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Zaza Burchuladzes neues Buch „Touristenfrühstück“ spielt in Berlin und erscheint 2017.
© Doris Spiekermann-Klaas

Der Schriftsteller Zaza Burchuladze: Denk ich an Tiflis in der Nacht

Zaza Burchuladze musste Georgien verlassen, weil er bedroht wurde. Jetzt kritisiert er seine Heimat von Berlin aus.

Georgien – das ist Hammelfleisch mit Granatapfelkernen, das ist roter Wein von alten Reben, das sind ursprüngliche Klöster.

Zaza Burchuladze isst kein Fleisch.

Burchuladze trinkt keinen Alkohol.

Burchuladze glaubt an keinen Gott.

Auch deshalb lebt der georgische Schriftsteller seit zwei Jahren im Berliner Exil. Letztes Jahr wurde hier sein erstes Buch „Adibas“ ins Deutsche übersetzt. Es handelt von der Banalität des Krieges.

Man könnte Burchuladzes Widerstand leicht mit Trotz verwechseln. Da ist einer, der in seiner Heimat nicht geliebt wird, und nun auf alles eindrischt, was dort heilig ist.

Wäre da nicht seine Geschichte.

Er erzählt sie jetzt in einem Café im Wedding, unverwechselbar mit seinem kahlen Schädel und der schwarzen Brille, in schwarzem Hemd, schwarzer Hose, schwarzem Sakko. Vor sich einen schwarzen Kaffee, in der Hand immer die nächste Zigarette.

Es dauert, bis er das erste Mal lächelt. Burchuladze ist misstrauisch. Auch sich selbst gegenüber. Er hat eine Übersetzerin mitgebracht, weil er sein Deutsch und sein Englisch für unzureichend hält.

Seit Jahren kritisiert Burchuladze in Büchern und Artikeln den religiösen Fanatismus Georgiens. 87 Prozent seiner Landsleute sind Anhänger der orthodoxen Kirche. Für Burchuladze: „Religiöse Fundamentalisten.“ Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätten die obrigkeitshörigen Georgier nach einem neuen Entscheider gesucht. Erst folgten sie ihrem Landeskind Stalin, dann dem Kreml, jetzt eben der Religion, dem Patriarchen Ilja II. „Der mächtigste und gefährlichste Mann Georgiens.“

Ein Beispiel aus der kleinen Kaukasusrepublik: Am internationalen Tag gegen Homophobie 2013 prügelte ein Mob von 5000 bärtigen Männern – darunter Priester und anderes Kirchenpersonal – sowie keifende Hausfrauen eine winzige Versammlung von Aktivisten nieder.

Burchuladze habe die Polizei auf den Straßen in Tiflis regelmäßig durchsucht, erzählt er. Seine Mutter und seine Frau, die Dokumentarfilmerin Salome Jashi, wurden beschimpft. Im Fernsehen verkündete der damalige Präsident Michail Saakaschwili vor ein paar Jahren, dass er wisse, wo Burchuladze wohne, aber vorerst davon absehe, ihn festnehmen zu lassen. Und schließlich wurde Burchuladze in einem Spätkauf krankenhausreif geschlagen. Da floh er nach Berlin, wo er seitdem mit einem Stipendium des PEN-Clubs lebt. Sein neues Buch „Touristenfrühstück“ spielt hier, wird gerade ins Deutsche übersetzt und erscheint 2017.

Die Kommentare unter seinem Youtube-Video sind brutal

In Berlin erreichten ihn auch die Videos der „Orthodoxen Elternvereinigung Georgiens“, auf denen seine Bücher verbrannt wurden. Als im vergangenen Jahr der Fluss in Tiflis über die Ufer trat und Raubtiere aus dem Zoo durch die Straßen liefen, sagte der georgische Patriarch, dies sei eine Strafe Gottes, weil das Eisen der Käfige aus in der Sowjetunion eingeschmolzenen Kirchenglocken stamme. Burchuladze kommentierte in einem YouTube-Interview, von Berlin aus, eigentlich gehöre doch das größte Raubtier in einen Käfig – der Patriarch.

Die Kommentare unter dem Video sind brutal. Jemand kündigt an, Burchuladze auszuweiden. Wenn er durch Berlins Straßen läuft, hört er manchmal Georgier über ihn lästern. Er geht dann einfach weiter. „Ich belästige andere Menschen ungern.“ Auch das sei etwas Georgisches, das er ablehnt: die Übertreibung. Zu Ostern pilgern die Georgier auf die Friedhöfe, veranstalten dort ein Festmahl neben den Gräbern. Religion und Völlerei, Burchuladze schüttelt sich. Sein Trotz ist nicht kindisch. Sein Schwarz hat Nuancen. Ein zartes Rautenmuster auf der Hose, die Brille schimmert von innen grün. Burchuladze wurde tief gekränkt.

Ein georgisches Exemplar seines Buches? Besitzt er nicht. Der Name der Tochter? Alica, nach Alice im Wunderland, bloß nichts Georgisches. Sie sei schließlich „100 Prozent made in Germany“. Den neuen Hype um georgisches Essen in Berlin? Kann er nicht verstehen, zu fettig. Die schöne georgische Botschaft am Tiergarten? Voll von Ikonen! Burchuladze blüht auf, wenn er böse wird. Aber wenigstens die neue georgische Literatur, kann er die würdigen? Weil Georgien 2018 Gastland auf der Buchmesse ist, werden in diesen Tagen viele Bücher übersetzt. Auch Burchuladze hat davon profitiert. Blumenbar hat „Adibas“ aufwendig verlegt, das schwarz-goldene Cover glänzt wie eine billige Bibel, und enthält ein Glossar, damit die deutschen Leser Anspielungen verstehen können.

Anders als Nino Haratischwili, die mit dem großen Georgien-Familienepos „Das achte Leben“ im letzten Jahr den Anna-Seghers-Preis gewonnen hat, will Burchuladze niemandem etwas erklären. Nach der Lektüre seiner Alltagsepisoden – mal als Horoskop geschrieben, mal als Skype-Chat – bleibt eher ein GeorgienGefühl zurück. Deutsche Leser erinnert er an Popliteratur, an Christian Kracht oder Benjamin von Stuckrad Barre. „Stell Dir vor, es ist Krieg und du bist falsch angezogen“, prangt als Motto von „Adibas“ auf dem Buchrücken. Einer der Protagonisten hat sich ein Stalin-Gesicht auf die Brust tätowiert, andere schnüffeln Klebstoff, sie alle haben „junge Körper allzeit bereit auf die Bühne des Eurovision Song Contest gerufen zu werden.“ Es geht um Erektionen und Knackärsche.

Georgier ist er nur, wenn er träumt

Als im August 2008 russische Panzer vor Tiflis standen, erzählt Burchuladze, habe der eine Teil der Bevölkerung die Hauptstadt verlassen und der andere sich, wie immer, in teuren Restaurants Fressgelagen hingegeben. Burchuladze, der Pazifist, blieb, beobachtete und schrieb.

Zaza Burchuladzes Tonfall fällt auf in Georgien, wo viel mehr Lyrik als Prosa verlegt wird. „Wer braucht die Poesie? Wir singen zu viel!“, sagt er. Georgische Gedichte handeln von Liebe und Gott, von der Nation und von Blutrache. Ein Sprichwort besagt: „Das Wichtigste ist, dass das Herz herzt.“ Burchuladze lacht und sagt: „Die Georgier glauben, sie könnten ohne Gehirn auskommen.“ Wenn Georgien nicht endlich anfange, in Bildung zu investieren, habe es keine Zukunft. Dass Jugendliche sich dort von Priestern ihr iPhone segnen lassen und Familienväter ihr neues Auto, ist kein konsumkritischer Kommentar, sondern die Wahrheit. In einem Land, in dem laut Weltbank 40 Prozent unterhalb der Armutsgrenze leben.

Der 42-Jährige ist in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen. Der Großvater war Arzt, ließ sich seine Atteste zur Kriegsuntauglichkeit viel kosten, die Familie lebte von schmutzigem Geld. Als die Sowjetunion zerfiel und die Burchuladzes ihre Wohnungen und Antiquitäten verkaufen mussten, erfüllte sich für Zaza eine Sehnsucht: das alles endlich zu verlieren. In den Chaosjahren der Neunziger fand er Trost in Büchern. Las Kafka und Dostojewski, die er später übersetzen sollte. Ein bisschen Heimat lässt Burchuladze dann doch zu: „Ich bin Georgier, während ich auf Georgisch träume.“ Sprache als Rückzugsort.

Dann schweigt Zaza Burchuladze. Holt er tief Luft. Er will noch etwas über dieses Gespräch sagen, seine Meinung über Georgien zusammenfassen.

„Ich denke, ich war zu mild.“

Lesung: 24. Juni, 20 Uhr, Literarisches Colloquium Berlin im Rahmen der Georgischen Nacht zusammen mit Tamta Melashvili und Aka Morchiladze

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