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Aamir Khan
© dapd

Porträt: Der Begüterte

Einer von sieben. Ungewöhnlich für einen Superstar aus Indien: Aamir Khan ist im Mainstreamkino ebenso zu Hause wie im Arthouse-Film.

Angenehme Leute, diese indischen Multimillionäre. Smart, höflich, bescheiden. So war Bollywoodstar Shah Rukh Khan bei der letztjährigen Berlinale. Und so ist Jurymitglied Aamir Khan diesmal dabei. Dass der strubbelhaarige Jeanstyp mit den schweren Ohrringen im Konferenzraum des Hyatt-Hotels ein mächtiges Mitglied der weltgrößten Filmindustrie ist, merkt man nur an zwei Dingen: An den schweren indischen Jungs in Anzügen, die vor der Tür stehen. Und an den Ein-Wort-Befehlen, mit denen der Superstar seinen Assi dirigiert.

Aamir Khan ist der Mann, dem man als emotional ausgemergelter westlicher Kinogänger gar nicht genug danken kann. Gefühlt fing mit ihm in Berlin, ja in Deutschland, Bollywood an. 2002 war das, als der indische Film die hierzulande seit den Sechzigern auf Festivals und im Fernsehen sporadisch bezogene Arthouse-Ecke verließ und der teuerste indische Mainstreamfilm überhaupt seinen deutschen Kinostart erlebte: „Lagaan – Once Upon a Time in India“, produziert und mit blitzendem Blick gespielt von Hauptdarsteller Aamir Khan.

Endlich mal was anderes sehen als das übliche Klein-Klein psychologisierender Familiendramen und mickriger Lebenssehnsüchte! Der herrlich maßlose Vierstünder „Lagaan“ prunkte dagegen mit der ganzen Wucht Bollywoods: Historie, Bilder, Musik, Tanz, Wir-Gefühl, Liebe, Stereotype, Kricket – alles drin und gar nicht dämlich. Die Nominierung für den Oscar folgte denn auch auf dem Fuße. Und in Deutschland eine Welle von Bollywoodfilmen im Privatfernsehen.

„Wir haben einfach keine Hemmungen, Emotionen mit breitem Pinselstrich zu malen“, sagt Aamir Khan. Das sei die einzigartige Kraft des indischen Kinos, die er trotz der in Bollywood spürbaren ökonomischen Tendenzen zu kürzeren, westlicheren, weltmarkttauglicheren Filmen für unzerstörbar hält. Dass die indischen Arthouse-Filme wie „Gandu“ oder „Patang“ auf der Berlinale dagegen aussehen wie Indiefilme in der ganzen Welt, ist ihm sehr bewusst. „Deswegen liegt unsere Identität weiter im Bollywood-Mainstream.“ Die in Mumbais Filmcity produzierten Blockbuster unterhielten klassenübergreifend und erreichten sowohl die nach wie vor bitterarme Mehrheit als auch den wachsenden neuen Mittelstand im Wirtschaftswunderland.

Es ist Aamir Khans erster Berlinale- und sein zweiter Berlin-Besuch. 2009 zeigte er auf Einladung der Unicef und der Audrey-Hepburn-Kinderstiftung sein 2007 gedrehtes Regiedebüt „Taare Zameen Par“ im Kino Babylon und sang vor ein paar hundert weiblichen Fans scheu ein Lied ins Mikrofon. Natürlich waren die hingerissen. Und natürlich preist Aamir Khan verbindlich die Fans, die Stadt, das Festival.

Genauso wie es Kollege Shah Rukh Khan sonst tut, der ja im vergangenen Herbst einen Thriller in Berlin drehte. Das würde er auch gerne mal, beteuert Aamir Khan, „allerdings nur, wenn das Skript stimmt“.

Halt! Ein unscheinbarer, aber bedeutsamer Zusatz, der viel über den 1965 in eine Bollywood-Filmfamilie hineingeborenen, schon als Kinderstar entdeckten Schauspieler und späteren Produzenten und Regisseur aussagt. Nach der Güte des Drehbuchs zu fragen, bevor man eine Rolle oder eine Filmproduktion annimmt, kommt längst nicht jedem indischen Kinostar in den Sinn. In Bollywood arbeiten viele an mehreren Filmen zugleich, Aamir Khan dagegen konzentriert sich immer nur auf ein Projekt. Ein Perfektionist ist er, extrem wählerisch noch dazu. Allerdings mit einer erstaunlichen Bandbreite.

Vom ungewöhnlich politischen Mainstreamdrama „Rang De Basanti“ (2006) über schenkelklopfenden Pennälerhumor im auch in Großbritannien erfolgreichen Kassenknüller „3 Idiots“ (2009) bis zum gerade in Indien und USA gestarteten Arthausfilm „Dhobi Ghat“. Aamir Khans mit nach Berlin gereiste Ehefrau Kiran Rao führt die Regie. Er selbst produziert und spielt in dem Episodendrama über vier Menschen in der Megacity Mumbai einen Maler. Keine andere Bollywoodgröße schafft den Spagat zwischen Indiefilm und Blockbuster so wie der auch für sein politisches und soziales Engagement bekannte Khan.

Mit seinem „sehr eigenen Profil“ stünde Aamir Khan für das intellektuelle Bollywood, sagt Dorothee Wenner, die Indien-Beauftragte der Berlinale. „Er ist nicht nur ein heftig verehrter Star, sondern als Produzent auch daran interessiert, ungewöhnliche Filmideen zu entwickeln.“ Sie und Dieter Kosslick haben Khan, dessen Produktion „Peepli Live“ – eine für den Oscar nominierte Mediensatire – letztes Jahr hier zu sehen war, lange für die Berlinale umworben und hatten dabei schließlich mehr Glück als das Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds in London. Dort lehnte der Luxuspartys meidende Star im Gegensatz zum glamourfreudigeren Shah Rukh Khan eine Kopie von sich ab. Im fahlen Glanz globaler Wachsprominenz will Aamir Khan keinesfalls verewigt sein.

Wir haben keine Hemmungen,

Emotionen mit breitem Pinsel

zu malen, sagt Khan

Gunda Bartels

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