Gedenken in Berlin: David-Bowie-Straße? Bitte nicht!
Die Schöneberger Hauptstraße zum Gedenken in David-Bowie-Straße umbenennen? Auf gar keinen Fall. Ein Plädoyer gegen falschen Starkult.
In großartigem umlautlosen Touristendeutsch hat David Bowie gesungen: „Oh, wir können sie schlagen / Für alle Zeiten / Dann sind wir Helden / Nur diesen Tag.“ Nicht gesungen hat er: „Ich bin ein Berliner.“ Das hat er auch nicht gesagt und sicher nicht einmal gedacht.
Trotzdem ist David Bowie in den Tagen nach seinem Tod heftig durch Berlin vereinnahmt worden, vom Regierenden Bürgermeister über Tim Renner bis zur „B.Z.“. Kulturstaatssekretär Renner schrieb, Berlin habe „wahrscheinlich den bedeutendsten Musiker seit Herbert von Karajan verloren, der mit dieser Stadt verbunden war“.
Der ehemalige Musikmanager mag von vielen Dingen keine Ahnung haben, aber Popmusik müsste zu seinen Kernkompetenzen gehören. Trotzdem vergisst er, dass nach Karajan zum Beispiel Rio Reiser, Marlene Dietrich und Hildegard Knef gestorben sind, ganz zu schweigen von den Größen der klassischen Musik. Nein, Bowie war kein Berliner. Sondern ein Engländer, der eine Zeitlang in Berlin gelebt hat. Wie eine Generation vor ihm – übrigens ebenfalls in Schöneberg – Christopher Isherwood, W. H. Auden oder Stephen Spender.
Niemand käme auf die Idee, die Abbey Road in Beatles Road umzubenennen. Die Abbey Road ist sowieso schon eine Beatles Road, weil die Fab Four dort einst über einen Zebrastreifen liefen, Paul McCartney bekanntlich barfuß. Sie gehört zu den mythischen Adressen der Musikgeschichte, wie die Beale Street in Memphis, wo B.B. King einen Bluesclub besaß, der Sunset Strip in Los Angeles, wo Janis Joplin und die Doors auftraten, oder die 125th Street in New York, wo der Soul-Tempel Apollo Theater steht.
Mehr als 10.000 Leute haben die Online-Petition unterzeichnet
Oder wie die Anschrift Hauptstraße 155 in Berlin. Dort, in einem ockerfarbenen Mietskasernenkasten aus der Kaiserzeit, hat David Bowie von 1976 bis 1978 gewohnt. Hier klaute ihm Iggy Pop, der deshalb später ins Hinterhaus ziehen musste, die Lebensmittel aus dem Kühlschrank, von hier aus fuhr der Sänger mit dem Fahrrad in die Hansa-Tonstudios, um seine Alben „Low“ und „Heroes“ aufzunehmen. Bei den Studioarbeiten soll er am liebsten typisch deutsche Leberwurstbrote gegessen haben.
In der Hauptstraße 155 haben Fans nach Bowies Tod ein temporäres Trauerdenkmal errichtet, indem sie Blumen und Fotos ablegten und Kerzen entzündeten. Sie fordern, die Schöneberger Hauptstraße in „David-Bowie-Straße“ umzubenennen, eine Online-Petition dafür hat bereits mehr als 10.000 Unterzeichner gefunden.
Seit kaum noch Denkmäler gebaut werden, ist die Vergabe von Straßennamen zur zeitgemäßen Variante einer Denkmalsetzung geworden. Allerdings ist es für einen Prominenten nicht immer gut, auf diese Art kollektiv umarmt zu werden. Es macht ihn posthum zu Jedermanns Liebling, zum Maskottchen. Für einen Popstar ist das eine besonders heikle Rolle. Weder in London, wo Bowie im Stadtteil Brixton aufwuchs und wo er seine berühmtesten Platten veröffentlichte, noch in New York, wo er zuletzt über 30 Jahre lebte, gibt es eine Initiative, ihm eine Straße zu widmen.
Nach West-Berlin war David Bowie gekommen, um vom Rock’n’Roll-Wahnsinn Abstand zu gewinnen und abzutauchen im bleigrauen Alltag der Mauerstadt. Er war auf der Suche nach dem Exile on Main Street und fand es an der Schöneberger Hauptstraße. Einen anonymeren Straßennamen kann man sich nicht vorstellen, und Anonymität war genau das, wovon der vom Ruhm und den Drogen überforderte Sänger träumte. Jede Stadt, jedes Western-Kaff besitzt eine Hauptstraße, natürlich gibt es sie auch im Brettspiel „Monopoly“, wo sie 300 Euro kostet. Wer David Bowie ehren möchte, der muss für die Erhaltung der Hauptstraße kämpfen.