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Miezwohnung frei? Oscar Isaac spielt den bedauernswerten Folksänger Llewyn Davis.
© Verleih

Der neue Film der Coen-Brüder: Denkmal des unbekannten Sängers

Gab es Folkmusik vor Bob Dylan? „Inside Llewyn Davis“ ist eine komisch-depressive Zeitreise. Der subtile Soundtrack von T Bone Burnett weckt Sympathiegefühle für den Titelhelden und großen Verlierer.

Das können nur die Coen-Brüder. Der Film ist eine ausgedehnte Winterdepression, und man fühlt sich nachher recht entspannt und unterhalten. Die Geschichte geht gut aus – wenn auch nicht für den Titelhelden, den Folksänger Llewyn Davis.

Es ist eiskalt in New York City. Davis versucht sich an einer Solokarriere, nachdem sein Partner sich umgebracht hat. Die Freundin hat ihn verlassen, sie ist schwanger, weiß aber nicht, von wem: Llewyn soll die Abtreibung bezahlen. Etwas Überraschendes passiert beim Arzt, aber nicht alles Unglück (oder Glück im Unglück) darf hier verraten werden. Davis ist pleite, ohne Wohnung, nach einem Auftritt bekommt er kräftig was aufs lose Mundwerk, er besitzt das große Talent, die Menschen vor den Kopf zu stoßen, die ihm Gutes tun. Seine Schwester ist eine kalte Zicke, sein Vater dement. Man möchte Llewyn Hiob nennen. Denn auch der charaktervolle rothaarige Kater, der ihm zum einzigen Gefährten wird, hat seine eigenen Vorstellungen vom Leben in einer amerikanischen Großstadt, die fremd und abweisend wirkt.

Llewyn Davis (Oscar Isaac, ein Mann mit unglaublich traurigen Augen und schmerzerfüllter Stimme) hat nie existiert. Aber es könnte ihn gegeben haben. Dieses einerseits fiktive, andererseits exakt ausgestattete Biopic – sehr frei nach den Memoiren des vergessenen Musikpioniers Dave van Ronk – spielt in einer grauen Vorzeit, Ende der Fünfziger, Anfang der sechziger Jahre. Kennedy ist noch nicht Präsident, die Musikszene wartet auf den großen Erwecker. Llewyn Davis heißt er nicht. Seine Exfreundin Jean (Carey Mulligan) und ihr neuer Partner Jim (Justin Timberlake als bierernster Vollbart-Folkie, großartig!) haben sich in den Clubs von Greenwich Village einigermaßen etabliert. Man denkt an Peter, Paul & Mary – aber die Zukunft des Rock und Pop sind sie gewiss nicht.

Die Coen-Brüder sind intelligente Sadisten. Diesmal beschränken sie sich auf Psycho-Quälerei. Wenn sie hier mit all ihrer Pedanterie die Folklore-Loser in grausamen Strickpullovern und Irish-Pub-Repertoire auftreten lassen, dann ist es nicht nur zum Brüllen komisch oder zum Heulen trist. Es ist auch ein nachgeholter Akt der Gerechtigkeit, ein Denkmal für den unbekannten Folksänger. Bob Dylan fiel nicht vom Himmel, vor ihm haben viele versucht, die neue Stimme zu finden. Und dann taucht er doch ganz plötzlich aus dem Nichts auf, scheint aus der dreckigen Backsteinmauer im Gaslight Café diffundiert zu sein, am Ende des Films. Man sieht ihn nur im Halbprofil, da sitzt ein Lichtdouble, dessen Haltung und Frisur an den blutjungen Dylan erinnern. Aber man hört ihn endlich, unverwechselbar, die Stimme singt „Farewell“. Es ist der Abschied von Llewyn Davis und seinesgleichen und der Lockruf einer neuen Zeit. Die Welt wird sich verändern, und die Wandlung ist epochal.

Die Welt von „Inside Llewyn Davis“ ist noch nicht unsere, sondern ihr Vorläufer. Das ist der Reiz, nicht nur für Menschen, die in den Fünfzigern und Sechzigern geboren sind. Die brillante Fernsehserie „Mad Men“ funktioniert in ihren Anfangsepisoden ähnlich: Man gleitet in die neue, eigene Welt hinein. Nur dass der Coen-Film natürlich nicht mit dem Glamour der Fifth Avenue und der Werbestrategen daherkommt. Ihre Geschichte ist downtown angesiedelt, in Armut und Kälte und dunklen Büros sinistrer Manager und Ausbeuter. Da leben die beiden Regisseure und Drehbuchautoren ihre Leidenschaft für skurrile Typen, ArmeSchweine-Karikaturen, kuriose Requisiten und kaputte Interieurs aus.

„Inside Llewyn Davis“ gleicht einer langen Reise in die Nacht. Die Leidenstour (mal mit, mal ohne Katze, noch ein Problem) dehnt sich auf einer verschneiten Autofahrt nach Chicago in die komplette Absurdität. Llewyn hat es mit einem fetten, drogensüchtigen Schandmaul von Jazzmusiker zu tun (John Goodman), der den armen Folksänger standesgemäß fertigmacht. Aus dem Gig im Nordwesten wird auch nichts.

Man kommt um Sympathiegefühle für Llewyn und Co. nicht herum.

Was vor allem am subtilen Soundtrack liegt, den T Bone Burnett produziert hat. Das ist vielleicht der Hauptwitz dieser Depri-Komödie zum Jahresende: wie naiv und ferngesteuert die Folkies auftreten mit ihren Klampfen, penetrant bis zum lammfrommen Augenaufschlag. Und wie gläubig sie dabei klingen. Bis der kommt, der den Stein ins Rollen bringt, den Ton schärft und das Alte in den Wind schießt. Das ist auch einmal ein Kunststück: ein Film über Bob Dylan, der kein Film über Bob Dylan ist. Vielmehr ein Film über Zeit und Zeitgefühl in Zeiten des Wechsels.

Ab Donnerstag in 14 Berliner Kinos. OV Sony Center. OmU Babylon Kreuzberg, Central, Hackesche Höfe, International, Odeon.

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