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Der Schriftsteller Mathias Énard, umringt von Reportern im Restaurant Drouant in Paris, wo die Prix-Goncourt-Preisverkündung stattfand
© dpa

Prix Goncourt für Mathias Énard: Den Syrern gewidmet

Zwischen Istanbul und Damaskus: Mathias Énard erhält für "Boussole" den Prix Goncourt 2015. Im August des nächsten Jahres erscheint der Roman mit dem Titel "Kompass" auf Deutsch.

Es war wohl für die zehnköpfige Jury der Académie Goncourt an der Zeit, ihren Preis, den wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, mal wieder einem Autor mit einem gegenwärtigen Romanstoff zu verleihen und damit auch ein politisches Zeichen zu setzen. Nach Pierre Lemaitre, der 2013 den Prix Goncourt für einen Roman über den Ersten Weltkrieg bekam, und Lydie Salvayre, die 2014 mit einem Roman über den spanischen Bürgerkrieg erfolgreich war, wurde am Dienstag der 1972 im westfranzösischen Niort geborene Schriftsteller Mathias Énard mit „Boussole“ zum Goncourt-Preisträger 2015 ernannt.

Énard erzählt in diesem Roman, wie sich ein Wiener Musikwissenschaftler und Orientkenner an seine Reisen durch den Orient erinnert, nach Istanbul oder Teheran, nach Damaskus oder Aleppo, und wie er sich darüber hinaus seiner Lektüren und Arbeiten über den Orient vergegenwärtigt, all das während einer schlaflosen Nacht von elf Uhr abends bis sieben Uhr morgens. Gewidmet ist der Roman dem syrischen Volk. Énard sagte selbst über die Arbeit an diesem Buch, dass er wie sein Held Franz Ritter „das war, was man früher einen Orientalisten nannte“. Énard hat lange Jahre in Ägypten, Syrien, dem Libanon und Iran verbracht, hat am Pariser Staatsinstitut für orientalische Sprachen Arabisch und Persisch studiert und in Barcelona, wo er lebt, Arabisch gelehrt.

Mathias Énard begibt sich am liebsten an die Nahtstellen von Orient und Okzident

Sein Debüt „La perfection du tir“ erschien 2003 und erzählt aus der Sicht eines jungen Scharfschützen vom Bürgerkrieg in einer namenlosen Stadt, vermutlich Beirut. Der Roman, der noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist, basiert auf Gesprächen, die Énard Anfang der nuller Jahre mit iranischen und libanesischen Kriegsveteranen geführt hat.

Es folgten weitere Romane, die sich bevorzugt an die Nahtstellen von Orient und Okzident begeben. Wie zum Beispiel der 1506 spielende Konstantinopel- und Michelangelo-Roman „Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten“. Oder das monumentale Kriegsfresko „Zone“, das auf über 500 Seiten aus nur einem einzigen Satz besteht und aus der Perspektive des Sohns einer kroatischen Patriotin und eines Veteranen des Algerien-Krieges die Kriege des Mittelmeerraums Revue passieren lässt.

Der 2013 veröffentlichte Roman „Straße der Diebe“, eine Mischung aus Abenteuer- und Bildungsroman, ist ganz der politischen Aktualität verpflichtet. Ihn hat Énard vor dem Hintergrund des arabischen Frühlings und des beginnenden Bürgerkriegs in Syrien angesiedelt. Hauptfigur ist ein junger Marokkaner, der sich auf den Weg nach Barcelona macht. „Boussole“ soll auf Deutsch im August 2016 unter dem Titel „Kompass“ im Hanser Berlin Verlag erscheinen.

Gerrit Bartels

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