahren unaustretbare Feuer von „Cabaret“ und das immerhin tapfer nachglimmende Feuerchen von „Chicago“. Und Baz Luhrmanns wilde, lustvolle Kitschtraumerfindung „Moulin Rouge“ sowieso. Ja, sogar Paul Verhoevens vielgescholtenen, auf der physischen wie der psychischen Ebene gleichermaßen unmoralischen Mainstream-Softporno „Showgirls“ von 1995: Schon grotesk burlesk, wie reif für den Giftschrank sein anarchistisches B-Picture heute wirkt.
Ab Donnerstag in 17 Berliner Kinos;
OV im Cinestar SonyCenter, OmU in der Kulturbrauerei und im Babylon Kreuzberg
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