Ballett im Berghain mit Norbert Bisky als Bühnenbildner: Der Ausschlachter
Als Maler ist Norbert Bisky etabliert. Jetzt gestaltet er im Berghain erstmals ein Bühnenbild fürs Ballett. Ein Probenbesuch unterm Buswrack. Den Sohn des Linken-Politikers Lothar Bisky hat das Theaterfieber gepackt.
Einige Schritte zurücktreten, das hat Norbert Bisky schon unzählige Male gemacht. Er begutachtet sein Werk, holt ein Smartphone aus der Hosentasche, macht ein Foto. Dann noch ein prüfender Blick. Und dennoch ist dieses Mal alles anders. Er steht nicht in seinem Atelier und auch nicht vor einer Leinwand. Um ihn herum ist es dunkel, der Boden staubig, 17 Meter hohe Pilaster am bröckligen Mauerwerk streben bis zur Decke. Biskys Arbeitsplatz ist eine Halle im Berghain, in Deutschlands bekanntestem Technoclub. Vor ihm erstreckt sich eine Bühne. Tänzer in Trainingsklamotten gehen im Schnelldurchlauf durch ihre Choreografie, während Bisky lange grübelt. Es ist das erste Mal, dass der 42-jährige Maler ein Bühnenbild entwirft. Und er will nicht enttäuschen am kommenden Sonnabend, wenn das Staatsballett mit seinem zeitgenössischen Drei-Stücke-Abend „Masse“ an diesem ungewöhnlichen Spielort Premiere feiert.
Eine weiße Stoffbahn wird an einem Seil von der Decke des Kesselhauses nach unten gelassen. Bisky hüpft auf die Bühne und versucht das Stück Textil zu drapieren. Ein Techniker hilft ihm, die Choreografin Xenia West packt mit an. In dieser Produktion herrschen flache Hierarchien. Später, als die Proben beginnen und sich eine Tänzerin und ein Tänzer in einem zärtlich bis ruppigen Pas de Deux umeinanderdrehen und Bisky wieder im Dunkel des Zuschauerraums verschwunden ist, kommt er flüsternd ins Schwärmen. Dieses Projekt gehöre zu den besten Sachen, die er je erlebt habe, sagt er. „Es gibt kein Detail an dieser Arbeit, das ich nicht liebe. Dass ich mich so identifiziere, habe ich so noch nicht erfahren.“ Den Berliner Maler, Sohn des Linken-Politikers Lothar Bisky, hat das Theaterfieber gepackt.
Im Atelier ist er alleine, selbstbestimmt. Nun ist der Maler Teil eines Teams aus drei Choreografen, fünf DJs, 30 Tänzern, Kostümbildnerin, Beleuchtungsmeister und Opernwerkstatt-Mitarbeitern. „Es könnte sein, dass es anders sein wird, wenn ich wieder im Atelier stehe“, sagt Bisky. Wie anders? „Das werde ich dann sehen.“ Ihm gefällt das Miteinander, er schwärmt von seinen tollen Mitstreitern, vom Ausnahmetalent der Tänzer, vom internationalen Ruf der Berghain-DJs, Henrik Schwarz, Marcel Dettmann, Frank Wiedemann, Phillip Sollmann und Marcel Fengler, die die Musik zu den Stücken komponiert haben.
Dabei ist er selbst nicht irgendwer. Galerien in Rotterdam, Paris oder Seoul zeigen Biskys Arbeiten, 2009 stellte das Haifa Museum of Art in Israel seine Malerei aus. In New York wird er vom einflussreichen deutschen Kunsthändler Leo König vertreten, in Berlin ist gerade seine letzte Ausstellung in der Galerie Crone gut besprochen worden. Außerdem hat er an der kürzlich erschienenen Design-Ausgabe des „Zeit-Magazins“ mitgewirkt, neben anderen bekannten Künstlern wie Katharina Grosse, Oda Jaune oder Rosa Loy.
Um sich für das Ballett-Berghain-Projekt einzustimmen, ist Bisky in Proben gegangen. Hat zugesehen, wie sich der Spann wölbt, wenn die Tänzerinnen auf Spitze gehen, wie sich die Wadenmuskeln nach oben ziehen, wenn die Tänzer in die Höhe schnellen. Wie gut sie aussehen, die Mädels und Jungs, dachte Bisky, der für seine ästhetisierten Darstellungen gestählter Körper bekannt geworden ist – vor allem junger Männerkörper. „Dazu will ich einen Kontrast schaffen“, sagt er. Etwas, was sich der Schönheit des Tanzes widersetzt.
Das Berghain hat es ihm leicht gemacht. Die Architektur des Heizkraftwerks, das 1954 im Rahmen des Nationalen Aufbauprogramms der DDR zur Versorgung der Karl-MarxAllee gebaut wurde, ist schon brachial in ihrer Größe und Düsternis. An der Hinterwand laufen Rohre entlang, die Mauer ist fleckig, die letzten verbliebenen Fliesen brüchig. Bisky versteckt das nicht. Und das, was er an Kulisse dazubaut, sieht so aus, als sei es schon immer hier gewesen. Da flackert in einem der drei Stücke von Tim Plegge, Nadja Saidakova und Xenia West ein krummes Metallgebilde wie eine verrostete Leuchtreklame einer alten Industrieanlage.
Bereits 2007 haben das Staatsballett und das Berghain den gemeinsamen Abend „Shut Up And Dance! Updated“ gestaltet. Dieses Mal geht es um das titelgebende Thema „Masse“. Der Assoziationsspielraum ist groß. Tänzer beschäftigen sich jeden Tag mit der physikalischen Bedeutung des Begriffs, mit Fliehkräften, Drehmomenten, Hebelwirkungen. Gemeint ist aber auch der soziale Aspekt: Wie funktioniert das Individuum in der Gruppe? Bisky gibt mit seinem düsteren Bühnenbild die Richtung vor, noch vor den Tänzern, die zu Elektrogefrickel hilflos zappeln, zu perlendem Klavier wie in Zeitlupe schweben oder zu stampfendem Beat mit weißen Masken aufmarschieren. Bisky bettet das Ballett quasi auf eine geopolitische Unterlage. Der Boden sieht aus wie mit einem Ölteppich bedeckt. Es schwappt aus einer Öffnung an der Rückwand und ergießt sich Richtung Zuschauertribüne. Vom fossilen Rohstoff ist die Menschheit abhängig, er treibt die Massen an – und wird eines Tages, wenn er versiegt ist, das Ende des expansiven Wachstums bedeuten.
Auf der rechten Seite der Bühne ragt ein echter BVG-Bus in die Höhe, er ist in den Boden eingebrochen und schwarz verkohlt. Bisky hat den 14-Tonner ausgeschlachtet, platt zusammengefaltet und vor Ort wieder aufgerichtet – zu einem endzeitlichen Schreckensszenario.
2008, im November, war Bisky in Mumbai, als Terroristen einen Anschlag auf das Hotel Taj Mahal verüben und 174 Menschen töten. In unmittelbarer Nähe liegt Biskys Galerie, in der er eigentlich eine Ausstellung eröffnen wollte, stattdessen wird er Zeuge eines Blutbads. Die bonbonbunte Farbigkeit und Nähe zur realsozialistischen Propaganda-Malerei der DDR – in der er aufgewachsen ist – hatte früher immer wieder polarisiert. Seit dem traumatischen Erlebnis in Indien haben sich seine Bilder verdunkelt. Bisky beschäftigt sich auf der Leinwand mit Gewalt und Zerstörung. Und jetzt auch auf der Ballettbühne. Nicht konkret. Aber er schafft eine Atmosphäre der Angst. „Der ausgebrannte Bus ist der Ort einer Schicksalsgemeinschaft“, sagt Bisky. Was passiert ist? Das lassen er und die Choreografen offen. Dem Maler gefällt, dass der Tanz ohne Worte auskommt. Darin besteht eine Gemeinsamkeit mit seiner eigenen Kunst. Nur Körper, die wird man in seinem Bühnenbild vergeblich suchen. Er braucht sie nicht. Er hat die Tänzer.
„Masse“ hat am 4. Mai, 20 Uhr, in der Halle am Berghain Premiere. Die Aufführung ist ausverkauft.
Anna Pataczek
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