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Zeitgeschichte: Den Brandstiftern auf der Spur

Terror und Antisemitismus, der bis heute nicht geklärte Brandanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in München und die Rolle der Tupamaros dabei: Wolfgang Kraushaars erhellendes Buch über München 1970 und die Auswirkungen auf die Olympischen Spiele 1972.

Es ist Freitag, der 13. Februar 1970, als in Deutschland Juden wieder gezielt Opfer eines antisemitischen Angriffs werden. Beim Brandanschlag auf das Haus der Israelitischen Kultusgemeinde in der Reichenbachstraße 27 in München sterben sieben Menschen, allesamt Holocaust-Überlebende, und bis heute ist nicht aufgeklärt worden, wer den mit einem Benzin-Öl-Gemisch gefüllten Kanister deponiert, im Treppenhaus Etage für Etage geleert und vorsätzlich den Tod der Bewohner in Kauf genommen hat.

Dieser Terrorakt, der vielen kaum (noch) bewusst ist, auch weil er im Schatten des Überfalls auf Israels Olympiateam 1972 und des RAF-Terrors steht, gehört zu einer Anschlagsserie im Februar 1970, die der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar ins Zentrum einer umfangreichen Studie gestellt hat. Diese handelt zum einen vom Terrorismus palästinensischer Gruppen und ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Terroristen; zum anderen versucht sie, den antisemitischen Wurzeln deutscher Linksradikaler auf die Spur zu kommen. Provozierend betitelt ist Kraushaars Buch mit einem Zitat des Ex-Kommunarden, Aktivisten und späteren Berliner AL/Grünen-Abgeordneten Dieter Kunzelmann: „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“.

Drei Tage vor dem Brandanschlag versucht ein dreiköpfiges palästinensisches Kommando, auf dem Flughafen München-Riem eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft El-Al in ihre Gewalt zu bekommen; die Entführung scheitert, ein junger Israeli kommt ums Leben. Am 21. Februar 1970 muss ein Flugzeug, das auf dem Weg von Frankfurt nach Tel Aviv ist, wegen einer Bombe im Gepäckraum notlanden; am selben Tag stürzt eine Swiss-Air-Maschine auf dem Weg von Zürich nach Tel Aviv wegen einer an Bord deponierten, durch einen Höhenmesser gezündeten Bombe ab, alle 47 Insassen kommen dabei ums Leben.

„Aus unerfindlichen Gründen sind die Geschehnisse im kulturellen Gedächnis nicht tradiert worden,“ schließt Kraushaar und bereitet in seinem Buch diese Geschehnisse akribisch auf. Dabei bemüht er sich, nicht nur die Geburt des palästinensischen Terrorismus nach dem Sechs-Tage-Kriegstriumph der Israelis 1967 zu erklären, sondern eben auch Verbindungen herzustellen zwischen Palästinenser-Organisationen und militanten westdeutschen Linken, allen voran Dieter Kunzelmann, der sich 1969 mit ein paar anderen Gesinnungsgenossen in Jordanien in einem Trainingscamp der Fatah ausbilden lässt und dessen Freundin Ina Siepmann längere Zeit in Amman verbringt. So wie der Kommune-1-Mitbegründer und vermeintliche Politclown Fritz Teufel, der in München einer nach uruguayischem Vorbild gegründeten Stadtguerilla-Organisation namens Tupamaros vorsteht, so wie Kunzelmann den Tupamaros West-Berlin. Wegen diverser versuchter Brandstiftungen wird Teufel 1971 zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Das dem Buch Kraushaars zugrunde liegende Narrativ ist das Geiseldrama im Olympischen Dorf 1972 und die danach fehlgeschlagene Befreiungsaktion auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Auf dieses gleichfalls intensiv behandelte Ereignis und die unmittelbaren Folgen läuft in Kraushaars Buch vieles hinaus, nicht zuletzt unter der Fragestellung: Warum waren die Sicherheitsvorkehrungen angesichts der Terroraktionen zwei Jahre zuvor so lasch? Und Kraushaar fragt, ob die Mitverantwortung für diesen Terroranschlag nicht auch bei der damaligen bundesrepublikanischen Politik liege, bei aller Schuld und Verantwortlichkeit „der palästinensischen Terroristen und ihrer deutschen Unterstützer.“

Bei manchen Fragen verlegt sich Kraushaar aufs Spekulieren

Auch dass von den nach der versuchten Flugzeugentführung und den Flugzeug-Bombenanschlägen festgenommenen palästinenischen Terroristen keiner vor ein deutsches Gericht gestellt wurde, wofür eine Gemengelage aus juristischen und wohl auch politischen Gründen eine Rolle spielte, hinterfragt Kraushaar zu Recht. Ihm drängt sich der Gedanke auf, „dass es am politischen Willen zu einer angemessenen Strafverfolgung gemangelt hat“. Zumindest im Fall der drei Riemer Attentäter habe sich die Justiz „zum Erfüllungsgehilfen der Politik“ machen lassen. Aber konnte wirklich ein Dieter Kunzelmann die palästinensischen Terroristen erst auf die Idee bringen, die Olympischen Spiele in München zum Schauplatz eines Überfalls zu machen, wie Kraushaar suggeriert? Und gab es wirklich eine „Arbeitsteilung“ palästinensischer Terroreinheiten und deutscher Tupamaros? Zwischen in einem offenen Krieg mit Israel sich befindenden Kämpfern und einstigen Hasch- und Spaßrebellen, die gegen die Kommerzialisierung und das Leistungsdenken Olympischer Spiele sind? Hat es wirklich einen Zusammenhang zwischen dem Attentat auf das jüdische Gemeindehaus und dem palästinensischen Flugzeugterror gegeben oder war deren zeitliche Koinzidenz nur ein Zufall? Hat hinter der Anschlagserie „möglicherweise ein Regisseur gestanden“?

Bei solchen Fragen verlegt Kraushaar sich häufig aufs Raunen und das Überinterpretieren seiner Quellen, insbesondere auch bezüglich des Brandanschlags in der Reichenbachstraße. Nachdem er 2005 mit seinem Buch „Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus“ Täter und Hintermänner dieses missglückten Anschlags von 1969 auf die Jüdische Gemeinde in Berlin hatte ausfindig machen können, nämlich den Ex-Kommunarden Albert Fichter und eben Kunzelmann als Auftraggeber, so scheint Kraushaar im Fall des Münchener Gemeindehauses eine Täterermittlung schreibend geradezu herbeizwingen zu wollen, und wenn nur mit Hypothesen.

Da gibt es Hinweise aus Kunzelmanns Tagebuch, dass dieser direkt vor dem Berliner Bombenanschlag „Kontakte“ mit der Fatah hatte, für Kraushaar ein Beleg für eine mögliche Absprache; da gibt es überhaupt die „Spur der Flammen“ bei deutschen Linksradikalen, angefangen bei der Begeisterung für einen Brüsseler Kaufhausbrand und den von Baader/Ensselin gelegten Frankfurter Kaufhausbränden; da ist die spätere Aussage eines ehemaligen RAF-Mitglieds, das einem Gespräch der RAF-Terroristinnen Irmgard Möller und Gudrun Ensslin entnommen haben wollte, „dass beide wussten, wer den Anschlag (auf die Reichenbachstraße 27) durchgeführt hatte – was Kraushaar zu einer Elf-Punkte-Liste animiert, warum die Tat aus dem Tupamaros-Umfeld begangen worden sein muss; und da liest Kraushaar in einem Brief von Ina Siepmann an Kunzelmann aus Amman aus der Frage „Doch wo sind die Brandst. geblieben?“ fest überzeugt „Brandstiftungen“ – obwohl der Kontext eher „Brandstifter“ nahelegt. Und da ist es ein Mitglied der mit den Tupamaros eng verbandelten „Aktion Südfront“, ein damals 18-jähriger Lehrling, auf den die meisten Verdachtsmomente weisen.

So obsessiv Kraushaar in dieser Hinsicht sein mag: Es schmälert kaum die Leistung dieses materialreichen und auch umfassend analytischen Buches. Die antisemitischen Wurzeln in bestimmten Kreisen militanter Linker liegen auch ohne die ultimative Aufklärung des Münchener Brandanschlags offen zutage („zur Zeit führt immer noch Simon + Karbunkel, das Zionistenduo mit dem israelischen Luftwaffenhit El Condor Pasa“, kommentiert Teufel einmal die Charts). Und offensichtlich wird, wie schwer es in jener Zeit ist, zwischen Antizionismus, Antiisraelismus und Antisemitismus zu unterscheiden (auch heutzutage ist der Grat ja schmal zwischen Israelkritik und Antisemitismus). Im Hintergrund spielen zudem Brandts Ost- und Friedenspolitik eine Rolle, der Vietnamkrieg, den die deutsche Linke durch den Nahostkonflikt ersetzt („Unser Vietnam heißt Palästina“), und von Ferne leuchtet ungut der weitere RAF-Terror, die Flugzeugentführungen von Entebbe und Mogadischu.

„Mein Ziel ist erreicht“, hat Wolfgang Kraushaar bei der Buchvorstellung in Berlin gesagt, „wenn die Zeit der Anschlagsserie 1970 stärker ins historische Bewusstsein eindringt.“ Das sollte ihm problemlos gelingen. Sein Buch hellt so manche verborgene, unverstandene Passage der Geschichte der siebziger Jahre entscheidend auf.

Wolfgang Kraushaar: „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ München 1970. Rowohlt, Reinbek 2013. 835 S., 29,90 €.

Gerrit Bartels

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