Deutsches Theater: Das wundersame Kollektiv
Gotscheffs Bühnenfamilie hat sich den Theaterpreis Berlin redlich verdient. Ob noch "viel Whiskey als Schutzschild" vonnöten ist?
Am Ende, nach zweieinhalb bewegenden, klamaukigen, whiskyreichen und immer wieder von der tief melancholischen Musik der bulgarischen Gruppe Nada Mais unterbrochenen, also auch „sentimentalen“ (Samuel Finzi: „Das ist mein balkanischer Hintergrund“) Mittagsstunden im voll besetzten Deutschen Theater anlässlich der sonntäglichen Verleihung des Theaterpreises an die Theaterfamilie um den Regisseur Dimiter Gotscheff, also an ihn und die Schauspieler Almut Zilcher, Samuel Finzi und Wolfram Koch; ganz am Schluss, nachdem erst Ulrich Khuon die Jury dafür gelobt hatte, dass sie den Preis erstmals an ein Kollektiv vergeben hat, und Joachim Sartorius, Rahel Varnhagen zitierend, vom „Tiefsinn und Tiefherz“ und dem „untergründigen Heiner-Müller-Sound“ des Gotscheff-Theaters gesprochen hatte; nachdem Ausschnitte aus Inszenierungen zu sehen waren – Finzi und Koch in den „Persern“ um die berühmte Wand rennend, Almut Zilchers großäugiges, zum Clown geschminktes Gesicht aus Koltés’ „Kampf des Negers und der Hunde“ – und nachdem Joachim Lux vom Thalia in Hamburg erzählte, wie verwirrt und verzweifelt Dimiter Gotscheff nach seiner ersten Kölner Inszenierung Mitte der Achtziger und frisch aus Bulgarien kommend auf den „an seiner Überheblichkeit erstickenden Westen“ reagiert hatte, nämlich mit „Magengeschwüren“ und „viel Whisky als Schutzschild“, obwohl ihm dieser Westen wegen seines aufregenden, direkten und irgendwie „fremden“ Theaterzugriffs doch den roten Teppich ausgerollt hatte; nachdem Margit Bendokat, die Preisträgerin des letzten Jahres, Gotscheff nicht nur einen Ausschnitt aus dem Heiner-Müller-Stück „Germania. Stücke“ mitgebracht, sondern dem Geehrten auch einen Korb mit Kirschen und zur Erinnerung an Heiner Müller ein kleines Whiskyfläschchen überreicht hatte; nachdem der eine Laudator, der Bühnenbildner Mark Lammert, versucht hatte, Gotscheffs Arbeitsweise und die Schauspielkunst der anderen zu beschreiben („sie versuchen, mit Melonen zu würfeln“) und Gotscheffs zweite Bühnenbildnerin, Katrin Brack, berichtet hatte, wie es zur Zusammenarbeit gekommen war (Gotscheff: Wie lange arbeitest du schon mit Perceval? Brack: Zwölf Jahre. Gotscheff: Das reicht. Kommst du zu mir.); nachdem die partisanenhafte Kindsköpfigkeit von Wolfram Koch und der kamikazehafte Einfallsreichtum Samuel Finzis hervorgehoben worden waren und schließlich Klaus Wowereit den Preis überreicht hatte: Da ist zwar das Geheimnis des GotscheffTheaters (zum Glück) noch immer nicht gelüftet und noch immer unklar, wer in diesem seit zehn Jahren existierenden wundersamen Kollektiv wen wie befruchtet, aber die Preisträger kommen endlich selbst auf die Bühne.
Almut Zilcher bedankt sich mit einem Bernhard-Monolog aus „Ritter, Dene, Voss“, Samuel Finzi hofft, bald kein Schauspieler mit „Migrationshintergrund“ mehr zu sein, sondern nur noch einer mit „Hintergrund“ oder einfach mit „Grund“. Als Allerletztes steht Dimiter Gotscheff im ausgewaschenen Parka hinter dem Mikrofon und fragt: „Hat jemand Thilo gesehen? (lange Pause) Thilo Sarrazin? Den hatte ich nämlich persönlich eingeladen, damit er dabei ist, wenn wir Migranten geehrt werden.“
Freilich: Unter jedem Gotscheff-Witz lauert die Untröstlichkeit. Und deshalb erinnert der Regisseur jetzt an einen, der fehlt. „Ich rede von Christoph Schlingensief.“ Damit dessen Afrikatraum Realität werden kann, legt Gotscheff zum Sammeln eine Narrenkappe auf die Rampe. Und gibt als Erster Geld hinein.
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